Zur Prüfung kommt der Doppelgänger
ExklusivDie Zahl der Betrugsversuche bei der Führerscheinprüfung steigt, die Methoden werden immer dreister – Fahrlehrerverbände und Prüfgesellschaften fordern härtere Gesetze
Fußballer mit viel Geld, Ausländer ohne Sprachkenntnisse, Deutsche mit Hang zur Faulheit – sie alle versuchen, sich den Führerschein zu erschleichen. Die Methoden sind teils unglaublich.
Stuttgart In über 30 Jahren Berufserfahrung sieht man so einiges. Besonders, wenn man versucht, Anfänger zu Autofahrern zu machen. Doch was ein Fahrlehrer aus Stuttgart vor einiger Zeit erlebt hat, fällt komplett aus dem Rahmen. Ein junger Mann aus Nigeria stand da in seinem Büro. Er wolle den Führerschein machen, sagte er. Gesagt, getan – kurz darauf folgt die erste Fahrstunde. Und der Lehrer staunt nicht schlecht. Denn der Mann fährt wie ein Profi. „Nicht nur Fahrzeugbedienung, sondern auch Beobachtung des Verkehrs, Gefahrenerkennung, soziales Verhalten, alles da. Das gab es in dieser Konstellation noch nie“, erinnert sich der Fahrlehrer.
Längeres Üben ist nicht notwendig. Es geht sofort mit den Sonderfahrten weiter. Der Kunde zieht das ganze Programm in nur drei Tagen durch und lässt sich zur Prüfung anmelden. Auch dabei läuft alles glatt. Bei der Praxis wundert sich auch der Prüfer. Aber ein Verdacht kommt zunächst nicht auf. Bis der Fahrlehrer zwei Wochen später mit einem anderen Schüler auf Übungsfahrt unterwegs ist. Dabei kommt er am Stuttgarter Westbahnhof vorbei. Er weiß, dass eine andere Fahrschule bei einem anderen Prüfer an diesem Tag dort ihre Termine hat. Und wer steht am Straßenrand und wartet auf seine Prüfungsfahrt? Derselbe junge Mann aus Afrika. Als er das Fahrzeug sieht, wendet er sich schnell ab. „Da hat es bei mir klick gemacht“, sagt der Fahrlehrer.
Er forscht nach, und es stellt sich heraus, dass der Kunde unter anderem Namen erneut die Prüfung bestanden hat. Den Beteiligten fällt ein, dass die Fotos in den vorgezeigten Ausweisen dem Mann zwar ähnlich sahen – aber ob er es tatsächlich war, können sie nicht beschwören. Es ist klar: Der Mann hat die Prüfung als Doppelgänger für ähnlich aussehende Landsleute abgelegt. Die Behörden, denen der Fall gemeldet wird, können ihn letztlich nicht mehr klären.
Betrugsversuche bei der Führerscheinprüfung gibt es in den vergangenen Jahren immer mehr. Die Methode mit Doubles wird auch von Fahrlehrern aus Berlin berichtet. Vor einigen Jahren sind dort sowie in Niedersachsen zudem einige Prüfer und Fahrlehrer aufgeflogen, die sich haben bestechen lassen, damit die Prüflinge sicher zur Fahrerlaubnis kommen. Zu den Kunden zählten auch Dutzende Bundesliga-Fußballer zumeist aus dem Ausland, die sich für viel Geld die Scherereien sparen wollten.
In den meisten Fällen wird aber bei der Theorie getrickst. In Stuttgart ist auch dabei schon einmal ein Doppelgänger aufgeflogen. Im Normallfall greifen die Betrüger aber zu raffinierter Technik. Mit Minikameras im Knopfloch oder Brillenbügel filmen sie die Fragen ab. Ein Komplize draußen flüstert über winzige Knöpfe im Ohr die Antworten ein. „Die Dinger sind so klein, dass man sie manchmal mit Pinzetten oder Magneten rausfischen muss, falls der Prüfling auffliegt“, weiß Arne Böhne, Führerscheinexperte beim Tüv Rheinland. Von sich aus Kandidaten absuchen dürfen Prüfer nicht.
Organisiert wird der Betrug häufig von Banden, die dafür vierstellige Summen kassieren. Sie stellen die Technik zur Verfügung und geben die Antworten durch. „Die warten manchmal sogar vor den Prüfungslokalen und sprechen die Leute an, die offenkundig durchgefallen sind“, erzählt Böhne. Es handle sich um organisierte Kriminalität: „Das ist nicht der große Bruder, der da hilft.“
Der Tüv Rheinland ist die einzige der vier in Deutschland zugelassenen Fahrerlaubnis-Prüfgesellschaften, die die Zahl der Fälle zumindest grob erfasst. „Wir gehen davon aus, dass in den vergangenen Jahren bei 0,1 Prozent der theoretischen Prüfungen eine Manipulation festgestellt worden ist“, sagt Böhne. Im eigenen Zuständigkeitsgebiet seien das im vergangenen Jahr rund 300 Betrüger gewesen, bundesweit hochgerechnet knapp 2000. „Das sind aber nur die, die wir erwischen. Die Dunkelziffer kennen wir nicht“, so der Experte. In einem genauer untersuchten Modellbezirk rund um Düsseldorf und Wuppertal habe man sogar eine Betrügerquote von 0,53 Prozent festgestellt. Auf dem Land sei sie dagegen geringer.
