Turnerin ohne weiteres Gold

„Danke Paris“ – Simone Biles geht stolz, aber ohne den Rekord

Zum Abschluss der Turnwettbewerbe in Paris ist Simone Biles ohne weitere Goldmedaille geblieben. Die Olympischen Spiele hat sie dennoch erneut geprägt wie keine andere.

Simone Biles prägte die Olympischen Spiele von Paris.

© /imago/Steffie Wunderl

Simone Biles prägte die Olympischen Spiele von Paris.

Von Dirk Preiß

Ganz am Ende hatte sie dann doch auch noch einen Moment der spontanen Freude. Gerade war das Finale der Turnerinnen am Boden zu Ende gegangen. Jordan Chiles, die US-Amerikanerin, war als Letzte auf der Matte gewesen – und Fünfte geworden. Dann aber wurde noch einmal geprüft, welchen Schwierigkeitswert das US-Girl geturnt hatte. Die Jury korrigierte die Wertung nach oben, Chiles hatte nun Bronze sicher. Und Simone Biles wirkte richtig glücklich, als sie ihre Teamkollegin umarmte.

Dabei war der Tag aus ihrer Sicht überhaupt nicht nach Plan gelaufen. Eigentlich war sie am Schlusstag der Turnwettbewerbe der Olympischen Spiele von Paris ja angetreten, um zwei weitere Goldmedaillen zu gewinnen. Es wären die vierte und die fünfte in Paris gewesen – und vor allem: Biles hätte mit sechs weiteren Legenden des Sports gleichgezogen, die allesamt in ihrer Karriere neunmal Gold bei Sommerspielen gewonnen haben. Unter ihnen: die frühere sowjetische Turnerin Larissa Latynina. Doch daraus wurde nichts.

Denn Simone Biles, 27 Jahre alt und die beste Turnerin der Gegenwart, bewies: Auch die Königin ist fehlbar.

Mit dem Team, im Mehrkampf und am Sprung hatte sie schon Gold in Paris gewonnen – in teils beeindruckender Manier. Nun aber passierte ihr, was schon im Mehrkampf am Stufenbarren geschehen war. Simone Biles patzte. Am Schwebebalken musste sich das Gerät einmal verlassen, am Boden übertrat sie zweimal die Begrenzung der Fläche. So gab es zum Abschluss einen fünften Platz und einmal Silber.

Dreimal Gold und einmal Silber in Paris

Was in Summe immer noch eine herausragende Bilanz bedeutet. In Paris: dreimal Gold, einmal Silber. In Summe bei drei Olympischen Spielen: siebenmal Gold, je zweimal Silber und Bronze. Und dazu eine Geschichte, die so unglaublich viel bietet.

Zunächst war da der atemberaubende Aufstieg der nur 1,42 Meter großen Turnerin. Die nicht nur Titel sammelte, sondern im Laufe ihrer Karriere immer neue Höchstschwierigkeiten präsentierte. Allein fünf Elemente sind nach ihr benannt – das kann sonst keine Turnerin von sich behaupten. „Sie hat das Turnen auf eine neue Ebene gehoben“, sagt Kim Bui, „allein, dass sie fünf neue Elemente erfunden hat, spricht für ihre außergewöhnliche Klasse.“ Die ehemalige deutsche Turnerin stand jahrelang in den gleichen Hallen wie der Star aus den USA – und weiß: „Bei ihr kommt einfach alles zusammen: Das Talent, der Körperbau – deshalb ist das, was sie macht, auch nicht waghalsig. Zumindest nicht für sie.“ Schwer vorstellbar ist für Kim Bui, die ihre Karriere 2022 beendet hat, dass eine andere das so schnell wiederholen kann.

In Paris allerdings kam sie rein sportlich bereits in Bedrängnis. Nach dem Mehrkampffinale erklärte sie selbst: „Noch nie ist mir eine Konkurrentin so nah gekommen. Das hat mich echt gestresst.“ Dann blickte sie zur am vergangenen Donnerstag Zweitplatzierten – und meinte mit gespielter Empörung: „Danke, Rebecca!“ Die Brasilianerin Rebecca Andrade war es auch, die Biles’ Boden-Patzer am Montag ausnutzte und sich Gold abholte. Am Schwebebalken hatte die Italienerin Alice D’Amato gewonnen.

Mentale Gesundheit ist ein wichtiges Thema

Simone Biles wirkte vor allem nach dem Wettkampf am Schwebebalken enttäuscht, nach der Entscheidung am Boden strahlte sie trotz der Niederlage gegen Andrade, bereitete ihr einen netten Gang auf das oberste Podest und lachte trotz allem das Lachen, das man von ihr kennt. Vermutlich auch: Weil sie mittlerweile weiß, dass es nicht immer nur der Sieg sein muss, um glücklich zu sein.

„Mich beeindruckt auch, wie sie seit den Spielen von Tokio mit dem Thema mentale Gesundheit umgegangen ist“, sagt Kim Bui – und spricht damit die vergangenen Olympischen Spiele 2021 an. Als Simone Biles wegen psychischen Problemen aus dem Teamfinale ausgestiegen war – mitten im Wettkampf. Danach war es für das Covergirl, das schon früher über Missbrauchserfahrungen im US-Turnsport berichtet hatte, zunächst unvorstellbar, wieder in einer Turnhalle zu stehen. Aber: Sie holte sich Hilfe, arbeitet bis heute viel mit einer Therapeutin – und wurde wieder so stabil, dass sie zu alter Stärke zurückfand. Auch die Ehe mit ihrem Mann Jonathan Owens, einem Footballstar aus der NFL, gibt ihr Kraft.

So wurde sie drei Jahre nach Tokio zum diesmal gefeierten Star der Turnwettbewerbe, lockte Schauspieler und Musiker auf die Tribünen der Halle in Paris-Bercy. Natürlich waren Tom Cruise, Lady Gaga, Snoop Dogg oder Ariana Grande vor allem wegen Biles gekommen. Sie steigerten die Aufmerksamkeit für den Turnsport aber auch ganz allgemein. „Ich bin begeistert davon, dass ich wieder auf dieser internationalen Bühne turnen konnte“, sagte Biles zum Abschluss ihrer Zeit in Frankreich, „die Spiele hätten nicht besser sein können. Ich bin nicht enttäuscht, sondern glücklich und stolz.“ Dann lächelte sie – und schloss: „Danke, Paris.“

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Erstellt:
5. August 2024, 17:36 Uhr

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