Eine besondere Freundschaft

Zwischen Davidstern und Mondsichel

Zwei junge Männer unterschiedlichen Glaubens aus Baden-Württemberg sprechen an Schulen über ihre Erfahrungen zu den Themen Religion und Extremismus – und wie sie es schaffen, trotz ihrer Unterschiede befreundet zu sein.

Kiril (links) und Furkan gelten unter ihren Kollegen scherzhaft als „das Paar, das den Nahostkonflikt lösen könnte.“

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Kiril (links) und Furkan gelten unter ihren Kollegen scherzhaft als „das Paar, das den Nahostkonflikt lösen könnte.“

Von Sophie Brosch

Auf den ersten Blick führen Furkan Yüksel (28) und Kiril Leor Denisov (25) eine Freundschaft wie viele Männer: Sie teilen ihre Leidenschaft für Videospiele und Anime-Serien, fahren gemeinsam in den Urlaub und lachen über dieselben albernen Witze. Doch ihre Verbindung ist alles andere als selbstverständlich: Furkan ist gläubiger Muslim, Kiril ist Jude. Während viele Beziehungen zwischen Juden und Muslimen am Nahostkonflikt zerbrechen, zeigen sie, dass es auch anders geht.

Witze mit Konfliktpotenzial

Jüdisch-muslimischer Kulturtag in Tübingen. Die Teilnehmer sitzen beim gemeinsamen Abendessen. Es gibt Falafel, Hummus und andere Spezialitäten aus dem Nahen Osten. Wir treffen uns etwas abseits mit Furkan und Kiril zum Gespräch. Die beiden haben die Veranstaltung mit organisiert. Als wir die Aufnahme starten, legt Furkan los: „Die Juden kontrollieren die Welt”, sagt er und lacht. Kiril lacht lauthals mit. Es dauert kurz, bis sie sich wieder beruhigt haben. Ein Witz mit Konfliktpotenzial. Doch der Raum des Sagbaren zwischen Furkan und Kiril ist groß. Unter ihren Kollegen gelten sie scherzhaft als „das Paar, das den Nahost-Konflikt lösen könnte”. Ihre Freundschaft wirkt unerschütterlich, so als würden sie sich schon ewig kennen.

Zum ersten Mal sind sich die beiden 2021 begegnet, bei einer Botschafterschulung für das jüdisch-muslimische Bildungsprojekt „Schalom und Salam” in Stuttgart. Das Projekt will den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken, indem es über Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus aufklärt. Schon damals war der Konflikt zwischen Israel und der Hamas so weit eskaliert, dass es auch in Deutschland zu Ausschreitungen kam. Furkan und Kiril waren die einseitig geführten Debatten leid. Sie suchten nach einem Umfeld, in dem differenzierter über den Nahostkonflikt gesprochen wird. „Bei der Schulung in Stuttgart hat es zwischen uns direkt geklickt“, erinnert sich Kiril an ihre erste Begegnung. So offen waren die zwei allerdings nicht immer.

Abdriften in Verschwörungstheorien

Furkan ist im ländlichen Raum in der Nähe von Heilbronn aufgewachsen, in der „schwäbischen Toskana”, wie er erzählt. Lange Zeit habe er nicht einmal gewusst, dass Juden überhaupt existieren. Bei einem Schulausflug in eine Synagoge sei der muslimisch erzogene Sohn türkischer Einwanderer das erste Mal mit dem jüdischen Glauben in Kontakt gekommen – und habe einige Gemeinsamkeiten entdeckt: „Sie tragen eine Kopfbedeckung, wenn sie ins Gotteshaus gehen, so wie ich. Sie essen kein Schwein, so wie ich. Sie sind beschnitten, so wie ich.” Er habe sich jüdischen Menschen dadurch schnell verbunden gefühlt. Als Jugendlicher begann Furkan aber auf Empfehlung eines Bekannten, antisemitische Literatur zu lesen und tauchte immer tiefer in diverse Verschwörungstheorien ein. „Von da an habe ich die verklärte Idee eines Weltjudentums für Kriege, Armut, Kinderarbeit und Hunger verantwortlich gemacht”, erinnert er sich. Nach der Schule entschied er sich für ein Geschichtsstudium. Dabei seien seine Positionen immer öfter mit den Lehrinhalten in Konflikt geraten. In der Folge habe er Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus nach und nach abgelegt. Heute ist Furkan als Bildungsreferent mit Schwerpunkt Rassismus und Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft bei der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt tätig.

Kiril kam 2001 mit seiner Familie aus dem lettischen Riga nach Mannheim. Sie sind jüdische Kontingentflüchtlinge, seine Eltern halten ihre Identität geheim. „Meine Mutter und meine Oma haben mir gesagt: ‚Sag niemandem, dass du jüdisch bist, mach dich nicht zur Zielscheibe’. Und so habe ich es dann auch lange Zeit gemacht”, erinnert er sich. Wie Furkan berichtet auch Kiril von antisemitischen und rassistischen Stereotypen, die er in seiner Kindheit und Jugend aufgeschnappt habe. Im russischen Sprachraum seien vor allem Vorurteile gegenüber Türken verbreitet. „Ich habe als Teenager viele russische Geschichtsbücher gelesen, wovon ich vieles später verlernen musste.”

Durch einen Schulwechsel und die Aufnahme in ein Schülerstipendium für sozial benachteiligte Jugendliche habe er Freundschaften mit Muslimen geschlossen und seine Vorurteile hinterfragt. Während seines Studiums in Heidelberg habe er sich dann immer mehr mit seiner jüdischen Identität auseinandergesetzt und aktiv das Gemeindeleben gesucht. Inzwischen gibt sich der Lehramtsstudent für Politikwissenschaft und Russisch offen als Jude zu erkennen und trägt einen Davidstern.

Einst selbst von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus voreingenommen, klären Furkan und Kiril heute als Botschafter von „Schalom und Salam” über diese Themen auf. Als Tandem touren sie durch Deutschland. In den vergangenen beiden Jahren waren sie mehr als 70 Mal im Einsatz. An Brennpunktschulen fordern sie die Jugendlichen dazu auf, ihre Vorurteile zu äußern. Am Beispiel von Behauptungen wie „Juden sind gierig“ klären sie über gängige Stereotype auf und entkräften diese.

Nicht immer einer Meinung, aber respektvoll im Umgang

Obwohl sie manchmal unterschiedliche Meinungen verträten – als sie etwa zu Beginn des Gaza-Krieges über Todeszahlen und die Quellenlage diskutiert hätten – wollten sie einander nicht überzeugen. „Wir haben beide blinde Flecken und Wissenslücken und kein Problem damit, uns darauf anzusprechen”, sagt Kiril. Das sei nur durch wohlwollendes Zuhören möglich. Furkan betont: „Dialog kann nur stattfinden, wenn man davon überzeugt ist, dass man voneinander lernen kann.“

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Erstellt:
6. Februar 2025, 17:42 Uhr

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