Der wahre Weinzierl
Vom Mangelverwalter zum Weggestalter: Trainer Markus Weinzierl legt beim VfB Stuttgart jetzt richtig los
Trainer - Die Zeit der Nachsicht und Kompromisse ist vorbei. Nach drei Monaten im Amt packt Markus Weinzierl die Dinge beim VfB Stuttgart, für den am Samstag die Rückrunde beginnt, anders an.
Stuttgart Gerne hat Markus Weinzierl einen Ball am Fuß. So flaniert er über den Trainingsplatz, kreuz und quer, die Hände in den Hosentaschen, in Gedanken versunken. Fast abwesend wirkt er da.
Das ist so zu beobachten, wenn Aufwärmprogramm oder Pass- und Technikübungen ablaufen. Doch sobald es richtig losgeht, etwa mit Kleinfeld-Spielformen, ist Markus Weinzierl voll da. Die mannschaftstaktischen Abläufe sind Chefsache, da gibt der Straubinger lautstark selbst den Takt vor, dirigiert und korrigiert energisch, kernig rollt dann das bayerische R.
Das Bild von dem Mann mit dem Ball am Fuß, der die Ruhe vor dem Sturm weghat, passt auch ganz gut zu den ersten drei Monaten von Markus Weinzierl beim VfB Stuttgart. Er hat sich in der Zeit alles angeschaut bei dem Bundesligisten, kreuz und quer, er hat sich viele Gedanken gemacht – und jetzt geht es richtig los. Die Zeit der Nachsicht und Kompromisse angesichts der desolaten Personalsituation im ersten Vierteljahr nach seiner Amtsübernahme im Oktober ist vorbei. In der Rückrunde, die für den abstiegsbedrohten VfB mit dem Heimspiel an diesem Samstagnachmittag (15.30 Uhr) gegen den FSV Mainz 05 beginnt, wird man den wahren Weinzierl kennenlernen.
Im Prinzip hat der Trainer Markus Weinzierl viel von dem Spieler Markus Weinzierl, wobei er als Coach bereits einen Schritt weitergekommen ist, über die zweite Liga hinaus. Professionalität und Ehrgeiz zeichneten ihn schon immer aus, er war ein feiner Stratege im defensiven Mittelfeld, der sich aber zu wehren wusste. „Ich war ein Spieler, der täglich alles gegeben hat, der sich im Spiel zerrissen hat, das lebe ich heute vor – das versuche ich zumindest“, sagt der 44-Jährige. Schon als Spieler führte ihn sein Weg nach Stuttgart, von 1999 bis 2001 absolvierte er 40 Zweitligapartien für die Stuttgarter Kickers. Sein erster Trainer auf der Waldau war damals Michael Feichtenbeiner, der heute U-17-Nationaltrainer ist. „Er konnte ein Spiel lesen. Dass er so ein guter Trainer geworden ist, wundert mich nicht“, sagt er über Markus Weinzierl.
Der VfB-Coach hat einen klaren Plan, wie er Fußball spielen lassen möchte – und der ist in der Vergangenheit oft aufgegangen. Mit Jahn Regensburg (2008 bis 2012) schaffte er den Aufstieg in die zweite Liga, danach etablierte er den FC Augsburg (2012 bis 2016) in der ersten Liga und führte ihn zur ersten Europacup-Teilnahme des Vereins. In beiden Fällen bewies er Qualitäten als Entwickler und holte das Optimum aus vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten heraus. So avancierte er zwischenzeitlich zu einem der begehrtesten deutschen Coaches. Schalke 04 zahlte 2016 die damalige Trainer-Rekordablösesumme von drei Millionen Euro für die Freigabe, trennte sich aber nach nur einer Saison (Platz zehn) wieder von ihm. Eine Pause folgte, ehe er beim VfB einstieg.
Die nächsten Monate sind ganz entscheidende in seiner Karriere. Gelingt ihm der Klassenverbleib mit den Stuttgartern, hat er eine Zukunft beim VfB und wird, pauschal gesagt, auch im nächsten Jahrzehnt ein gefragter Mann in der Bundesliga sein. Gelingt dies nicht, droht ein Knick.
Markus Weinzierl schmunzelt bei der Frage danach knitz, ihm ist nicht bange. „Es war bei mir oft schon so, make oder break, das fühlst du ja immer so, es ist immer eine kritische Situation, in der Bundesliga kannst du dir nie sicher sein“, sagt er. „Wenn wir es jetzt schaffen, ist es auch nicht so, dass mir der Zehnjahresvertrag dann garantiert ist.“ Und er fügt noch an: „Das interessiert mich auch nicht. Mir geht es darum, diese reizvolle und interessante Aufgabe für diesen tollen Verein positiv zu lösen. Da geht es am Samstag los, und da bin ich zuversichtlich.“
Lange Ausführungen sind selten bei ihm. Er ist einer, der in der Regel kurz und knapp antwortet. Mit Tempo und Geradlinigkeit – das, was er von seiner Mannschaft auf dem Platz erwartet. „Markus Weinzierl besitzt eine menschliche Komponente, die ich sehr schätze: Er ist sehr ausgeglichen. Er trägt einen Spannungsgrad in sich, der sich auch positiv auf die Mannschaft auswirken wird“, sagt der VfB-Sportvorstand Michael Reschke und merkt überdies an: „Die Mannschaft besitzt einen anderen Fitnessgrad als zu Beginn der Saison.“
Die Voraussetzungen sind jetzt insgesamt ungleich besser als bei Markus Weinzierls Einstieg im Oktober. In seinen ersten VfB-Wochen war der Trainer angesichts der personellen Ausgangslage nur Mangelverwalter, jetzt ist er Weggestalter – das, was er sein will. Er hat die Mannschaft seit seinem Amtsantritt in einen Zustand gebracht, wie er ihn für sein Spiel braucht, um 90 Minuten Tempo gehen und den Gegner auch physisch besiegen zu können. Es gibt jetzt einen Konkurrenzkampf samt Auswahlmöglichkeiten zum Basteln der Startelf.
Wer sich da nicht einreiht und Termine verschwitzt, muss sich erst einmal hinten anstellen. Zuverlässigkeit ist das oberste Gebot. Anastasios Donis strafte Markus Weinzierl im Trainingslager in La Manga für das Verpassen eines Termins ebenso ab wie – etwas sanfter – Pablo Maffeo und Borna Sosa für ihr Zuspätkommen. Die lautstarke Ansprache, die der Coach im Zusammenhang mit diesen Undiszipliniertheiten an das Team richtete, darf als Wegweiser für die nächsten Wochen und Monate gelten: „Wenn wir einfachste Dinge nicht richtig machen, bekommen wir ein Problem“, mahnte er an und führte weiter aus: „Das ist unser Weg, den gehen wir zusammen. Wer da nicht mitzieht, der fällt hinten weg.“
Es ist nicht so, dass er ein Disziplinfanatiker wäre, der keine Fehler verzeiht. Doch er ist einer, der erwartet, dass jemand schnell daraus lernt. Wenn nicht, dann ergeht es ihm so wie Pablo Maffeo, der erst einmal außen vor ist: Bei ihm ist die richtige Reaktion im Training ausgeblieben, der zehn Millionen Euro teure Stuttgarter Sommertransfer ist mittlerweile sogar ein Kandidat für eine Ausleihe.
Wie gesagt, die Zeit der Nachsicht und Kompromisse ist vorbei.