Zeitkapsel der Turmspitze in Oppenweiler geöffnet
Die goldene Kugel auf der Turmspitze der Oppenweiler St.-Jakobus-Kirche gibt ihre Geheimnisse preis. Pfarrer Ganter schreibt übers Jahr 1973.
Von Matthias Nothstein
Oppenweiler. Der imposante Turm der evangelischen St.-Jakobus-Kirche in Oppenweiler wird seit Monaten saniert. Nachdem im Laufe der Arbeiten deutlich wurde, wie extrem die Schäden an der Turmkonstruktion sind, wurde die Holzkonstruktion, die immerhin die Hälfte des über 60 Meter hohen Bauwerks ausmacht, komplett abgebaut. Das gilt logischerweise auch für die dreiteilige Turmspitze, die aus dem goldenen Hahn, dem schmiedeeisernen Kreuz und der Zeitkugel darunter besteht. Und speziell Letztere erweckt das Interesse all jener, die in die Bauarbeiten involviert sind, denn in die Kugel mit einem Durchmesser von rund 30 Zentimetern wurden in der Vergangenheit immer wieder Dokumente und Gegenstände der Zeitgeschichte eingelegt, die nun wieder ans Tageslicht gekommen sind.
Im Fall der Oppenweiler Erinnerungskugel kam ans Licht, dass die Kugel letztmals vor 50 Jahren geöffnet und am 11. Mai 1973 neu befüllt und wieder verschlossen wurde. Auch damals wurde das Gotteshaus außen und innen saniert. Das ist kein allzu langer Zeitraum, weshalb die Zeitung, die damals beigelegt wurde, längst noch nicht historisch zu nennen ist. Zudem haben die Verantwortlichen vor 50 Jahren weder den überregionalen Teil der Backnanger Kreiszeitung eingelegt noch den vermutlich interessanteren Lokalteil, sondern einige eher belanglose Anzeigenseiten.
Alte Münzen erzählen Geschichten
Viel interessanter ist eine ganze Münzsammlung, die in der Kugel schlummert und deutlich älter datiert ist. So gibt es eine Albus-Münze aus dem Jahr 1691, die im Spätmittelalter vor allem im Rheinland eine gängige Währung war, und eine „Land-Munz Kreuz“ von 1743. Eingewickelt in ein Papier, das Olga von Sturmfeder mit dem 26. September 1878 datiert hat, ist auch eine Münze mit dem Abbild von König Wilhelm von Württemberg dabei. Es handelt sich um eine Gedenkmünze zur Feier der 25-jährigen Regierung des Monarchen und dem Datum „30. October 1841“.
Ein halber Gulden von 1844, eine Sechs-Kreutzer-Münze von 1824 und Münzen mit dem Abbild von König Ludwig I von Bayern und des Großherzogtums Hessen sind ebenso Teil des Schatzes. Gräfin Olga von Sturmfeder war 1878, also relativ kurz nach der Gründung des Deutschen Reichs, auch noch so frei, einen Satz der neuen Reichsmünzen dazuzulegen. Es sind Pfennige mit den Zählwerten 1, 2, 5, 10, 20 und 50.
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Auch mehrere historische Schriften sind in der Kugel verstaut gewesen. Die Handschriften sind sehr schön, für einen Laien aber nicht ohne Weiteres zu lesen. Aufbewahrt waren die gesamten Schätze in dünnen Bleiplatten, die an den Rändern gebördelt waren. So waren sie sicher vor den Unbilden des Wetters.
Dokumentation der Restaurierung soll in die Kapsel
Manfred Krupkat und Georg Streicher sind Mitglieder des Bauausschusses im Kirchengemeinderat, sie kümmern sich um die Restaurierung des Turmzier. Das Öffnen dieser bezeichnete Georg Streicher als sehr spannenden Moment. Was demnächst für die Nachwelt in die Turmzier gesteckt wird, ist noch nicht entschieden. Manfred Krupkat kündigt an, dass sich der Kirchengemeinderat darum kümmern wird. „Auf jeden Fall wird eine Dokumentation der Restaurierungsarbeiten dazu gehören“, so der 78-Jährige. Eine solche lag nämlich auch jetzt vor. So etwa ein Schreiben der Stuttgarter Firma Walter Eisenhart. Darin heißt es: „Dieser Turmhahn mit Kugel und Kreuz wurde (...) von der Firma Eisenhart renoviert und vergoldet. Die elektronische Turmuhr wurde vom Alten Stuttgarter Rathaus, nach dessen Wiederaufbau 1957 übernommen, überholt und der Gemeinde Oppenweiler zu dem günstigen Preis von ca. DM 1500.- zur Verfügung gestellt.“
Ein Dokument der Zeitgeschichte, das durchaus Parallelen zu heute hat, ist der Nachsatz dieses Schreibens. Dort steht: „Die Arbeitszeit der Arbeiter und Angestellten beträgt zur Zeit ca. 40 Stunden. Die Unternehmer arbeiten ca. 60 bis 80 Stunden. Fachkräfte und Spezialisten sind knapp, Putzfrauen sind in Villenvierteln, wo höherer Bedarf vorliegt, nicht zu bekommen. Mit DM 7.- und mehr in der Stunde (netto) liegen diese höher wie ein Facharbeiter.“
Auch ein Brief von Pfarrer Reinhold Ganter wurde 1973 beigelegt. Der Geistliche schreibt: „Seit der letzten durchgreifenden Erneuerung der Jakobus-Kirche sind fast 100 Jahre vergangen. Der Zahn der Zeit hat mächtig an dem alt-ehrwürdigen Gotteshaus genagt, sodass die Kirchengemeinde sich gezwungen sah, die Sanierung in Angriff zu nehmen. Unter tatkräftiger Mithilfe vieler Gemeindeglieder wurde im Innern der Kirche ausgeräumt und ausgegraben, der Kirchturm neu gedeckt und der Turmhahn und das Turmkreuz neu vergoldet. Bei diesem Anlass wurde diese Kassette in den Knauf der Turmspitze verbracht.“ Über das Jahr 1973 schreibt der Pfarrer: „Das Jahr, in dem der lange Vietnamkrieg beendet wurde, das Jahr, das die größten Inflationssteigerungsraten bisher mit sich brachte (bis zu acht Prozent gegenüber dem Vorjahr).“