Zwei Konfessionen, eine Gemeinschaft in Allmersbach im Tal

Vor 50 Jahren wurden in Allmersbach im Tal direkt nebeneinander und zeitgleich ein evangelisches und ein katholisches Gemeindezentrum mit Kirche errichtet. Dadurch entstand zwischen den Gemeinden eine enge Verbundenheit, die in Deutschland ihresgleichen sucht.

Die beiden ehemaligen Pfarrer Wolfgang Kraus (links) und Hermann Dippon, bei einem ökumenischen Gottesdienst in Allmersbach. Archivfotos: privat

Die beiden ehemaligen Pfarrer Wolfgang Kraus (links) und Hermann Dippon, bei einem ökumenischen Gottesdienst in Allmersbach. Archivfotos: privat

Von Anja La Roche

Allmersbach im Tal. Am Rande des historischen Ortskerns von Allmersbach stehen ein evangelisches und ein katholisches Gemeindezentrum mit Kirche direkt nebeneinander. Zwischen den Betonbauten aus dem Jahr 1973 gibt es keinerlei Abgrenzung, im Gegenteil. Das Grundstück wird gemeinschaftlich geteilt und war Ort zahlreicher gemeinsamer Feste und ökumenischer Gottesdienste. Wie kam es dazu, dass die beiden konfessionellen Gruppen in Allmersbach zur gleichen Zeit und auf dem gleichen Grundstück ihr Zentrum errichteten? „Wir wissen von keiner anderen Kirche in Deutschland, bei der das auch so ist“, sagt Dieter Handel, evangelisches Mitglied des Kirchengemeinderats. Um diese besondere Verbundenheit wird es auch beim Jubiläumsfest gehen, das am morgigen Freitag stattfindet (siehe Infotext).

Allmersbach war eigentlich rein evangelisch. Aber in den 50er- und 60er-Jahren zogen besonders viele junge Familien zu, unter anderem wegen der Nähe zu Backnang und der dortigen Firma Telefunken (heutige Tesat-Spacecom). „Allmersbach war die am stärksten wachsende Gemeinde des Kirchenbezirks Backnang“, sagt Handel. Die Zahl an evangelischen und nun auch katholischen Einwohnern explodierte geradezu. Und in den beiden christlichen Gemeinden wuchs nach und nach der Wunsch, mehr Platz für die Gemeinschaft zu haben.

Auf einem Grundstück zu bauen, das war nicht gleich selbstverständlich

Weil ein Neubau teuer ist, musste die evangelische Kirchengemeinde die alte Dorfkirche St. Anna an die bürgerliche Gemeinde verkaufen. Der Gemeinderat unter dem damaligen Allmersbacher Bürgermeister Wilhelm Schadt machte den Kauf der alten Kirche allerdings davon abhängig, dass die beiden Kirchengemeinden ihre Zentren nebeneinander errichten; er hatte ein bestimmtes Grundstück im damaligen Neubaugebiet Im Wacholder im Sinn, welches zum Verkauf stand und etwa 6400 Quadratmeter maß. Genau dazu kam es dann auch, trotz anfänglicher Widerstände: Die katholische Kirche, die das besagte Grundstück bereits erworben hatte, verkaufte die Hälfte an die evangelische Kirche. Die neuen Gemeindezentren wurden zeitgleich nebeneinander, aber von unterschiedlichen Architekten errichtet. Die alte Dorfkirche blieb als Andachts- und Kirchenraum erhalten.

Die St. Martinskirche am Tag der Einweihung im Jahr 1973.

Die St. Martinskirche am Tag der Einweihung im Jahr 1973.

