Das Duell ums deutsche Tor

Herrscht zwischen Neuer und ter Stegen eisige Stimmung?

Nur einer kann die Nummer eins sein: Um den begehrten Platz im Tor des Fußball-Nationalteams könnte es einen Kampf geben wie zu den besten Zeiten von Oliver Kahn und Jens Lehmann.

Wolfsburg/Amsterdam Auch Joachim Löw fand sich am Vormittag des 7. April 2006 zum Geheimtreffen im Sofitel neben dem Münchner Hauptbahnhof ein. Sein Wortbeitrag dürfte aber eher gering gewesen sein. Sein Chef, Bundestrainer Jürgen Klinsmann, übernahm die undankbare Aufgabe, Welttorhüter Oliver Kahn davon in Kenntnis zu setzen, dass nicht er, sondern sein verhasster Rivale Jens Lehmann bei der Heim-WM das deutsche Tor hüten darf. Der ultimative Tiefschlag für Kahn, dem Klinsmann bereits zwei Jahre vorher die schwarz-rot-goldene Spielführerbinde entzogen hatte.

13 Jahre später ist es wieder ein Torhüter, der im Fußball-Nationalteam das Kapitänsamt bekleidet: Manuel Neuer (32) wird an diesem Sonntag (20.45 Uhr/RTL) die DFB-Auswahl zum ersten EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande in die Amsterdam-Arena führen. Löw hat sich darauf früh festgelegt und die weitere Zukunft gleichzeitig offengelassen. Doch dürfte er ­irgendwann nicht mehr um ein finales Gespräch in der T-Frage herumkommen – auch wenn der Bundestrainer (im Gegensatz zu seinem Vorgänger) ein Meister im Aussitzen unangenehmer Personalentscheidungen ist.

Immerhin, den ersten Schritt hat Löw bereits hinter sich gebracht. Im Zuge des von ihm ausgerufenen Umbruchs ließ er wissen, dass der Konkurrenzkampf künftig auch die Position des Torhüters einschließe. Bei der WM in Russland war das noch anders gewesen. Dort stellte er Neuer eine Carte blanche aus, obwohl der Münchner zuvor monatelang verletzt und daher ohne jegliche Spielpraxis war. Zum Auftakt des neuen Länderspieljahres hat Löw nun erklärt, dass in den nächsten Monaten auch Marc-André ter Stegen (26) seine Einsätze bekommen werde.

Mit Brosamen wie der zweiten Hälfte des Testspiels gegen Serbien (1:1), als er keine Gelegenheit erhielt, seine Topform zu zeigen, wird sich ter Stegen künftig aber nicht mehr zufriedengeben. „Ich hoffe, dass ich in wichtigen Spielen das Vertrauen des Bundestrainers bekomme und es ihm dann auch zurückzahlen kann“, sagt der Herausforderer und eröffnet das große T-Duell. Es ist das erste Mal seit 2010, dass Manuel Neuer, Weltmeister, viermaliger Welttorhüter, Champions-League-Sieger, 85-maliger Nationalspieler, nicht mehr unumstritten ist. Der Torhüterzweikampf könnte so erbittert werden wie zu Kahn-Lehmann-Zeiten.

Marc-André ter Stegen, ein Ehrgeizling, der in den U-Mannschaften einst Bernd Leno weggebissen hat, kann seine Ansprüche mit gewichtigen Argumenten unterfüttern. Beim FC Barcelona, dem Weltclub aus Katalonien, zeigt der gebürtige Mönchengladbacher seit Monaten herausragende Leistungen. Nicht nur die spanische Presse („Ein Torwart wie eine Kathedrale“, „Messi mit Handschuhen“) überschlägt sich vor Begeisterung. Auch der derzeit wohl konstanteste Bundesliga-Keeper Roman Bürki von Borussia Dortmund hält ter Stegen für „den besten Torhüter Europas“. Er beobachte ihn häufig, sagte der Schweizer dem „Kicker“, „er hat einen eigenen Stil und strahlt eine unheimliche Überzeugung aus“.

Neuer hingegen ließ den Rivalen ter Stegen unerwähnt, als er neulich nach den derzeit stärksten Torhütern der Welt gefragt wurde. Stattdessen nannte er den Franzosen Hugo Lloris (Tottenham Hotspur), den Belgier Thibaut Courtois (Real Madrid) und den Spanier David de Gea (Manchester United). Sein eigener Name, bei allen Ranglisten jahrelang an erster Stelle, fällt bei solchen Aufzählungen immer seltener. Nach zwei Mittelfußbrüchen und monatelangen Verletzungspausen hat Neuer an Aura und Unfehlbarkeit eingebüßt. Sein Denkmal beginnt zu bröckeln – ter Stegen ist wild entschlossen, ihn vom Sockel zu stoßen. Er habe „absoluten Respekt davor, was Manu für Deutschland bislang getan hat, er hat tolle Turniere gespielt“, sagte der Rivale kurz vor der Länderspielpause. „Aber ich möchte den Umbruch auch auf der Torwartposition vollziehen. Ich will Druck machen.“

Wohl auch deshalb hat das Boulevardblatt „tz“ die „Eiszeit zwischen den Pfosten“ ausgerufen und die bange Frage aufgeworfen: „Eskaliert der Konkurrenzkampf zwischen Neuer und ter Stegen?“ So weit ist es noch nicht – zumindest, wenn man Leon Goretzka Glauben schenkt. „Ich habe sie heute gemeinsam am Frühstückstisch sitzen sehen“, sagte der Mittelfeldspieler des FC Bayern am Tag vor dem Spiel in den Niederlanden, „sie haben sich harmonisch unterhalten.“

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.fussball-nationalmannschaft-immer-wieder-neu-das-duell-ums-deutsche-tor.e241ea80-bd4f-4e58-97aa-bfd863d1c1b3.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.rassistische-aeusserungen-bei-dfb-spiel-flammender-appell-von-goretzka.02561f82-7332-4850-9840-07731dfffd1d.html

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Erstellt:
23. März 2019, 03:04 Uhr

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