Zeltunterkunft für Geflüchtete in Backnang wird erstmals belegt
141 geflüchtete Menschen finden eine neue temporäre Bleibe auf dem Gelände des Backnanger Berufsschulzentrums. Als Notreserve gedacht, muss der Landkreis aufgrund gestiegener Zuweisungen darauf zurückgreifen. Glücklich darüber ist niemand, auch die Bewohner nicht.
Von Lorena Greppo
Backnang. Das Gewusel ist groß, vor allem in den Gemeinschaftszelten am Backnanger Berufsschulzentrum. 141 geflüchtete Menschen beziehen an diesem Tag die Zeltunterkunft des Rems-Murr-Kreises. Sie kommen aus sieben verschiedenen Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea). Hussein Al Bakri, Integrationshelfer der Caritas, übersetzt und vermittelt. Er weiß genau: „Die Menschen sind gekommen und haben gedacht, sie kommen in eine normale Unterkunft.“ Der Anblick der Zelte war für sie ein böses Erwachen. „Kinder haben geweint, viele haben gesagt, sie möchten woanders hin“, berichtet er. Ein junger Mann sagt, in der Lea in Karlsruhe sei es besser gewesen.
Ortstermin am Vormittag: Alles steht bereit, die Zelte sind bezugsbereit und geheizt, nun fehlen nur noch die Hauptakteure des heutigen Tages. Der Erste Landesbeamte Peter Zaar ist vor Ort, um sich ein Bild zu machen. Seine Hauptsorge sei es gewesen, ob die Heizung auch wirklich läuft, sagt er. Denn es ist doch ganz schön kalt geworden in den vergangenen Tagen. Überhaupt, sagt Zaar: „Ich hätte es gerne vermieden, die Zelte zu belegen.“ So lange wie möglich habe die Kreisverwaltung sich bemüht, alle ihr zugewiesenen Geflüchteten in regulären Unterkünften unterzubringen. Die Zelte in Backnang waren die Notreserve. Nun sei man froh, dass man sie habe. Und, hebt er hervor, Sporthallen müssten nicht belegt werden, das war allen Beteiligten wichtig.
Im August vergangenen Jahres wurden die Zelte auf dem Sportplatz des Beruflichen Schulzentrums errichtet. Obwohl sie die eiserne Reserve darstellten, habe sich der Kreis bemüht, den höchstmöglichen Standard zu schaffen, so Zaar. Drei große Wohnzelte werden ergänzt durch zwei Gemeinschaftszelte, zwei Kochzelte und mehrere Sanitäranlagen – Letztere getrennt nach Geschlechtern und jeweils beheizbar. Auch WLAN ist in der Anlage vorhanden. Dennoch: Die Mehrbettzimmer sind karg und auch die Gemeinschaftsräume und Küchen sind zwar funktional, aber lieblos. „Im ersten Moment wird es für manche vermutlich ein Schreck sein“, weiß auch der Erste Landesbeamte und soll recht behalten.
Die Verantwortlichen hoffen auf einen Rückgang der Flüchtlingszahlen
Über den Mittag treffen immer mehr der neuen Bewohner der Zeltunterkünfte ein – mit einem Sammelbus oder auch auf eigene Faust mit dem ÖPNV. Bei 75 von ihnen handelt es sich um Personen im Familienverband. Sie werden in einem Wohnzelt untergebracht, die 66 Einzelpersonen bekommen ein anderes Zelt zugewiesen. Die dritte Vorrichtung wird bislang nicht belegt.
Ein Mann aus Syrien ist gerade dabei, sich in seinem neuen Zimmer einzurichten. Wie sein erster Eindruck war? Schön sei es nicht, aber es werde schon gehen, sagt er. In das Gespräch bringen sich zwei weitere Männer ein. Ruhig, aber bestimmt beschreiben sie, warum die Zeltunterkunft sie nicht überzeugt: Die Zimmer haben kein richtiges Dach, es ist folglich sehr hellhörig, die Zelte sind nicht genügend beleuchtet, der Weg zu den Sanitäranlagen und zur Küche führt über das Außengelände und der Winter steht doch an. Noch halte sich der Unmut in Grenzen, sagt Hussein Al Bakri, „aber das könnte noch kommen“, warnt er.
Vorerst seien rund um die Uhr Sicherheitskräfte vor Ort, sagt Peter Zaar. An Werktagen seien tagsüber darüber hinaus die Sozialbetreuer da. Für die Anwohner ist wenige Tage vorher eine Informationsveranstaltung angeboten worden. Etwa 40 Personen nahmen teil, die Gespräche verliefen sachlich, berichtet Zaar. Ihnen wurden auch die Kontaktdaten der Verantwortlichen in allen Bereichen – sei es der Sozialdienst, das Unterkunftsmanagement oder der Hausmeister – mitgeteilt.
Annika Wahl, Fachbereichsleiterin für Flucht und Asyl bei der Caritas, und Judith Schulz, Fachbereichsleiterin für Migration und Flüchtlingshilfe beim Kreisdiakonieverband, sind am Ankunftstag mit ihrem Team vor Ort. Sie haben alle Hände voll zu tun. Es gilt, die melderechtliche Erfassung der Bewohner einzuleiten, Brandschutz und Hausordnung zu vermitteln sowie diverse Anträge auszufüllen. „Wir sind ein multilinguales Team“, erklärt Wahl. Denn unter den Bewohnern sind acht verschiedene Nationalitäten vertreten. Die Mehrheit machen türkische Staatsangehörige aus, gefolgt von Afghanen und Syrern. „Wir arbeiten aber auch viel mit Google Translate“, so Wahl. Den Schlüssel einer 1:90-Betreuung bekomme man fast hin, doch auch in der Sozialarbeit fehlen Fachkräfte.
Bleibt also zu hoffen, dass sich die Bewohner mit ihrer temporären Bleibe arrangieren können. Schließlich, so Zaar, will der Kreis bis Januar weitere reguläre Unterkünfte belegen, diese werden derzeit (um-)gebaut. Je nachdem, wie sich die Zuweisungszahlen entwickeln, könnten die Zelte dann wieder geräumt werden. Traditionell seien die Flüchtlingszahlen in den Wintermonaten auch niedriger.
Bis dahin könne es aber sein, dass die Zelte weiter belegt werden. Die maximale Kapazität von 436 Betten reize man aber sicherlich nicht aus. Allein im Oktober muss der Rems-Murr-Kreis 266 Asylbewerber aufnehmen. „Die Menschen aus der Ukraine sind da noch gar nicht mit eingerechnet“, so Zaar. Ihre Zahl liegt bei 171 in diesem Monat, sie werden aber direkt an die Städte und Gemeinden vermittelt. Das klappe sehr gut, lobt der Erste Landesbeamte. Doch auch dort ist bekanntermaßen die Kapazitätsgrenze nahe.