Worüber schreibt die Zeitung nicht?
So arbeitet die Redaktion (5): Ein Verdacht allein reicht als Grundlage nicht aus
Von Lorena Greppo
BACKNANG/MURRHARDT. Die Zeitung – in unserem Fall die Lokalzeitung – soll ihre Leser über alle Vorgänge informieren, die in ihrer Umgebung geschehen und für sie wichtig sind. Daraus leitet sich ein Grundsatz ab, nämlich der der Relevanz. Ist also etwas nach Auffassung der Redaktion nicht für eine breite Leserschaft wichtig oder interessant, so verzichtet sie auf eine Berichterstattung. Besonders wird darauf Wert gelegt, wenn zugleich die Privatsphäre einer einzelnen Person betroffen ist. Ein fiktives Beispiel: Gehen wir davon aus, dass Bürgermeister Maier homosexuell ist und die Redaktion davon erfährt. Herr Maier ist mit dieser Information aber bisher nicht an die Öffentlichkeit getreten. Grundsätzlich hat jeder das Recht, selbst zu entscheiden, welche Informationen er über sein Leben veröffentlicht. Man könnte argumentieren, dass Herr Maier als Bürgermeister eine Person öffentlichen Interesses ist. Seine sexuelle Orientierung hat aber mit der Ausübung seines Amtes nichts zu tun. Informationen aus der Privatsphäre einer Person dürfen nur verbreitet werden, wenn das Informationsinteresse der Allgemeinheit an ihnen so hoch ist, dass der Schutz des Betroffenen dahinter zurücktreten muss. Das wäre im Falle Maier nicht gegeben, die Redaktion würde also nichts darüber schreiben. Als Informationen über das Privatleben im weitesten Sinne gelten familiäre Angelegenheiten, Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Zugehörigkeit zu Vereinen, Religionsgemeinschaften und Ähnliches.
Eine weitere Situation, in der die Redaktion von einer Veröffentlichung absieht, ist, wenn sich ein Sachverhalt nicht recherchieren lässt. Ein weiteres fiktives Beispiel: Ein anonymer Brief geht in der Redaktion ein. Darin werden schwere Vorwürfe gegen Frau Schmidt, die Vorsitzende eines örtlichen Geldinstituts, erhoben. Es ist nicht ersichtlich, woher der Briefschreiber seine Informationen bezieht. Frau Schmidt selbst dementiert die Anschuldigungen, Recherchen der Redaktion ergeben auch keine weiteren Anhaltspunkte dafür. Würde die Redaktion dennoch über die Anschuldigungen berichten, würde sie sich der Verdachtsberichterstattung schuldig machen. „Üble Nachrede“ heißt das Vergehen, weswegen Frau Schmidt in der Folge Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche anmelden könnte.
Anders stellt es sich dar, wenn die Redaktion bei ihrer Recherche auf Ungereimtheiten in der Geschäftsführung des Geldinstituts stößt, die die Vorwürfe gegen Frau Schmidt untermauern. Die Wahrheit der Behauptungen aus dem anonymen Brief können vielleicht nicht abschließend geklärt werden, beweisbare Indizien sprechen aber dafür, dass sie zutreffen. In diesem Fall darf die Zeitung die Behauptung trotzdem publizieren, muss allerdings darauf hinweisen, dass es sich um einen Verdachtsmoment handelt. Steht Aussage gegen Aussage, dann schildert die Zeitung beide Standpunkte sodass offen bleibt, wer von den Kontrahenten die Wahrheit sagt. Übrigens: Sollten sich in einem solchen Fall Mitarbeiter des Geldinstituts bei der Redaktion melden und weitere Beweise für ein Fehlverhalten Frau Schmidts liefern, gibt es noch etwas, das die Zeitung nicht schreibt und auch nicht schreiben muss: wer ihre Informanten waren.
Haben auch Sie eine Frage zur Arbeit der Redaktion, die wir in unserer Serie beantworten sollen? Dann schicken Sie eine E-Mail an redaktion@bkz.de.