Gründe für die Tricksereien gibt es mehrere. Da ist zum einen die Sprachbarriere. „Manche Menschen beherrschen keine der zwölf Sprachen, in denen die Theorieprüfung mittlerweile möglich ist“, sagt Böhne. Andere seien schlicht „faul und haben Geld“. Und manche bekämen es einfach nicht hin, eine Prüfung zu bestehen, und griffen dann zu illegalen Mitteln.
Wobei das mit der Illegalität so eine Sache ist. Denn als Straftat wird der Betrug nicht gewertet. Damit ist eine Verfolgung der Betrüger und vor allem der Hintermänner kaum möglich. Ertappten droht lediglich eine Sperrung für die nächste Prüfung zwischen drei Wochen und sechs Monaten. In extremen Fällen kann zumindest in einigen Bundesländern auch die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), im Volksmund der Idiotentest, zur Anwendung kommen. Experte Böhne bedauert, dass das nicht flächendeckend gemacht wird: „Ich denke, wer von vornherein die Regeln zum Erwerb einer Fahrerlaubnis bewusst und vorsätzlich umgeht, der ist wohl kaum geeignet zur Teilnahme am Straßenverkehr.“
Mit dieser Meinung steht der Mann vom Tüv Rheinland nicht allein. Fahrlehrerverbände und Prüfgesellschaften fordern unisono, die Gesetzeslage zu verändern und härter durchzugreifen. Die Bundesregierung sieht dazu trotz aller Alarmsignale aber bisher keine Veranlassung. Immer wieder kommt zudem der Hinweis, dass dann auch das Abschreiben etwa beim Abitur strafbar würde. „Wir wissen, dass das Thema Straftat schwierig ist. Aber wenn jemand eine kriminelle Dienstleistung einkauft und dafür eine vierstellige Summe bezahlt, hat das schon eine andere Qualität als ein Spickzettel“, sagt Böhne. Es gehe schließlich um die Sicherheit des Straßenverkehrs. Und beispielsweise sei das Zurückdrehen eines Tachos beim Autoverkauf auch strafbar.
Doch in Berlin ziehen diese Argumente bisher nicht. Deshalb versucht die Staatsanwaltschaft in Bonn derzeit, über einen Umweg Strafen zu erreichen. Sie ermittelt gegen sechs Prüflinge, die mithilfe von Kameras tricksen wollten. Der Vorwurf lautet aber nicht Betrug, sondern Verstoß gegen das Telekommunikationsgesetz. Sie sollen mittels einer getarnten Sendeanlage heimlich Fotos aufgenommen haben, was in einigen Fällen strafbar sein kann. Zwar steht die Anklage auf dünnem Eis, aber die Prüfgesellschaften verfolgen sie mit Spannung.
Und sie reagieren selbst. Sie unterhalten in Dresden eine gemeinsame Arbeitsgemeinschaft, die Arge tp 21. In ihr sind die vier Organisationen vertreten, die in Deutschland Fahrerlaubnisprüfungen abnehmen dürfen: Dekra, Tüv Süd, Tüv Rheinland sowie Tüv Nord. „Wir stellen zum Beispiel die Software für die Prüfungen zur Verfügung“, sagt Geschäftsführer Mathias Rüdel. Zum 1. Januar habe man das System so umgestellt, dass bei der Dokumentation durch die Prüfer Betrugsversuche gezielt erfasst werden. „Wir werden als Grundlage für alle weiteren Überlegungen in diesem Jahr erstmals exakte Kenntnisse bekommen, wie oft Betrüger ertappt werden und mit welchen Methoden sie arbeiten“, so Rüdel.
Im Vergleich zu den technischen Tricksereien kommen die plumpen Betrugsversuchen mit Doppelgängern relativ selten vor. „Uns ist aber schon bekannt, dass so etwas versucht wird“, sagt Andreas Stoll, der beim Tüv Süd für die Fahrerlaubnisprüfungen in Stuttgart, dem Landkreis Esslingen und dem Rems-Murr-Kreis zuständig ist. Er selbst kenne einen Fall, bei dem einem Prüfer aufgefallen ist, dass ein Schüler nicht so recht zum vorgezeigten Ausweis passen wollte. Die Prüfung sei daraufhin abgelehnt worden. „Es ist schwierig, so etwas festzustellen“, sagt Stoll. Man schaue deshalb nicht nur aufs Foto, sondern gleiche weitere Merkmale wie die Körpergröße ab.
Auch der Stuttgarter Fahrlehrer ist seit seinem Erlebnis mit dem vermeintlichen Top-Fahrschüler vorsichtiger geworden. Er achte mehr darauf, „ob mir etwas merkwürdig vorkommt“, sagt er. Schließlich wisse niemand, wie viele Leute inzwischen auf der Straße unterwegs sind, die ihren Führerschein nie selbst gemacht haben.