Wohnen in der Kunst
Zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wie kaputt du bist
Das Wohnen war schon immer politisch, nur leider zeigt die Kunst traditionell wenig Interesse an Zimmergrößen und Quadratmeterpreisen. Eine löbliche Ausnahme: Die Ausstellung „Our House“ im Museum Giersch in Frankfurt am Main.
Von Tomo Pavlovic
Der Titel der Ausstellung ist schon mal gut: „Our House“, zur Abwechslung mal einladend und schön niederschwellig. Und so hieß auch der größte Hit der britischen Gruppe Madness aus dem Jahr 1982, die Älteren werden sich vielleicht erinnern. Im einprägsamen Text wurde zum leichten Ska-Rhythmus der Alltag einer Arbeiterfamilie in einem beengten Reihenhaus beschrieben. Angeblich hat sich der Sänger und Songwriter Carl Smyth von seiner eigenen Kindheit in bescheidenen, neudeutsch: prekären Verhältnissen inspirieren lassen.
Völlig zugestellter Raum
Im altehrwürdigen Museum Giersch findet sich die künstlerische Entsprechung zum kinderreichen Haushalt des gefallenen englischen Industrieproletariats der 70er Jahre unter Margaret Thatcher in der Videoinstallation von Susanne Kutter. Peu à peu werden in einer Wohnung Möbel, Blumen und Dekoplunder zusammengeschoben, sodass am Ende nur noch Klaustrophobie Platz hat; geradezu physisch spürt man diesen völlig zugestellten Raum, in dem höchstens noch eine Person eingepfercht mehr vegetieren als leben könnte.
Dieser unzweideutige visuelle Kommentar auf die heutigen Probleme derjenigen, die sich in diesem Land keine anständige Wohnung, geschweige denn ein Haus leisten können, wird von den bizarr anmutenden Klavierklängen einer unsichtbaren Pianistin konterkariert. Im sogenannten „Herrenzimmer“ schweben schemenhafte Figuren hinter zwei Milchglastüren hin und her. Die Klaviertasten bewegen sich von allein.
Für diese herrlich gespenstische Installation im holzgetäfelten Ambiente zeichnet die Schweizer Video- und Performancekünstlerin Zilla Leutenegger verantwortlich. Ihre Arbeit präsentiert die unheimlich verlockende Parallelwelt der Gutsituierten mit ihren Salons und Pianos. Doch wirklich fassbar ist diese Welt nie, man erkennt niemand, bleibt als Besucher stets außen vor. Geschlossene Gesellschaft.
Sorgen der Geknechteten
„Our House“ heißt die sehenswerte Schau, sie versammelt auf verschiedenen Stockwerken des Museums Giersch diverse künstlerische Perspektiven auf das Wohnen, vom frühen 20. Jahrhundert bis heute. Das ist ungewöhnlich, schon weil die zeitgenössische Kunst und ihre Protagonisten sich normalerweise herzlich wenig um die Sorgen der Geknechteten auf dem menschenfeindlichen Immobilienmarkt kümmern. Das ist mindestens arrogant, auf jeden Fall eine verpasste Chance, keine Frage. Umso schöner, dass in der prächtigen Villa, die 1910 für eine Unternehmerfamilie im Stil des Neoklassizismus errichtet wurde, gleich so viele starke Positionen zum Thema gezeigt werden.
Manches kennt man aus der täglichen Berichterstattung oder dem eigenen Lebensumfeld: die Familienfotografien via Zoom aus dem Corona-Lockdown haben schon ein wenig Patina angesetzt; ganz anders eine Fotoinstallation über die dreieinhalb Quadratmeter Wohnraum, die Geflüchteten 2015 durchschnittlich zur Verfügung standen.
Neben dem Klassismus haben auch Diversität und Intimität einen wichtigen Part inne. Auf dem Parcours durchs Haus begegnet man einer alten Bekannten, der Fotografin Inge Werth. Ihre Porträts von Leuten im Bett hat man schon anderswo gesehen, doch das macht nichts, man hat das Gefühl, nicht fremd zu sein. Hier das lesbische Paar, dort das alternative Wohnprojekt. Und schließlich noch Eindrücke aus jenem Seniorenheim, in dem Frankfurter Fotografin heute selbst lebt. Wohnen mit anderen ist gar nicht so schwer, so scheint es. Geht doch.
Erst banal, dann grausam
Beklemmend und auf schreckliche Weise faszinierend hingegen sind die Arbeiten des österreichischen Fotografen Robert Haas. Seine schwarz-weißen Impressionen von Wohnungen aus dem Jahr 1938 muten erst einmal banal an, werden aber durch den Kontext des Nationalsozialismus zur Horrorvision.
Haas, selbst Jude, der rechtzeitig ins Exil fliehen konnte, wurde seinerzeit von jüdischen Bewohnern ihrer Wiener Wohnungen mit der fotografischen Dokumentation beauftragt, wohl aus Gründen der Erinnerung. Die Menschen wussten zu dem Zeitpunkt nicht, was ihnen in den meisten Fällen bald schon bevorstand: die Verfolgung, Deportation und Ermordung in den Konzentrationslagern.
Man starrt auf Treppen, Bücherwände, Tischläufer, Blumenvasen, nur die Bewohner und Besitzer, die kann man nirgends entdecken. Sie fehlen. Und man versteht: „Our House“, diese Vorstellung von einem Ort der Geborgenheit, das ist auch nur so eine irre Idee, nicht selten ein Sehnsuchtsplan ganz ohne Dach und Fundament.
Ausstellung
Info„Our House“ in der Villa Giersch der Goethe Universität Frankfurt am Main, Schaumainkanal 83, bis 16. Februar 2025. Öffnungszeiten Di, Mi, Fr, Sa, So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr. www.mggu.de