Wohin geht die Wasserstoffreise im Rems-Murr-Kreis?
Wichtige Säule der Wasserstoffstrategie zwischen Rems und Murr ist die Lernwerkstatt an der Gewerblichen Schule Backnang. Als erster von vier Bauabschnitten wird Anfang 2024 der Showroom eingeweiht. Im Kreis entsteht eine Tankstelle, Busse werden eingesetzt und H2 wird produziert.
Von Florian Muhl
Rems-Murr. Was haben ein belegtes Brot, Brennstoffzellen und Baustahl gemeinsam? Schülerinnen und Schüler werden die Antwort hören, wenn sie den Hy-Lab-Showroom an der Gewerblichen Schule Backnang besuchen, der in einem knappen halben Jahr eröffnet wird. Dann werden sie erfahren, dass sie alle Wasserstoff (H2) benötigen. Die Brote zumindest dann, wenn sie mit Margarine bestrichen sind. Denn Wasserstoff ist ein wichtiger Faktor in vielen industriellen Prozessen: bei der Härtung von Speisefetten, bei der Stahl- und Eisenherstellung, beim Antrieb von Brennstoffzellen, Raffinierung von Mineralölen, Herstellung von Dünger. Alle diese Herstellungsschritte können mit sogenanntem grünen Wasserstoff dekarbonisiert werden, der aus erneuerbaren Energiequellen und Wasser erzeugt wird. Dekarbonisieren bedeutet, dass CO2-Emissionen vermindert werden.
„Es ist eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Da sollten wir nichts verschlafen und von vornherein gleich mit dabei sein.“ Peter Zaar gerät ins Schwärmen, wenn er von der Wasserstofftechnologie als einer der zukunftsfähigen Energieversorgungsmöglichkeiten spricht. „Wir haben schon im Jahr 2020 die Wasserstoffstrategie des Landkreises absegnen lassen“, erklärt der Erste Landesbeamte und Verkehrsdezernent des Rems-Murr-Kreises zu den Hintergründen. Im Landratsamt werden alle Einzelprojekte gebündelt. Immer wieder werde man Säulen hinzufügen, aber auch wegnehmen, wenn man diese überprüft und sich herausgestellt habe, dass diese nicht sinnvoll seien (siehe Infotext). In Sachen Wasserstoffstrategien sind 900 Regionen in Deutschland mit von der Partie, ein großer Teil der Förderung fließt aber nach Baden-Württemberg.
Projekt Lernwerkstatt Wasserstoff soll in vier Bauabschnitten umgesetzt werden
„Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beginnt nicht in der Fabrikhalle oder im Forschungslabor. Sie beginnt im Klassenzimmer“, zitiert Isolde Fleuchaus den amerikanischen Topmanager Lee Iacocca bei einem Pressegespräch in Backnang. Die geschäftsführende Schulleiterin der Gewerblichen Schule Backnang stellt das Projekt Lernwerkstatt Zukunftstechnologie Wasserstoff und Brennstoffzelle an ihrer Schule vor, das in vier Bauabschnitten umgesetzt werden und über sieben Millionen Euro kosten soll.
Die Einweihungsfeier des ersten Bauabschnitts hätte nach den ursprünglichen Plänen eigentlich schon gefeiert werden sollen, aber die Bauarbeiten am Showroom haben sich verzögert. So wird der Glaspavillon als Lernfabrik Wasserstoff im Eingangsbereich erst am 24. Januar kommenden Jahres eröffnet. „Dieser Termin ist aber fix“, versichert die promovierte Schulleiterin. „Eingebettet ist dieser in einen Energieparcours auf dem Gelände. Das ist ein Erlebnisparcours Energie der Zukunft, der jungen Menschen und auch älteren Besuchern zeigen soll, wohin die Reise geht.“ Entwickelt wurde der Pfad mit der Hamburger Firma Skope, die laut Isolde Fleuchaus international an dem Thema Wasserstoff arbeitet.
Zwei große und komplett eingerichtete Überseecontainer der Landesstiftung Baden-Württemberg sind ebenso Teil der Lernwerkstatt. „Sie standen vorher bei Daimler und in der Königstraße in Stuttgart zum Thema Mobilitätswandel und wir konnten sie in Besitz nehmen“, berichtet die Schulleiterin stolz. Bislang seien bereits 1500 Schüler durch die Ausstellungsinszenierungen geführt worden. „Wir wollen den Schülern auch zeigen, wie viel Energie brauche ich, um was zu tun, um hier auch Bewusstsein zu schaffen.“
In einem weiteren Raum dürfen sich dann Schülerinnen und Schüler austoben. „Der wurde zusammen mit unserem Förderverein gestaltet“, sagt Isolde Fleuchaus. „Dort kann man selbst mit Körperkraft Energie erzeugen, die auch dargestellt wird.“ Gleich neben den Sportgeräten liegen Handys und Fahrradakkus, die mit der erzeugten Energie geladen werden.
In Planung ist auch ein Parkhaus für Fahrräder mit Ladestationen, weil die Parkplätze für Autos reduziert werden sollen. Allerdings wird längst nicht für jeden der 3500 Schüler am Berufsschulzentrum ein Zweiradstellplatz zur Verfügung stehen. „Wir starten mit wenigen Parkplätzen ebenerdig in modularer Bauweise“, kündigt Benjamin Wahl an. Er ist Amtsleiter Schule, Bildung, Kultur im Landratsamt. „Auch Duschmöglichkeiten wird es geben.“
In weiteren Bauabschnitten werden die Werkstätten neu strukturiert, teilweise neu gebaut und auch umgebaut. Es wird mehr Transparenz zwischen den Werkstätten geben. Heribert Gantner freut sich schon auf die neue Wasserstoffwerkstatt. Der technische Lehrer, der bereits über 20 Jahre an der gewerblichen Schule unterrichtet, ist bekennender H2-Fan. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass innerhalb der nächsten fünf bis maximal zehn Jahre ausreichend Wasserstoff vorhanden sein wird. Die ganze Welt kümmert sich im Moment um das Thema, jedes Land hat eine nationale Strategie“, sagt der Werkstattleiter Fahrzeugtechnik, der gleichzeitig auch Geschäftsführer des Fördervereins der Schule ist. „Und wir müssen jetzt schon anfangen, unsere Kinder auf den Weg zu bringen.“
Entscheidung Vor drei Jahren hat der Kreistag die Wasserstoffstrategie des Rems-Murr-Kreises beschlossen. Die ursprünglichen drei Säulen werden um weitere mögliche Projekte ergänzt.
Ausbildung Eine wichtige Säule ist die Lernwerkstatt Wasserstoff und Brennstoffzelle an der Gewerblichen Schule Backnang.
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