Neu Talkreihe mit Stuttgarter Sportstars
Darja Varfolomeev und Maurice Schmidt verbreiten goldenen Glanz
Eine neues Talkformat unserer Zeitung hat das Ziel, Sportstars abseits des Profifußballs eine Plattform zu bieten. Zum Auftakt geben Olympiasiegerin Darja Varfolomeev und Paralympicsgewinner Maurice Schmidt im Cannstatter „Gottlieb“ tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt.
Von Jochen Klingovsky
Hochkarätiger hätte das Podium nicht besetzt sein können. Bei der Premiere von „Gespräche im ‚Gottlieb’ – Stuttgarter Sportstars hautnah“ verbreiteten Olympiasiegerin Darja Varfolomeev und Paralympicsgewinner Maurice Schmidt nicht nur goldenen Glanz, sie gaben auch tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt. „Ich bin verliebt in meine Sportart“, sagte die Königin der Rhythmischen Sportgymnastik bei der neuen Talkreihe von „Stuttgarter Nachrichten“ und „Stuttgarter Zeitung“. Und Rollstuhlfechter Maurice Schmidt, der nach seinem Triumph mit dem Säbel bei der Abschlussfeier der Paralympics Fahnenträger des deutschen Teams war, meinte: „Vielleicht kann ich in meiner Karriere noch mehr Medaillen gewinnen – aber besser als in Paris wird es nicht mehr. Es war Emotion pur, einfach unglaublich!“
Weil jede Medaille zwei Seiten hat, ging es an dem Abend in der Cannstatter Café-Bar „Gottlieb“, den Sportredakteur Dirk Preiß moderierte, aber auch um die Entbehrungen, ohne die solche Erfolge nicht möglich wären. Hartes Training, kaum Privatleben, Fehlzeiten in Schule und Studium – wer nicht alles gibt, kann nichts gewinnen. Und trotzdem wollen Varfolomeev (17) und Schmidt (25) ihrer Leidenschaft treu bleiben, zumindest bis zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles. „Danach“, sagte die Sportgymnastin mit einem Lächeln, „werde ich schauen, ob ich mich auf mein Leben konzentriere.“ Bis dahin, daran ließ sie keine Zweifel, wird sie sich weiter auf Keulen, Ball, Reifen und Band fokussieren.
Es gibt nicht selten Wochen, in denen Darja Varfolomeev, die 2025 ihren Realschulabschluss schaffen will, am Bundesstützpunkt in Schmiden mehr als 40 Stunden trainiert. Das hat mit den hohen Anforderungen in ihrer Sportart zu tun. Aber auch mit dem Streben nach Perfektion, das die Olympiasiegerin in sich trägt. „Ich kann nicht aus der Halle gehen, wenn ich meinen Job nicht erledigt habe. Die Übung muss perfekt sein, Tag für Tag“, sagte die sechsmalige Welt- und zweimalige Europameisterin, die auch zwischen den Höhepunkten niemals runterfährt: „Pausen sind bei uns nicht drin. Wer top bleiben will, muss hart trainieren.“
Maurice Schmidt: „Ich habe im Finale perfekt gefochten“
Das tut auch Maurice Schmidt. Darja Varfolomeev hat in der Vorbereitung auf Paris die zehnte Klasse auf zwei Jahre gestreckt, der Student der Umweltschutztechnik (in Stuttgart) ein Urlaubssemester eingelegt. Vor zwölf Jahren begann Maurice Schmidt, der unter einer Dysmelie (angeborene Fehlbildung einer oder mehrerer Gliedmaßen) leidet und normalerweise mit zwei Beinprothesen unterwegs ist, mit dem Rollstuhlfechten. Mittlerweile ist er bei mindestens sechs Trainingseinheiten pro Woche angekommen – auch im paralympischen Sport geht es nicht ohne professionelle Einstellung und Arbeit. „Man muss sich auf eine Sache fokussieren, das ist mir gelungen“, sagte Maurice Schmidt, „Paris war voller Energie, ich war bereit und im Tunnel. Ich habe im Finale perfekt gefochten. Irgendwann habe ich gespürt, dass Gold drin ist – und es mir geholt!“ Passend zu seinem Lebensmotto.
Darja Varfolomeev: „Alles in diesem fremden Land war neu“
Als in der neunten Klasse einmal ein Lehrer zu ihm gesagt hat, er brauche doch nur seinen Behindertenausweis zücken, um vom Sportunterricht befreit zu werden, entgegnete Schmidt: „Sport ist aber das, was ich machen will. Geht nicht, gibt’s nicht!“
Auch Darja Varfolomeev hat eine besondere Geschichte. Sie war drei Jahre alt, als sie in Sibirien mit der Rhythmischen Sportgymnastik begann. Mit zwölf Jahren zog sie im Februar 2019 ins Sportinternat nach Schmiden um, alleine, ohne ihre Familie, das einzige deutsche Wort, das sie kannte, war „hallo“. Sie musste sich völlig neu orientieren, in der Schule, im Training und im Alltag, in dem sie sich wunderte, dass im Schwäbischen die Läden sonntags geschlossen sind: „Alles in diesem fremden Land war neu.“
Doch sie hat sich durchgebissen. Und vor zwei Jahren kam ihr Vater nach, der sie stark unterstützt, 2023 gewann sie bei der WM alle fünf möglichen Titel. In Paris startete Darja Varfolomeev folglich als Favoritin in den olympischen Mehrkampf. „Trotzdem wusste ich: ein Fehler und ich bin weg vom Podium. Ich habe mir selbst großen Druck gemacht“, erklärte die 17-Jährige, „zugleich war es megaschön, meine Sportart auf dieser großen Bühne präsentieren zu können. Es war der richtige Zeitpunkt, um allen zu zeigen, was ich trainiert habe. Ich war voll bei mir, habe mich nur auf mich selbst konzentriert, und das hat funktioniert. Danach habe ich mich so erleichtert gefühlt wie nie zuvor. Denn dieser Olympiasieg bleibt für immer.“
Die Paris-Stars haben nicht nur sportliche Ziele
Nun gilt es, den Platz an der Spitze zu verteidigen. Erst bei der WM 2025 in Rio de Janeiro, dann bei der Heim-WM 2026 in Frankfurt. Und natürlich bei den nächsten Olympischen Spielen. In vier Jahren wollen Darja Varfolomeev und Maurice Schmidt in Los Angeles erneut Gold gewinnen. Es ist allerdings nicht das einzige Ziel, das sie eint. „Die Rhythmische Sportgymnastik steht im Schatten des Turnens“, sagte Darja Varfolomeev, bei der Talkrunde unserer Zeitung in Cannstatt, „wir versuchen, das zu ändern.“ Und auch Maurice Schmidt schaut nicht nur auf sich selbst. „Ich war in Paris der einzige deutsche Rollstuhlfechter“, erklärte er, „ich möchte die Goldmedaille nutzen, um meinen Sport nach vorne zu bringen.“
Der glanzvolle Auftritt im „Gottlieb“ war ein vielversprechender Schritt.