So bekam Allmersbach eine moderne katholische Kirche mit Bänken, die nicht frontal auf den Altar ausgerichtet waren, sondern um diesen herum. „Die Form der Anlage war ein Symbol des neuen Denkens“, sagt die katholische Zeitzeugin Elfriede Lüer in einem für das Jubiläumsfest aufgenommenen Video. Unter dem Kirchenraum befindet sich der Gemeinschaftsraum. Noch moderner wurde der Altarraum im evangelischen Gemeindezentrum gestaltet: statt Bänken stehen dort Stühle, die eine flexible Raumnutzung ermöglichen. „Von beiden Seiten war das sehr innovativ“, sagt Roland Peyer, katholisches Mitglied des Kirchengemeinderats. Die Neubauten wurden am 11. November 1973 feierlich eingeweiht. Dieser Tag ist auch der katholische Feiertag St. Martin, dessen Name die neue katholische Kirche fortan trug. Zur Einweihung spielten der evangelische und der katholische Posaunenchor in der St. Martinskirche. Der evangelische Posaunenchor begleitet den Martinsumzug bis heute.

Und das Miteinander hörte mit der Einweihungsfeier nicht auf. „Wir haben viel voneinander gelernt“, erzählt Lüer. Sie berichtet beispielsweise von gemeinsamen Bibelabenden, welche im Katholischen eigentlich unüblich waren und bei denen sich die Teilnehmer rege austauschten. Seit etwa 30 Jahren feiern die beiden Gemeinden mit dem „Fest zwischen den Kirchen“ an Christi Himmelfahrt einen ökumenischen Gottesdienst und auch die Nachbarschaftshilfe ist konfessionsübergreifend. Auch der Weltgebetstag der Frauen wurde stets gemeinsam vorbereitet, abwechselnd im katholischen oder im evangelischen Zentrum.

Eine liberalere Gesellschaft und eine starke Gemeinschaft machten es möglich

„Dieses Nebeneinander wäre 20 Jahre früher nicht möglich gewesen“, sagt Peyer. Er führt dies auch darauf zurück, dass die katholische Kirche mit dem zweiten Vatikanum andere Kirchen anerkannt hatte und die Gesellschaft generell liberaler geworden war. Viele Menschen hätten sich nun auch getraut „Querbeet“ zu heiraten. Für Walter Theurer, heute 91 Jahre alt, tat sich diese ökumenische Fortschrittlichkeit in Allmersbach aber besonders wegen der guten Gemeinschaft hervor. „Der Zusammenhalt ist auf der unteren Ebene entstanden. Und der ist tragbar geworden, bis heute“, sagt er.

Das symbolisiert nicht zuletzt der Glockenturm, der zwischen den beiden Gemeindezentren im Jahr 1993 errichtet wurde. Er gehört zwar der evangelischen Gemeinde, doch eine der vier Glocken ist katholisch und der Turm hat für die Einwohner beider Konfessionen gleichermaßen eine symbolische Bedeutung: Hier ist das Zentrum der Kirchen von Allmersbach im Tal, hier sind sie daheim. Und so soll auch der künftige Weg ein gemeinsamer sein: „Wir leben unsere Gemeinde weiterhin, auch bei kleiner werdenden Mitgliederzahlen“, sagt Handel. „Unser Plan ist, gemeinsam durchs Leben zu gehen, als Nachbarn“, ergänzt Peyer.

Jubiläumsfest am Freitag

Festakt Am morgigen Freitag, 24. November, um 19 Uhr laden die evangelische und die katholische Kirchengemeinden Allmersbach im Tal herzlich zu einem gemeinsamen Festakt ins evangelische Gemeindezentrum, Im Wacholder 1, ein.

Programm Die Besucher können sich auf ein buntes Rahmenprogramm mit verschiedenen Grußworten und Berichten von Zeitzeugen freuen. So werden auch der evangelische und katholische Dekan sowie die Bürgermeisterin Patrizia Rall sprechen. Der Posaunenchor umrahmt das Fest musikalisch und im Anschluss gibt es eine Bewirtung durch die Landfrauen Weissacher Tal.

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Erstellt:
23. November 2023, 06:00 Uhr

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