Zeuge mit großen Gedächtnislücken

Drogendealer erhält von Backnanger Schöffengericht Bewährungsstrafe

Backnanger Schöffengericht verhängt für Dealer eine Bewährungsstrafe. Symbolfoto: Bilderbox, E. Wodicka

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Backnanger Schöffengericht verhängt für Dealer eine Bewährungsstrafe. Symbolfoto: Bilderbox, E. Wodicka

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG/MURRHARDT. Der wegen Drogenhandels Angeklagte, ein 37-Jähriger aus Murrhardt, der sich schon in den verschiedensten Berufen versucht hat, ist auf die Verhandlung vor dem Backnanger Schöffengericht bestens vorbereitet. Weil Angaben zur Person gefragt sind, hat er einen tabellarischen Lebenslauf erstellt. Seine Verteidigerin lobt ihn eigens deswegen, übergibt der Richterin die zwei DIN-A-4-Seiten. Denn das alles mündlich vorzutragen, ist ihrem Mandanten nur schwer möglich. Zu aufgeregt und nervös ist er.

Zum Tatvorwurf äußert sich nur die Verteidigerin. Handel mit Betäubungsmitteln hatte der Staatsanwalt ihm mit der Anklageschrift vorgehalten. In zehn Fällen soll der 37-Jährige Marihuana veräußert haben. Die elfte Sache ist, dass anlässlich einer Hausdurchsuchung beim Angeklagten 17 Gramm Kokain gefunden wurden. Letzteres räumt er ein. Die Veräußerung von Marihuana bestreitet er. So kommt der Zeugenvernehmung besonderes Gewicht zu.

Hauptbelastungszeuge erscheint erst einmal nicht zur Verhandlung

Der wichtige Zeuge in Sachen Marihuana-Verkäufe erscheint aber nicht. Die Richterin telefoniert mit der Stuttgarter Therapieeinrichtung, in der er sich befinden soll. Fehlanzeige. Der Klient ist Ende April auf ärztliche Weisung hin entlassen worden. In den Akten wird nach der Wohnadresse gesucht. Auch Murrhardt. Der Polizeiposten erhält den Auftrag, dem Herrn eine Polizei-Taxifahrt nach Backnang angedeihen zu lassen. Während die Richterin mit den Angaben zur Person weitermacht, trifft die erfreuliche Meldung ein: Zeuge angetroffen und auf der Herfahrt begriffen.

Der Zeuge ist ein Cousin des Angeklagten. Er hat selber mit Drogen zu tun gehabt und war deswegen im vergangenen Jahr vier Monate in Haft. In dieser Zeit bat er von sich aus um ein Gespräch mit der Polizei. Wie dem Vernehmungsprotokoll der Polizei zu entnehmen ist, aus dem die Richterin in der Verhandlung später vorliest, machte er dabei umfassende Angaben. Er gab Namen weiterer Beteiligter preis, behauptete, bei dem Angeklagten eingekauft zu haben. Insgesamt zwölf Mal habe er eine Konsumeinheit Marihuana erstanden. Als er sich bei dem Preis für die Rauchware übers Ohr gehauen fühlte, stellte er den Einkauf bei seinem Verwandten ein.

Gespannt warten alle Beteiligten auf die Aussagen in der Verhandlung. Doch der Zeuge kann sich an nichts mehr erinnern, kann das Vernehmungsprotokoll der Polizei nicht bestätigen noch andere Angaben machen. Die Psychopharmaka, die er zu nehmen habe, so sagt der Zeuge, seien es, die alle Erinnerung gelöscht habe. Der Staatsanwalt wird ärgerlich. „Erst bitten sie“, so sagt dieser, „um ein Vernehmungsgespräch, dann hauen sie in diesem Gespräch andere in die Pfanne und jetzt wollen sie an all dies keine Erinnerung mehr haben!“ Der Zeuge scheint unbeeindruckt und bleibt dabei: die Psychopharmaka hätten in seinem Gedächtnis Tabula rasa gemacht.

Aber vielleicht weiß die Polizei mehr. Der Beamte, der das Vernehmungsgespräch geführt hat, wird gehört. Detailliert habe der Hauptbelastungszeuge, so gibt der Polizist an, den Ablauf der Einkäufe geschildert. Der Verkäufer, der Angeklagte, wollte immer erst angerufen werden. Erst dann durfte man vorbeikommen. Und neben Marihuana sei auch anderes im Angebot gewesen: Kokain, LSD, diverse Tabletten bis hin zu Viagra. Nach der Vernehmung veranlasste der Polizeibeamte eine Hausdurchsuchung beim Angeklagten. Dabei fanden sich das in Plomben abgepackte Kokain und Reste von Marihuana. Allerdings nicht die sonst für Dealer üblichen Utensilien wie Feinwaage und Verpackungsmaterial.

Der Staatsanwalt stellt den Antrag, das Verfahren wegen der zehn angeblichen Marihuana-Verkäufe einzustellen. Dazu sei von dem entscheidenden Zeugen nichts zu erfahren gewesen. Nach zweiminütiger Beratung des Schöffengerichts wird dem stattgegeben.

Verurteilter bekommt vom Gericht mehrere Auflagen

Dann hält der Staatsanwalt sein Plädoyer. Neben dem, was alles für den Angeklagten spreche, Kokain sei eine harte Droge. Die Art der vorgefundenen Packungen spreche für ein gewerbsmäßiges Handeltreiben. Er fordert 18 Monate Gefängnis auf Bewährung. Dazu als Auflage eine Drogenberatung und gemeinnützige Arbeit. Der Verteidiger des Angeklagten hält die Strafforderung des Staatsanwalts für überhöht. Alles Kokain sei beschlagnahmt worden, nichts davon zu Konsumenten gelangt. Sein Mandant sei nicht vorbestraft und lebe in geordneten Lebensumständen. Eine achtmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung würde er für angemessen halten.

Das Schöffengericht bleibt unter der Forderung des Staatsanwalts und spricht sich für 16 Monate Gefängnis aus. Auf Bewährung. Suchtberatung und Drogenscreening, ferner die Zahlung von 800 Euro an die Caritas werden als Auflagen erteilt. Staatsanwalt, Angeklagter und sein Verteidiger verzichten auf Rechtsmittel und nehmen das Urteil an.

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Erstellt:
31. Mai 2019, 06:00 Uhr

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