„Das Wort Rassismus fällt viel zu schnell“

Fußballer mit türkischen Wurzeln aus dem Murrtal sehen Mesut Özils Rücktritt aus der DFB-Elf und seine Begründung eher kritisch

Der Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Fußballnationalmannschaft hat auch bei Kickern und Trainern im Murrtal Wellen geschlagen. Oguzhan Biyik, Kapitän des Oberligisten TSG Backnang, Hakan Keskin, Trainer des künftigen Fußball-Bezirksligisten SV Steinbach, und Oguzhan Altuner, Abteilungsleiter des TSC Murrhardt (Kreisliga A), äußern sich. Große Zustimmung findet der Weltmeister an der Basis keine.

Erntet im Murrtal eher wenig Verständnis dafür, dass er seine Kickstiefel nicht mehr für die DFB-Elf schnüren will: Mesut Özil.Foto: Imago

© imago/Moritz Müller

Erntet im Murrtal eher wenig Verständnis dafür, dass er seine Kickstiefel nicht mehr für die DFB-Elf schnüren will: Mesut Özil.Foto: Imago

Von Philip Kearney

TSG-Kapitän Oguzhan Biyik bezeichnet die eingetretene Situation als „sehr schade“. Er kennt Özil aus der Jugendzeit und nahm ihn als sensiblen Menschen wahr. Backnangs Mittelfeldspieler findet auch die harschen Aussagen des Weltmeisters von 2014 zu seinem Rücktritt „sehr schade“, verweist aber darauf, nicht zu wissen, was intern passiert ist. „Sport soll verbinden, nicht trennen“, betont Biyik. Dass Fußballer mit Migrationshintergrund von den Medien stärker und schneller kritisiert werden, kann Biyik „nicht bestätigen“. In den letzten Jahren sei in der DFB-Elf nicht zwischen Urdeutschen und Immigranten unterschieden worden. Das Timing sowie das Foto mit Erdogan selbst hält Biyik für „unglücklich“. Er ist sicher, dass Özil keine schlechten Hintergedanken gehabt habe. Der TSG-Spieler wünscht sich, dass einen Haken hinter die Sache gemacht wird und das „Ruhe beim Deutschen Fußball-Bund einkehrt“.

Biyik glaubt, dass die „Erdogan-Affäre“ im Vorfeld der WM für Unruhe sorgte. „Die Pfiffe bei Gündogans Einwechselung haben die ganze Mannschaft getroffen“, sagt Biyik mit Blick aufs Testspiel in Leverkusen. Die türkischen Medien stünden hinter Özil und sähen unter anderem den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel als Schuldigen. Biyik findet es „schade, dass der Fußball in den Hintergrund gerät“ und das Thema oft nur rein politisch betrachtet wird. Der Backnanger ist überzeugt, dass Özil eine zweite Chance bekommen hätte, wenn er das Thema intern geklärt oder angesprochen hätte.

Hakan Keskin sagt zu den Rassismus-Vorwürfen des Weltmeisters: „Das Wort Rassismus fällt viel zu schnell.“ Dem Vorwurf Özils, ihm gegenüber fehle der Respekt, stimmt Steinbachs Trainer aber „in manchen Situationen“ zu, denn „er hat viel für Deutschland geleistet“. Keskin glaubt nicht, dass der Arsenal-Star bei Siegen als Deutscher und bei Niederlagen als Immigrant behandelt worden sei. Der Coach denkt, dass Spieler wie Özil nicht wegen ihrer Herkunft öfter kritisiert werden, sondern aus anderen Gründen. Özil stehe etwa aufgrund seiner riesigen Social-Media-Followerschaft stärker im Fokus als andere Stars, die viel weniger von ihrem Privatleben preisgeben.

Im Foto mit Erdogan sieht Keskin „keinen Fehler“, da Özils Familie aus der Türkei kommt. Jedoch sei der Zeitpunkt so kurz vor den Wahlen nicht okay gewesen. Die Berichterstattung deutscher Medien hält Keskin für übertrieben, da der Spieler stets sein Bestes für Deutschland gegeben habe. Özils Aussagen seien inhaltlich „bis auf den Rassismus-Vorwurf“ in Ordnung“. Keskin hätte sich eine Pressekonferenz gewünscht, um den Fall zu klären. Gündogan habe sich „mit ein paar Kommentaren gut aus der Schusslinie genommen“. Zudem vermisst der SVS-Coach bei Özils Erklärung einen Dank für die Jahre in der Nationalelf. Und: „Er hätte sich persönlich entschuldigen sollen.“ Die „Erdogan-Affäre“ fürs schlechte Abschneiden der DFB-Elf verantwortlich zu machen, hält er für übertrieben. Vor der WM habe kurz Unruhe geherrscht, mehr nicht. Keskin sieht dies als „Deckmantel, um die Leistung des Teams und die Handlungen der DFB-Funktionäre unter den Tisch zu kehren“ und hat einen Wunsch: „Löw, Bierhoff und Grindel sollten zurücktreten.“

TSC-Abteilungsleiter Oguzhan Altuner bezeichnet einen Teil der Aussagen Özils als „lächerlich“. Özil spiele seit vielen Jahren für Deutschland, da sei’s verwunderlich, wenn er jetzt erst merke, dass er nicht wertgeschätzt oder sogar diskriminiert werde. Dass Özil nur bei einem Sieg als Deutscher und bei einer Niederlage als Immigrant angesehen wird, kann sich der Abteilungsleiter nicht vorstellen. Einen Zusammenhang zwischen medialer Kritik und der Herkunft sieht Altuner nicht: „Es geht um die Leistung.“ Seine Meinung zum Treffen mit dem türkischen Präsidenten und dem Foto: „Das Timing hat überhaupt nicht gepasst.“ Der Funktionär sieht die Schuld vor allem bei Özils Berater. Wäre dieses Bild ein halbes Jahr vor der WM veröffentlicht worden, wäre bis zum Start nichts gewesen“. Auch wenn das Foto für Altuner „ein Fehler war“, sieht er „keinen Zusammenhang zwischen der Leistung des deutschen Teams und der Affäre“. Fürs Ausscheiden sei eher Überheblichkeit der Deutschen verantwortlich gewesen: „Löw hätte Özil auf der Bank lassen können“. In der Türkei erhalte Özil Rückendeckung und stehe als Held da. Dass er sich einst entschied, für Deutschland statt für die Türkei zu spielen, liegt für Altuner an den besseren sportlichen Aussichten.

Oguzhan Biyik

© Sportfotografie Alexander Becher

Oguzhan Biyik

Hakan Keskin

© Sportfotografie Alexander Becher

Hakan Keskin

Oguzhan Altuner

© Bernd Strohmaier

Oguzhan Altuner

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Erstellt:
25. Juli 2018, 06:00 Uhr

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