EU-Kommission
Zwischen Sternstunde und Stimmengeschacher
Im Europarlament finden in diesen Tagen die Anhörungen der zukünftigen EU-Kommissare statt. Die Abgeordneten feiern es als Höhepunkt der parlamentarischen Demokratie, doch ist es vor allem ein hartes Ringen um Macht.
Von Knut Krohn
Im Europaparlament herrscht große Euphorie. „Die Anhörungen der designierten Kommissionsmitglieder im Europäischen Parlament sind eine Sternstunde der europäischen Demokratie“, frohlockt der CDU-Abgeordnete Peter Liese. Das klingt sehr zufrieden, doch spricht aus diesem Satz auch eine gewisse Frustration, denn die vom Volk gewählten Abgeordneten fühlen sich von der nicht gewählten, aber schier allmächtigen EU-Kommission stets in den Hintergrund gedrängt. Das ist in diesen Tagen nun anders, denn die Volksvertreter sitzen am Schalthebel – und sie tragen ihre zeitlich begrenzte Macht wie eine Monstranz vor sich her.
Das komplizierte Verfahren der Anhörungen
Die 26 Kandidaten und Kandidatinnen für die neue Kommission müssen vor den zuständigen Fachausschüssen des Parlaments Rede und Antwort stehen. Danach werden die Abgeordneten ihr Votum über jeden einzelnen Bewerber abgeben und Ende November wird in einer Plenarsitzung in Straßburg über die neue EU-Kommission abgestimmt. Die kann dann frühestens Anfang Dezember ihre Arbeit aufnehmen – wenn alle Kommissare in den Augen der Abgeordneten Gefallen finden. Wenn nicht, werden die durchgefallenen Kommissare wohl ausgetauscht und alles zieht sich weiter in die Länge, weil erneut abgestimmt werden muss. Auch Michael Bloss von den Grünen hebt das demokratische Element dieses Verfahrens hervor. „Das gibt es nicht einmal im Bundestag, dass die Abgeordneten die Zusammensetzung der Regierung mitbestimmen dürfen“, betont der Stuttgarter Parlamentarier.
Das Schaufenster der EU-Demokratie
Das ist die Schaufensterseite der europäischen Demokratie, allerdings ist das Auswahlverfahren der Kommissare im Parlament nicht immer so transparent, wie es nach außen gerne dargestellt wird. Das beginnt mit der Auswahl der Kommissare, denn jedes EU-Mitglied schickt nach eigenem Gusto einen Politiker oder eine Politikerin nach Brüssel. Die sollen eigentlich nicht als Vertreter ihres Landes agieren, doch ist das meist nur ein frommer Wunsch. Schon bei diesen Vorschlägen beginnt das Taktieren und damit das Ringen um Macht und Einfluss in den Institutionen der EU.
Wie das komplexe Kandidatenkarussell funktioniert, wird an einem besonders umstrittenen Kandidaten deutlich. Im Fokus steht der designierte italienische Kommissar Raffaele Fitto, noch Europaminister im Kabinett der Postfaschistin Giorgia Meloni. Zur großen Empörung der Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten soll er nach dem Willen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht nur einfacher Kommissar werden, sondern sogar den Rang eines geschäftsführenden Vizepräsidenten bekommen.
Ein Schachzug der machtbewussten Deutschen
Das wird als politischer Schachzug der machtbewussten Deutschen gewertet. Mit der Beförderung Fittos will sie offenbar ein Signal nach Rom senden, dass es lohnt ist, sich politisch in Richtung demokratische Mitte zu bewegen. Die Rechnung könnte aufgehen, denn bisher zeigt sich die italienische Premierministerin bei der Zusammenarbeit mit Brüssel erstaunlich kooperativ. Ausgeblendet wird allerdings, dass Meloni selbst in Italien Medien und Justiz gängelt und mit ihrer ultrarechten Regierung eine harte nationalistische Wirtschaftspolitik vorantreibt.
Peter Liese bricht für Fitto eine Lanze. „Viele im Parlament kennen ihn persönlich aus seiner Zeit als Europaabgeordneter“, sagt der CDU-Mann, er sei „sehr kompetent und keiner würde ihn als Nazi bezeichnen.“ In Gesprächen mit Abgeordneten wird deutlich, dass Raffaele Fittos Rolle wohl die eines Bindegliedes zwischen der konservativen EVP-Fraktion und der italienischen Regierungschefin sein soll, denn deren Partei Fratelli d’Italia gehört der nationalistischen EKR-Fraktion (Konservative und Reformer) an. Aus diesem Grund war auch die Nominierung des eher moderaten und in Brüssel respektieren Fitto durch Meloni ein geschickter Zug. Doch es ist ein Deal auf Gegenseitigkeit. Die Kalkulation der EVP ist offensichtlich, dass bei knappen Abstimmungen im Parlament die Stimmen aus dem Meloni-Lager den Konservativen die Mehrheiten verschaffen sollen.
Nicht allen gefällt das Taktieren im Parlament
Natürlich ahnt auch Grünen-Politiker Michael Bloss dieses Spiel. Und er macht aus seinem Ärger keinen Hehl, dass die Konservativen nach seinen Worten für ihre Mehrheiten im Parlament inzwischen immer häufiger um die Stimmen der Nationalisten buhlen würden. Für die Grünen-Abgeordneten ist Fitto nicht wählbar, doch ist es mehr als zweifelhaft, ob ihm Liberale oder Sozialdemokraten ihre notwendigen Simmen verweigern würden. Denn dann besteht die Gefahr, dass die Mehrheit der Konservativen in den Ausschüssen deren wichtigste Kandidaten blockieren könnten – und wollen weder Liberale noch Sozialdemokraten. So ist die Wahl der Kommissare ein oft undurchsichtiges Geben und Nehmen und die viel zitierte „Sternstunde des Parlaments“ erscheint bisweilen eher wie ein kleinliches Stimmengeschacher.