Bundespräsident Van der Bellen
Zuckerl-Koalition für Österreich?
Als Sieger der Nationalratswahl vom 29. September bekommt die FPÖ vorerst keinen Regierungsauftrag. Der Bundespräsident sieht ein „Patt“ und will weitere Gespräche, während die Parteienlandschaft auf eine Koalition in Bonbon-Farben zusteuern könnte.
Von Michael Maier
Nach der österreichischen Parlamentswahl vom 29. September steht das Land vor einer schwierigen Regierungsbildung. Entgegen der üblichen Praxis hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen vorerst keinen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. In einer öffentlichen Erklärung bezeichnete er die aktuelle Lage als „alles andere als üblich“. Ist jetzt die sogenannte „Zuckerl-Koalition“ von ÖVP und SPÖ mit den Liberalen von NEOS ein möglicher Ausweg, während man in Deutschland über die Brombeer-Koalition diskutiert?
Die rechtspopulistische FPÖ ging mit fast 29 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft aus der Wahl hervor. Dies markiert ihr bestes Ergebnis bei einer Nationalratswahl. FPÖ-Chef Herbert Kickl besteht darauf, als Wahlsieger die Koalitionsverhandlungen zu führen. Allerdings haben alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgeschlossen.
FPÖ-ÖVP oder „Zuckerlkoalition“ in Österreich?
Die konservative ÖVP von Kanzler Karl Nehammer erlitt starke Verluste und fiel auf 26,5 Prozent zurück. Die sozialdemokratische SPÖ blieb mit 21 Prozent auf dem Niveau ihres bisherigen Rekordtiefs und ist nun nur noch drittstärkste Kraft im Nationalrat.
Van der Bellen sprach von einer „politischen Pattsituation“ und rief insbesondere FPÖ, ÖVP und SPÖ zu weiteren Gesprächen auf. Er möchte Klarheit darüber, welche Kooperationen grundsätzlich möglich wären. Der Bundespräsident gab den Parteien Zeit bis Ende nächster Woche, um ihre Positionen zu klären.
Bundespräsident Van der Bellen gegen „leere Kilometer“
Mit seinem Vorgehen weicht Van der Bellen von der üblichen Praxis ab, der stärksten Partei den Regierungsbildungsauftrag zu erteilen. Er betonte, dass es keinen Sinn ergebe, Koalitionsverhandlungen zu führen, wenn diese von vornherein zum Scheitern verurteilt seien. „Wir brauchen Klarheit. Was wir nicht brauchen, sind leere Kilometer“, so der Bundespräsident.
Zuckerl-Koalition oder FPÖ-Kanzler
Den Begriff „Zuckerl-Koalition“ hat unterdessen das Boulevardblatt „Krone“ gemünzt. Es bezieht sich damit auf die Bonbon-Farben der möglichen Partner ÖVP (Türkis), SPÖ (Rot) und NEOS (Pink).
Eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme im Nationalrat hätte darüber hinaus auch eine große Koalition aus ÖVP und SPÖ. Diese Formel ist bei den Österreichern allerdings relativ unbeliebt, da die beiden Traditionsparteien über sehr lange Zeit fast alles im Staat per Proporz unter sich aufzuteilen pflegten. Scherzhaft war dabei auch die Rede von der „roten und schwarzen Reichshälfte“, denn die ÖVP hatte früher wie ihre deutsche Schwesterparteien CDU/CSU die Farbe Schwarz.
Nationalratswahl 2024 in Österreich
- 1. FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs): 29,21%
- 2. ÖVP (Österreichische Volkspartei): 26,48%
- 3. SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs): 21,05%
- 4. NEOS: 8,96%
- 5. Grüne: 8,03%
Bierpartei und KPÖ blieben beide bei etwa 2 Prozent und schafften es nicht über die Vier-Prozent-Hürde.
Kickl will Kanzler werden
Die Situation wird aktuell dadurch erschwert, dass FPÖ-Mann Herbert Kickl darauf beharrt, nur mit ihm selbst als Kanzler in eine Regierung einzutreten. Außerdem wird der linke SPÖ-Chef Andreas Babler parteiintern in Frage gestellt und möglicherweise von Rudi Fußi herausgefordert. Sollten die Verhandlungen aufgrund solcher Querelen scheitern, wäre auch eine Koalition aus ÖVP und FPÖ möglich – das Wort „Brandmauer“ ist in Österreich (fast) unbekannt. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob der bisherige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Amt bleiben könnte oder zugunsten von Kickl zurücktreten müsste. Vieles spricht daher tatsächlich für die „Zuckerl-Koalition“.
Schuldenberg für mögliche „Zuckerl-Koalition“
Bis zur Bildung einer neuen Regierung bleibt die abgewählte Regierung aus ÖVP und Grünen geschäftsführend im Amt. Die Ernennung eines neuen Bundeskanzlers („Angelobung“) obliegt Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Wie es heißt, müssten die „Zuckerl-Parteien“ jedoch erst einmal ordentlich sparen, da ihre Vorgänger einen Schuldenberg hinterlassen. Österreich befindet sich derzeit in einer zweijährigen Rezession, die wesentlich stärker ausfällt als im vielkritisierten Ampel-Deutschland mit Wirtschaftsminister Robert Habeck.