Die brisantesten Duelle der Ski-WM
Goldige deutsche Skispringer, norwegische Loipen-Könige, Blutdoper, nette Streitereien: was von Seefeld in Erinnerung bleiben wird
Ski-WM - Die nordische Ski-WM in Seefeld ist vorbei. Sie hat viele interessante Geschichten geschrieben. Wir blättern an dieser Stelle zurück. Kapitel für Kapitel. Oder besser: Duell für Duell.
Markus Eisenbichler ist kein Skispringer, dessen Weg stets nur nach oben ging. Mit 27 Jahren wartet er noch immer auf den ersten Weltcup-Sieg. Dafür holte der Bayer in Seefeld drei Goldmedaillen – von der Großschanze, mit dem Männer- und dem Mixed-Team. Damit war er vor Karl Geiger und Katharina Althaus (je 2x Gold, 1x Silber) der erfolgreichste deutsche Weitenjäger. „Bei Eisei war die Straße nicht geteert“, sagte Werner Schuster, „da waren immer Schlaglöcher drin.“ Im tiefsten Loch war Eisenbichler vor einem Jahr, als ihn der Bundestrainer bei den Olympischen Spielen nicht fürs Team nominierte, das Silber holte. Doch der Aussortierte kündigte an, umso stärker zurückzukommen – und gewann den Kampf gegen sich selbst. „Deutschland kann stolz sein, so einen Sportler zu haben“, meinte Schuster, „auch als Vorbild.“ Eisenbichler erwiderte: „Ich muss allen danken, die immer meinen Dickschädel ertragen haben.“
Skispringer sind vor Abstürzen nicht gefeit. Wer wüsste dies besser als Andreas Wellinger? Der Olympiasieger und Weltmeister hat seine Form verloren. Bei der WM 2019 machte er nur einen Sprung – als 32. schaffte er es nicht, sich auf der Großschanze für den zweiten Durchgang zu qualifizieren. Als einziger deutscher Skispringer blieb Wellinger ohne Medaille. Einziger Trost: Er ist erst 23 Jahre alt, hat die Zukunft noch vor sich. Und auf der Schanze kann man auch schnell wieder zurückfinden in die Spur.
Als die Arbeit getan war, kamen die Gelüste – auf deftige Kost. „Jetzt freue ich mich auf eine schöne Pizza, die gab es lange nicht“, meinte Eric Frenzel (30), ehe er zurück ins heimische Flossenbürg zu seiner Frau Laura sowie den Kindern Philipp, Leopold und Emma aufbrach. Im Gepäck verstaute er drei Medaillen, mit denen nicht mal er selbst gerechnet hatte. Frenzel gewann Gold von der Großschanze und im Teamsprint mit Fabian Rießle, dazu Silber mit der Staffel – dabei war er vor der WM von den Besten auf der Schanze weiter entfernt gewesen als je zuvor in seiner Karriere. Vor allem von Jarl Magnus Riiber. Der Norweger ist der Dominator der Saison, manche hatten ihm zugetraut, in Seefeld viermal Gold holen zu können. Zwei Titel wurden es am Ende, nachdem die ersten beiden Wettbewerbe an Frenzel gegangen waren. „Seine Stärke ist, dass er immer an sich glaubt“, lobte Bundestrainer Hermann Weinbuch, „er verkrampft nie, bleibt immer locker und bodenständig.“ In der Pizzeria. Nicht beim Nobel-Italiener.
Der Kombinierer aus Oberstdorf war in allen vier WM-Rennen Titelverteidiger, doch es gelang ihm nie, sein Potenzial abzurufen. Das ist bitter für einen, der bei den letzten beiden Großereignissen sechs von sieben möglichen Goldmedaillen geholt hat. Das Problem von Rydzek (27): Er kam mit den Schanzen in Innsbruck und Seefeld nicht zurecht, hatte in den Einzelwettbewerben nach den Springen schon einen zu großen Rückstand. Für den Teamsprint wurde er nicht nominiert, in der Staffel war er der Schwachpunkt – die Deutschen holten trotz Rydzek Silber. „Ich hatte schon viele gute Tage“, sagte er danach, „heute war keiner.“ Ein Spruch, der für seine gesamte WM galt.
Angeblich geht es um ein weltweit operierendes Dopingnetzwerk, fünf Langläufer überführten die Fahnder in Seefeld. Max Hauke wurde mit der Nadel in der Vene erwischt, auch Dominik Baldauf (beide Österreich), Andreas Veerpalu, Karel Tammjärv (beide Estland) und der Kasache Alexei Poltoranin haben Blutdoping gestanden. Kopf der Gruppe soll der Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt sein, in dessen illegalem Dopinglabor 40 tiefgefrorene Blutbeutel und viele Daten gefunden wurden. Die spannende Frage ist nun: Können die Blutkonserven, die mit Tarnnamen versehen sind, Sportlern zugeordnet werden? Und wird der Skandal tatsächlich vollumfänglich aufgeklärt? Es gibt schon erste Gerüchte, größere Fische könnten den Fahndern in Seefeld auch deshalb nicht ins Netz gegangen sein, weil sie rechtzeitig gewarnt worden waren.
