Worte können wie Kugeln sein
Aspacher Conrad-Weiser-Schule wird nach Workshop mit Gewaltpräventionsberater Carsten Stahl eine „Stoppt-Mobbing-Schule“
Als starker, muskelbepackter Hauptdarsteller ist er aus der Fernsehserie „Detektive im Einsatz“ bekannt. Seit fünf Jahren widmet sich Carsten Stahl der Gewaltprävention an Schulen. An der Aspacher Conrad-Weiser-Schule war er gestern mit einem Workshop zum Thema „Respekt, Mut und Toleranz – gegen Mobbing“ zu Gast.

© Sportfotografie Alexander Becher
Konfrontiert die Jugendlichen in der Mühlfeldhalle knallhart mit dem Thema Mobbing: Gewaltpräventionsberater Carsten Stahl. Foto: A. Becher
Von Claudia Ackermann
ASPACH. Breitbeinig und mit finsterem Blick tritt er vor die rund 200 Schüler in der Mühlfeldhalle neben der Conrad-Weiser-Gemeinschaftsschule. Wenn Carsten Stahl seine Stimme erhebt, dann ist sie laut. Nicht schulmeisterhaft will er den Kindern und Jugendlichen der Sekundarstufe Klasse 5 bis 10 das Thema Mobbing nahebringen, sondern sie knallhart mit der Wirklichkeit konfrontieren, auch mit eigenen Erfahrungen.
In einem Brennpunktviertel von Berlin ist der heute 46-Jährige aufgewachsen, in dem Gewalt an der Tagesordnung war. 18 Jahre lang sei er selbst der Kopf einer kriminellen Organisation gewesen. Inzwischen setzt er sich gegen Gewalt ein und hat die deutschlandweite Kampagne „Stoppt Mobbing“ gegründet. Fast jeden Tag spricht er an Schulen, und damit habe er schon rund 40000 Schüler erreicht. „Ich kenne beide Seiten“, sagt der Mann mit den Tätowierungen. Die Schüler lauschen gebannt.
Carsten Stahl erzählt von seiner Arbeit, etwa als eine Schülerin ihm schrieb, dass ein Junge in ihrer Schule aus dem vierten Stock in den Tod gesprungen sei. „An unserer Schule gibt es kein Mobbing“, war die Reaktion des Rektors. Eine solche Aussage sei eine „feige Lüge“, unterstreicht der Referent.
„Man muss Bewusstsein schaffen, wie gefährlich Mobbing ist“
Das Thema dürfe man nicht totschweigen, nur um seine Schule in besserem Licht dastehen zu lassen. Carsten Stahl prangert an, dass Lehrer während ihres Studiums in diesen Bereichen nicht geschult werden und so oftmals die Anzeichen von Mobbing oder die Hilferufe der Opfer nicht erkennen. „Man muss Bewusstsein schaffen, wie gefährlich Mobbing ist.“ Auch die Politik sei in der Verantwortung, dass viel mehr Präventionsarbeit geleistet werden muss.
Trotz des ernsten Themas soll es bei der Veranstaltung auch etwas zum Lachen geben. Stahl macht Kinder und Jugendliche nach, wie sie sich in ihrem Alltag verhalten. Während die heranwachsenden Männer Imponiergehabe an den Tag legen, sind die Mädchen meist sehr auf ihr Äußeres fixiert. In Model-Casting-Shows werde ein Grundstein für Mobbing gelegt. Wer nicht die Idealmaße hat, verliert.
Die Schüler fordert er auf, Schimpfwörter zu nennen, die sie kennen. Das unschöne Vokabular ist umfangreich. Zunächst finden die Schüler das recht lustig. Aber was, wenn sie selbst das Opfer solcher Beschimpfungen sind? „Es sind nicht Worte, sondern Kugeln, die abgefeuert werden durch euren Mund“, macht der Referent den Schülern klar.
Drastisch erzählt er die Geschichte eines zehnjährigen Jungen mit rötlichen Haaren und Sommersprossen, der von einer Gruppe von fünf älteren Jungs drangsaliert wird. Sie beschimpfen und bedrohen ihn täglich und wenden körperliche Gewalt an. Die anderen Schüler schauen weg, aus Angst, selbst zum Opfer zu werden. Schließlich endet die Situation mit dem Sturz des Jungen in eine Baugrube, wo er blutend liegen bleibt und die Täter auf ihn urinieren – der Junge war Carsten Stahl selbst, erfahren die betroffen lauschenden Schüler.
Heute ist Carsten Stahl selbst Vater von zwei Kindern. Er ist in einen anderen Berliner Stadtteil gezogen, um seine Kinder vor den Gefahren des Lebens im sozialen Brennpunkt zu schützen. Doch schon am zweiten Schultag kam sein kleiner Sohn mit einer blutigen Nase aus der Schule zurück und wollte nie wieder hingehen. Das war der ausschlaggebende Punkt für ihn, seine Rolle in der TV-Serie aufzugeben und sich ganz der Präventionsarbeit an Schulen zu widmen. Denn Gewalt und Mobbing gibt es an jeder Schule, unterstreicht der Experte.
Das zeigt sich auch, als die Schüler sich melden sollen, ob sie schon einmal Mobbing selbst erlebt habe. Fast jedes Kind und jeder Jugendliche streckt die Hand in die Höhe, ob bei der Frage, ob sie Opfer, oder ob sie Täter waren.
Wer will, dass Mobbing in Deutschland an den Schulen aufhört, kann am Ende auf einem Plakat unterschreiben – und alle Schüler machen mit. Mit einem Schild, das an der Aspacher Conrad-Weiser-Schule befestigt wird, ist sie nun eine „Stoppt-Mobbing-Schule“.