Palmer will Hebesatz rückwirkend erhöhen

Zwei Millionen fehlen – was lief schief bei der Grundsteuer in Tübingen?

Tübingen fehlen rund zwei Millionen Euro, die eigentlich durch die Grundsteuer eingenommen werden sollen. OB Boris Palmer will deshalb den Hebesatz deutlich erhöhen – rückwirkend. Haus&Grund zweifelt an der Erklärung der Stadt.

Boris Palmer kündigt an, die Hebesätze für die Grundsteuer rückwirkend zum 1. Januar zu erhöhen.

© imago/imagebroker, dpa/Jan-Philipp Strobel

Boris Palmer kündigt an, die Hebesätze für die Grundsteuer rückwirkend zum 1. Januar zu erhöhen.

Von Florian Dürr

Tausende Grundstückseigentümer in Tübingen könnten heute eigentlich Gewissheit haben, wie viel Grundsteuer B sie für das laufende Jahr bezahlen müssen. Eigentlich. Zwar wurden bereits Ende Januar die Grundsteuerbescheide für 2025 verschickt und landeten in den Briefkästen der Eigentümer. Doch auf dem Papier wird noch mit dem Hebesatz von 270 Prozent multipliziert. Und der wird sich für das laufende Jahr nochmal deutlich erhöhen – auf mindestens 300 Prozent, eher höher, und rückwirkend zum 1. Januar, wie OB Boris Palmer (parteilos) ankündigt: „Wir müssen die Grundsteuer erhöhen, damit wir einen genehmigungsfähigen Haushalt haben.“

Tübingen hat sich am Hebesatzkorridor des Finanzministeriums orientiert

Denn die Stadt hat festgestellt, dass mit dem im vergangenen November festgelegten Hebesatz von 270 Prozent für das Jahr 2025 rund zwei Millionen Euro in der Stadtkasse fehlen werden. Geld, das Tübingen eigentlich mit der Steuer einnehmen wollte. Was lief schief? „Der vom Finanzministerium vorgegebene Hebesatzkorridor, der als Basis für die Festsetzung diente“ war „nicht realistisch“, hieß es in einer Vorlage für eine Sitzung des Verwaltungsausschusses Ende März.

In diesem sogenannten Transparenzregister des Ministeriums können Bürger die möglichen Hebesätze für eine bestimmte Stadt oder Gemeinde abrufen, die laut dem Haus von Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) aufkommensneutral sind – also so, dass die jeweilige Kommune durch die Grundsteuerreform im Jahr 2025 nicht mehr Geld einnimmt als vor der Reform.

Der Gemeindetag Baden-Württemberg hat das Transparenzregister „von Anfang an abgelehnt“, wie ein Sprecher mitteilt. Denn Städte und Gemeinden könnten „in unbegründete Erklärungsnöte geraten“, wenn der „tatsächlich aufkommensneutrale Hebesatz vor Ort in manchen Fällen legitimer Weise oberhalb des Hebesatzkorridors liegen könnte“, heißt es. Außerdem handele es sich bei den Hebesatzkorridoren um eine Hochrechnung zum Stand 17. Oktober 2024.

Haus&Grund zu Tübingens Erklärung: „Eine fadenscheinige Ausrede“

Zwischen 257 und 284 Prozent lagen die möglichen Hebesatzwerte für Tübingen. Mit 270 Prozent hat die Stadt also die Mitte gewählt – was für die Einnahmenprognosen bedeutet: nur rund 19 Millionen Euro durch die Grundsteuer statt wie im Vorjahr etwa 21 Millionen Euro. Zu wenig in der angespannten finanziellen Lage, in der sich Tübingen derzeit befindet.

Doch die Erklärung mit dem Verweis auf die Daten des Finanzministeriums lässt Sebastian Nothacker nicht gelten: „Das ist eine fadenscheinige Ausrede, um die Grundsteuererhöhung, die Palmer schon im Januar angekündigt hat, nachträglich zu rechtfertigen“, sagt der Vorstand von Haus&Grund Württemberg. „Selbst wenn der Korridor vom Finanzministerium falsch war, hätte die Stadt nachrechnen können. So schwierig ist das nicht, das ist keine große Rechenleistung“, sagt Nothacker. Alle anderen Städte und Gemeinden im Land seien auch in der Lage gewesen, die für die Grundsteuer passenden Hebesätze zu berechnen.

Verband für Eigentümer: „Keine verlässliche Politik“

Dass Palmer nun den Hebesatz rückwirkend erhöhen will, um die fehlenden zwei Millionen Euro einzunehmen, ärgert Nothacker: „Die Städte können die Hebesätze ja anheben, aber nicht innerhalb von wenigen Monaten für den gleichen Zeitraum.“ Rein rechtlich ist es den Kommunen jedoch bis zum 30. Juni erlaubt, die Hebesätze rückwirkend zum 1. Januar für das laufende Jahr zu erhöhen.

„Wenn man als OB und Gemeinderat aber einigermaßen verlässliche Politik machen will, dann muss man den Bürgern die Garantie geben, dass der beschlossene Hebesatz für 2025 gilt“, sagt Nothacker. Ihm sei keine andere Stadt im Südwesten bekannt, die so verfährt wie Tübingen. Auch der Gemeindetag Baden-Württemberg teilt mit: „Bestrebungen zur nachträglichen Anpassung der Hebesätze sind uns aus unserer Mitgliedschaft derzeit nicht bekannt.“

Finanzministerium: Werte des Hebesatz-Korridors könnten sich erhöht haben

Palmer kann den Ärger von Haus&Grund nicht nachvollziehen, man habe als Stadt auch selbst gerechnet – nur eben auf Basis der „falschen“ Daten des Finanzministeriums. Zudem fehlten zum Jahreswechsel circa zehn Prozent der für die Berechnung notwendigen Messbescheide. „Niemand hat sich verrechnet“, verteidigt sich der studierte Mathematiker.

Das Finanzministerium zeigt sich auf Anfrage überrascht, bisher habe sich lediglich die Stadt Mannheim mit Fragen zum Hebesatzkorridor gemeldet, man habe den Fall aber „auf Fachebene“ klären können. Dass es in Tübingen zu Problemen kam wegen der Daten des Ministeriums sei nicht bekannt gewesen.

Jetzt prüft das Ministerium die Werte für die Unistadt, teilt ein Sprecher mit: „Die uns für Tübingen vorliegenden, noch ungeprüften Zahlen deuten darauf, dass sich die Werte der Range seit Oktober 2024 erhöht haben könnten.“ Dann hätten „weder wir noch die Stadt falsch gerechnet, sondern sich die Werte gegebenenfalls noch mal verändert“, heißt es.

Man habe zwar keinen vollständigen Überblick zu den Hebesätzen aller Kommunen, aber außer Tübingen sei bislang keine andere Stadt oder Gemeinde bekannt, die nachjustieren wolle wie es OB Palmer vorhat.

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Erstellt:
26. April 2025, 12:16 Uhr

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