Der 2014 überführte Epo-Doper Johannes Dürr hat vor den Titelkämpfen in Tirol ausgepackt über sein Leben als Betrüger. Erst in der ARD, dann gegenüber Staatsanwälten. Der österreichische Langläufer gilt als der Kronzeuge, der es möglich machte, die Machenschaften in Erfurt aufzudecken. Danach stellte Dürr klar, dass er keineswegs seine Kumpel Hauke und Baldauf verpfiffen habe: „Ich kann alles nachfühlen. Das ist jetzt eine ganz schwere Zeit für die Jungs.“
Peter Schröcksnadel hatte keine Lust darauf, den alleinigen Sündenbock zu spielen. Also erklärte der mächtige Boss des Österreichischen Ski-Verbandes (ÖSV) nach dem Dopingskandal von Seefeld: „Mir hat ein Ermittler gesagt, dass auch deutsche Sportler betroffen sind. Entscheidend finde ich, dass sich die Betrüger Hilfe von außen, aus Deutschland, holen mussten. Die Gauner sitzen woanders.“ Das wollte der nicht minder mächtige Alfons Hörmann natürlich nicht unkommentiert lassen. Der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes erwiderte: „Das werte ich als ein wenig gelungenes Ablenkungsmanöver von den eigenen Unzulänglichkeiten im ÖSV. Stand heute sind keine deutschen Athleten in den Fall verwickelt.“ Alphatiere unter sich.
Die norwegische Langläuferin krönte sich zur Königin von Seefeld, gewann drei WM-Titel und zudem Silber mit der Staffel. Dennoch gab es Beobachter, die an ihrem Thron rüttelten – weil sie nach ihrer Dopingsperre (mindestens) so stark läuft wie vorher. Gian Franco Kasper, der Präsident des Ski-Weltverbandes, mied alle Siegerehrungen mit Johaug, Peter Schlickenrieder nannte die Leistungen der 30-Jährigen „befremdlich“. Nach deren überlegenem Sieg im 30-Kilometer-Rennen meinte der Langlauf-Bundestrainer: „Sie läuft meilenweit voraus. Ich würde lügen, wenn ich sage, das ist ganz normal.“ Norwegens Cheftrainer Vidar Löfshus konterte: „Vielleicht kommt er aus einer anderen Kultur, in der man den Leuten einfach nicht glaubt.“ Königin Therese störte sich nicht daran, dass der eine oder andere nicht zu ihr aufzublicken scheint. „Schlickenrieder darf sagen, was er will. Wenn er sich auf das bezieht, was war, so habe ich dafür meine Strafe bekommen“, meinte sie, „ich stehe zu dem, was ich tue. Und ich bin eine große Befürworterin des Anti-Doping-Kampfes, das habe ich oft genug bewiesen.“ Wie und wann, das sagte sie allerdings nicht.
Es war, als herrsche in der Loipe ein kalter Krieg. Nach dem Sprint-Halbfinale ging der Russe Sergej Ustjugow (26) seinem Rivalen Johannes Klaebo (22) an den Kragen, weil er sich von dem Norweger behindert gefühlt hatte. Vielleicht lagen bei dem Russen aber auch nur deshalb die Nerven blank, weil seine Form nicht so gut war wie 2017, als er bei der WM in Lahti mit fünf Medaillen (2x Gold, 3x Silber) der erfolgreichste Langläufer war. Diesen Titel verlor er nun an Klaebo, der sich von der Attacke des Russen nicht aus der Ruhe bringen ließ und dreimal locker, lässig und leicht zum Sieg lief (Sprint, Teamsprint, Staffel). Die Norweger gewannen elf von zwölf Goldmedaillen im Langlauf, nur die Frauen-Staffel unterlag den Schwedinnen. Der letzte Titel ging an Hans Christer Holund im 50-Kilometer-Rennen, in dem die Norweger die Plätze eins, drei, vier und fünf belegten. Ihnen am nächsten kam der Russe Alexander Bolschunow (4x Silber). Weshalb am Ende auch niemand mehr von Fehlschlag des enttäuschten Sergej Ustjugow sprach.
Jochen Behle sagt seine Meinung, er tut dies oft und gerne. Seinen Nachnachnachfolger als Langlauf-Bundestrainer hält er für einen glänzenden Motivator und Kommunikator. „Ob er die Durchschlagskraft, Härte und Konsequenz hat“, sagte Behle, „da bin ich mir nicht so sicher.“ Zumindest an Selbstvertrauen fehlt es Peter Schlickenrieder nicht. Er wandelte den bekannten Ausruf von TV-Kommentator Bruno Moravetz bei den Olympischen Spielen 1980 („Wo ist Behle?“) kurzerhand um und fragte provokativ: „Wer ist Behle? Er ist schon eine gute Zeit raus aus dem engeren Kreis. Darum ist es für ihn schwer zu beurteilen, was wir hier gerade auf die Beine stellen.“ Gut gekontert.
Fast zwei Wochen lang schien in Seefeld die Sonne, dunkle Wolken waren am Himmel nur selten zu sehen. Dafür hinter den Kulissen. Von der Dopingrazzia und der Tatsache, dass ihre WM nun immer auch mit dem Bild verhafteter Sportler in Verbindung stehen wird, fanden sich die WM-Organisatoren aber schnell ab. „Für Idioten können wir nichts“, meinte Bürgermeister und Sportchef Werner Frießer, der sich zusammen mit Alois Seyrling über 204 400 Zuschauer und viele spannende Wettbewerbe freute. „Die WM“, sagte der Fünf-Sterne-Hotelier und Seefelder Tourismus-Chef, „war zu 99 Prozent positiv.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.