Zwei Kinder, zwei Mütter und kein Vater
Wir sind Familie (5): Die gleichgeschlechtlichen Eltern Marina und Andrea Bohn haben sich ihren Kinderwunsch mittels Samenspende erfüllt
Kinder wollten Marina und Andrea Bohn schon immer haben. Heute sind sie Eltern von den Zwillingen Henry und Hugo. Die vier wirken quietschfidel und zufrieden. Es war kein einfacher Weg zum familiären Glück für das Paar. Zwei Kinder, kein Vater, dafür zwei Mütter – eine Regenbogenfamilie hat Seltenheitswert.
Von Nicola Scharpf
WEISSACH IM TAL. Schubladen auszuräumen, ist eine der Lieblingsbeschäftigungen von Henry und Hugo gewesen. Und Schubladen wieder einzuräumen, ist eine der häufigsten Beschäftigungen von Andrea Bohn gewesen. Die 35-Jährige ist die Mutter der beiden kleinen Weltentdecker und hat das getan, was viele Mütter im ersten Lebensjahr ihrer Kinder machen: Wohnung aufräumen und Windeln wechseln, Fläschchen geben und Brei füttern, kuscheln und trösten, spielen und erziehen. Inzwischen gehen die knapp zweijährigen Zwillinge in die Kinderkrippe, lieben es, Bagger zu spielen, in Büchern zu blättern oder Baustellenfahrzeuge zu beobachten. Inzwischen hat Andrea Bohn wieder begonnen, in ihrem Beruf als Erzieherin zu arbeiten.
So weit, so typisch für den Lauf einer jungen Familie mit kleinen Kindern. Ungewöhnlich ist: Henry und Hugo kennen ihren Vater nicht. Dafür haben die Zwillinge zwei Mütter. Mamandrea und Mamarina möchten die beiden gerne von ihren Kindern genannt werden und versuchen, ihnen das beizubringen. „Keiner wollte die Mami sein“, erklärt Andrea Bohn, wie es zu ihren Namensgebungen kam. Also haben sie und ihre Frau Marina ihre Vornamen etwas abgewandelt und vermütterlicht. Verwirklicht ist der Wunsch bislang nicht. „Die Kinder sagen leider nicht Mamandrea und Mamarina. Sie rufen uns beide mit Mama. Vielleicht kommt es noch irgendwann, dass sie etwas selbst erfinden, um uns zu unterscheiden.“
Wenn die Zwillinge 18 Jahre alt sind, dürfen sie erfahren, wer ihr Vater ist
Andrea und Marina haben sich 2006 während einer Kur kennen und lieben gelernt. 2010 haben sie sich verpartnert, im Februar 2018 geheiratet und am 17. Juli desselben Jahres sind die Zwillinge Henry und Hugo auf die Welt gekommen. „Der Kinderwunsch war immer da“, sind sich Andrea und Marina Bohn von Anfang an einig. Im März 2017 rückt ihr Traum von einer Familie in greifbare Nähe: Die beiden erfahren, dass eine künstliche Befruchtung mittels Samenspende in Deutschland für sie möglich und erlaubt ist. Denn ins Ausland wollten die Bohns für diese Behandlung nicht gehen.
Drei Monate später findet das erste Infogespräch in einer Kinderwunschklinik statt. Andrea und Marina Bohn wälzen Datensätze mit Lebensläufen und Fotos, wählen bei einer dänischen Samenbank schließlich den passenden Samenspender aus. Im August 2017 fahren die beiden Frauen in den Urlaub und anschließend beginnt bei Andrea Bohn die Hormontherapie, an die sich die Entnahme der Eizellen anschließt. Am ersten Dezember werden ihr befruchtete Eizellen eingesetzt und ein paar Tage vor Weihnachten erfahren Andrea und Marina Bohn, dass sie Zwillinge bekommen werden. Die Schwangerschaft, vor allem die Anfangswochen, ist geprägt von Hoffen und Bangen, von Höhen und Tiefen. Fünf Wochen vor ihrem errechneten Geburtstermin kommen Henry und Hugo zwar klein und leicht, aber gesund zur Welt. Nach fünf Tagen dürfen die vier Bohns das Krankenhaus verlassen und nach Hause.
Das Leben mit Neugeborenen – im Doppelpack noch dazu – ist ohnehin auf den Kopf gestellt. Für Andrea und Marina Bohn beginnt zusätzlich das langwierige, antrags- und hürdenreiche Verfahren der Adoption. Denn Andrea Bohn als diejenige, die die Zwillinge geboren hat, ist offiziell zunächst alleinerziehend. „Aber die Entscheidung bewusst für die Kinder haben wir ja gemeinsam getroffen“, sagt Marina Bohn. „Den Antrag auf Adoption haben wir beim Notar acht Wochen nach der Geburt eingereicht. Bis die Adoption durch war, hat es ein halbes Jahr gedauert. Das Jugendamt war bei uns zu Hause und auch ein Richter, um sich das Umfeld der Kinder anzusehen.“ Wenn Henry und Hugo 18 Jahre alt werden, dürfen sie erfahren, wer ihr Vater ist. So ist es vertraglich mit der Samenbank geregelt. Bis dahin bleiben den Zwillingen ein Kinderfoto von ihrem Erzeuger und Berichte über das, was ihre Mütter über ihn wissen. Das ist zwar nicht viel, er ist zum Beispiel Polizist und lebt in Dänemark. Trotzdem liegt im Kinderzimmer eine Mappe über ihn, die sich die Kinder anschauen können. Ihre Eltern erkennen in jedem ihrer beiden Kinder Ähnlichkeiten zum Kinderfoto des Mannes. „Offenheit ist wichtig für die Kinder“, sind Andrea und Marina Bohn überzeugt. Sie haben von Anfang an gesagt: „Entweder wir leben das offen oder gar nicht. Wir möchten keine Geheimnisse haben, darin verstrickt man sich nur. Ehrlichkeit zahlt sich aus.“
Als männliche Bezugspersonen haben die Zwillinge ihren Opa und ihren Onkel im unmittelbaren Umfeld. „Sie lieben den Opa“, betonen die beiden Frauen, die in einem Dreigenerationenhaus wohnen und sich als Familienmenschen bezeichnen. „Der Rückhalt ist für uns wichtig“, sagt Marina Bohn und fügt nach kurzem Überlegen hinzu: „Wir sind eigentlich konservativ.“
Für ihren Traum von einer Familie haben Andrea und Marina Bohn eine hohe Summe ausgegeben. Ihnen ist bewusst, dass nicht jedes Paar mit Kinderwunsch das finanzieren kann. Es war für die Bohns in vielerlei Hinsicht ein anstrengender, mitunter problematischer Weg, Familie zu werden. Dennoch haben sie vor, ihn nochmals zu gehen. Henry und Hugo sollen ein Brüderchen oder Schwesterchen bekommen – mithilfe des gleichen Samenspenders. „Es gibt nichts Schöneres, als morgens das Strahlen der Kinder zu sehen“, schwärmt Marina Bohn.