Bahnradsport-Star
Deshalb hat Emma Hinze mit Olympischen Spielen eine Rechnung offen
Emma Hinze ist die erfolgreichste Bahnrad-Sprinterin der Welt, aber keine Olympiasiegerin – noch nicht. Auf dem Weg zu Gold könnte ihr nun helfen, was sie 2021 in Tokio erlebt hat.
Von Jochen Klingovsky
Die französische Sporttageszeitung „L’Equipe“ widmete sich vor den Sommerspielen der Mammutaufgabe, alle (!) Medaillengewinner zu tippen. Dem Team D prophezeiten die Experten zwölf goldene Plaketten, zwei mehr als vor drei Jahren in Tokio. Ebenfalls bemerkenswert: Nach der Einschätzung des Blattes wird es in Paris eine deutsche Doppel-Olympiasiegerin geben – Emma Hinze (26).
Natürlich sind solche Vorhersagen eine Spielerei, und doch ist keine große Fantasie nötig, um die Bahnradsportlerin zu einer Goldanwärterin zu machen. Denn Emma Hinze ist die wohl beste Sprinterin der Welt, sie hat im deutschen Team prominente Unterstützung – und bei den Olympischen Spielen viel vor.
Acht Tausendstel Sekunden fehlten
Rückblende. 2021, die Coronaspiele in Tokio. Die Bahnradfahrer drehten ihre Runden 120 Kilometer von der japanischen Hauptstadt entfernt in der Präfektur Shizuoka, in Deutschland standen sie trotzdem im Fokus. Weil der Frauen-Vierer Gold gewann. Und weil Emma Hinze, die im Jahr zuvor bei der Heim-WM in Berlin drei Titel eingefahren hatte, Silber holte. Nur Silber? Dass in manchen Artikeln das Wörtchen „nur“ verwendet wurde, ärgerte sie. Schließlich lagen Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich im Teamsprint lediglich acht Tausendstel Sekunden hinter den Chinesinnen, und sie waren schneller unterwegs gewesen als je zuvor.
„So knapp zu verlieren, das hat geschmerzt. Aber wir haben damals Silber gewonnen“, sagte Emma Hinze dem Magazin „Paris.24“, „das ‚nur’ hätte es nicht gebraucht, zumal wir sehr jung waren und nicht wussten, wie wir mit der Niederlage umgehen sollten. Jetzt wissen wir, wie wertvoll diese Medaille war.“ Für den Trophäenschrank. Aber auch für den Erfahrungsschatz.
Denn das, was Emma Hinze in Tokio erlebte, hat sie geprägt. „Ich war von dem Event total überrumpelt. Alle sind voll gegen mich gefahren, jeder wollte mich schlagen. So eine Situation kannte ich vorher nicht“, sagt sie, „daraus habe ich gelernt. Ich weiß jetzt, was mich in Paris erwartet.“ Und auch, was sie will: „Ich jage meinem Traum vom Gold weiter nach. Ich habe noch eine Rechnung offen mit den Spielen.“
Drei Chancen für ein Trio
Drei Chancen, diese zu begleichen, gibt es. Die größte im ersten Wettbewerb im Velodrome National. An diesem Montag (Qualifikation ab 17 Uhr, Finale um 19.59 Uhr) geht es um die Medaillen im Teamsprint, im Gegensatz zu den Spielen in Tokio startet dabei ein Trio. Anfahrerin ist Pauline Grabosch, dann übernimmt Emma Hinze, ehe Lea Sophie Friedrich zum Schlussspurt ansetzt. Die deutsche Mannschaft reist als Weltmeister der Jahre 2021, 2022, 2023 und 2024 an, ist der klare Favorit. Zudem starten Emma Hinze, Lea Sophie Friedrich und und Pauline Grabosch auch noch im Sprint und im Keirin, hier dürfte Hinze die besten Aussichten haben – meint zumindest die „L’Equipe“, die für sie einen weiteren Olympiasieg im Sprint vorhersagt.
Es würde eine treffen, die nicht nur achtmalige Welt- und sechsmalige Europameisterin ist, sondern ihren Sport lebt. „Sie hat eine unglaubliche Willensstärke und auch sonst alles, was eine Sprinterin braucht: „Schnelligkeit, Ausdauer, Biss“, sagt Bundestrainer Jan van Eijden, der weiß, wie man Olympiasieger formt – er war einer der Köpfe hinter den britischen Bahnraderfolgen bei den Sommerspielen 2012 in London. Zudem kann sich Emma Hinze auch noch auf die Expertise eines Ex-Weltmeisters verlassen: Ihr Coach in ihrer Wahlheimat Cottbus ist Lebensgefährte Maximilian Levy, der diese Aufgabe zusätzlich zu seinem Job als Junioren-Bundestrainer übernommen hat, ohne dafür bezahlt zu werden.
Eigene Nachwuchsserie
Gemeinsam mit Levy hat die Athletin, die selbst schon erfolgreich eine Trainer-Ausbildung beim Bund Deutscher Radfahrer absolvierte, vor eineinhalb Jahren die Nachwuchsserie „Sprinte wie Emma Hinze“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, Bahnradfahrer im Alter zwischen 15 und 19 Jahren zu fördern und Talente zu entdecken. „Ich möchte nicht nur über dieses Thema reden, sondern die Entwicklung aktiv mitgestalten“, sagt Emma Hinze. Die Serie ist professionell aufgezogen und stößt auf positive Resonanz, nicht zuletzt, weil es auch Preisgelder zu gewinnen gibt. Was nur zeigt: Wenn Emma Hinze, deren Lebensmotto „Perfektion“ lautet, etwas macht, dann richtig.
Nun müssen nur noch die perfekten Spiele von Paris folgen. Die „L’Equipe“ hat daran wenig Zweifel, doch selbst die Experten des Blattes liegen nicht immer richtig: In der Liste der potenziellen deutschen Olympiasieger fehlen beispielsweise Vielseitigkeitsreiter Michael Jung und die deutschen Dressurreiterinnen. Emma Hinze ist zu wünschen, dass dies die einzigen Irrtümer der Kollegen bleiben.