Die große Gereiztheit

Warum Trainer in der Fußball-Bundesliga immer öfter auf Journalisten losgehen – und wozu das führt

Analyse - Am Wochenende haben Niko Kovac, Huub Stevens, Dieter Hecking und Pal Dardai kräftig gegen die Medien geledert. Ihr Frust mag bisweilen verständlich sein – doch bringt es sie weiter, ihn auch zur Schau zu stellen?

Stuttgart Mönchengladbach, Sonntagabend, 20.05 Uhr: Nach dem 1:1 gegen Werder Bremen spricht der Reporter von Sky im Gespräch mit Borussia-Trainer Dieter Hecking über „enorm verbesserte Zweikampfwerte“ und ergänzt die Frage: „Was muss Kapitän Lars Stindl Ihnen anbieten, um wieder in die Mannschaft zu kommen?“ Hecking verdreht die Augen. „Wissen Sie, das ist genau der Journalismus, den ich mag“, sagt er zynisch, „jetzt wird wieder versucht, über Einzelne zu sprechen.“ Als der Reporter die Frage zu rechtfertigen versucht, läuft Hecking einfach davon.

München, am Abend davor, 21.25 Uhr: Auf die Journalistenfrage zur viel diskutierten Party von Jérôme Boateng nach dem 5:0-Sieg gegen Borussia Dortmund hat Niko Kovac nur gewartet. Der Bayern-Trainer hüstelt kurz, dann holt er Luft. „Das ist wieder so eine Geschichte“, sagt er, „es geht nur noch um Nebensächlichkeiten, nur noch um Sensationen. Wir spielen Fußball, aber danach wird gar nicht mehr gefragt.“

Ja, was denn jetzt? Welches Thema darf’s denn sein?

Fast so alt wie der Fußball ist die Erkenntnis, dass sich Trainer über Journalisten ärgern. Legendär die Wutreden von DFB-Teamchef Rudi Völler im Jahr 2003 („Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören“), BVB-Trainer Thomas Doll 2008 („Da lache ich mir den Arsch ab“) oder VfB-Coach Bruno Labbadia 2012 („Die Trainer sind nicht die Mülleimer von allen Menschen“). Auch ihnen war es ein Bedürfnis, mal ordentlich den Kropf zu leeren.

Ein neuer Trend scheint es zu sein, Unmutsbekundungen im Wochentakt loszuwerden. Am vergangenen Bundesliga-Spieltag geigten nicht nur Kovac und Hecking den Berichterstattern ihre Meinung – auch Hertha-Trainer Pal Dardai („Ab und zu habe ich das Gefühl, ihr lebt von der Schadenfreude“) ließ nach der vierten Niederlage hintereinander Dampf ab. Der bislang eher glücklose Schalker Feuerwehrmann Huub Stevens überzog einen Fragesteller nach dem 1:2 gegen Frankfurt gar mit persönlichen Schimpftiraden: „Hör auf! Ich antworte dir nicht mehr! Weg! Du bist lächerlich!“

Sind die Trainer dünnhäutiger geworden und versuchen, mit ihrer Medienschelte von eigenen Problemen abzulenken? Oder reagieren sie nur auf größer gewordene Respektlosigkeit aufseiten der Journalisten? Bei Huub Stevens, bereits zum wiederholten Mal ausfällig geworden, dürfte Ersteres zutreffen; Letzteres könnte man Nico Kovac zubilligen, der als Bayern-Coach seit Monaten im Kreuzfeuer steht.

Es ist nicht so, dass man die Gereiztheit der Trainer überhaupt nicht nachvollziehen könnte. Die Digitalisierung hat zu einer völlig veränderten Medienlandschaft geführt. Rund um die Uhr und auf sämtlichen Kanälen wird über die Bundesliga und ihre Protagonisten berichtet – im Übrigen auch von den Vereinen selbst, die die neuen Möglichkeiten ebenfalls zur Rundumversorgung ihrer Fans nutzen. „Möglicherweise nimmt der Druck auf Trainer und Spieler im überhitzten Zeitalter der medialen Hochgeschwindigkeit zu“, sagt Professor Johannes Heil , der an der Macromedia-Hochschule in Stuttgart zu den Wechselwirkungen von Sport und Massenmedien forscht.

Allerdings: „Auf Druck reagiert man am besten mit Zurückhaltung – gibt man ihm stattdessen nach, tut man sich auf Dauer keinen Gefallen.“ Will heißen: Kein Zeichen ausgeprägter Souveränität ist es, seiner Wut freien Lauf zu lassen – sondern eher Ausdruck von Schwäche. Johannes Heil beobachtet gar „einen kommunikativen Professionalitätsverlust aufseiten der Sportakteure, die immer häufiger mit Misserfolg falsch umgehen“. An die Stelle der inhaltlichen Auseinandersetzung trete „die Konfrontation mit den Medien, als wären sie ihre Gegner“. Das sei zwar „möglich und erlaubt – führt aber zu nichts. Den Kampf gegen Medien können die Akteure nicht gewinnen.“

Das mussten auch die Bayern-Bosse Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß einsehen. Als Fehler empfinden sie im Rückblick die denkwürdige Pressekonferenz im Oktober, bei der sie zum Generalangriff ausholten und meinten, die versammelten Schreiberlinge ans Grundgesetz erinnern zu müssen. Nun denkt Rummenigge gar nicht daran, seinem weiterhin kritisch beäugten Trainer Niko Kovac zur Seite zu springen, nicht einmal nach einem 5:0 gegen den Erzrivalen aus Dortmund. Bei den Bayern müsse jeder liefern, sagt der Vorstandschef kühl, „wer mit dem Druck nicht umgehen kann, ist im falschen Club“.

Es mag von Trainern angesichts von Polemik, Häme und ständiger Debatten über den möglichen Entlassungszeitpunkt viel verlangt sein, immer kühlen Kopf zu bewahren. Eine andere Wahl bleibe ihnen aber nicht, meint Medienforscher Heil: „Die Erwartung, dass ihre Arbeit aus ihrer Sicht zu jeder Zeit gerecht oder fair bewertet wird, ist zwar verständlich, aber nicht realistisch. Denn Gerechtigkeit und Fairness sind höchst subjektive Klassifikationen – und Kritik ist und bleibt Teil des Spiels.“ Daher gelte: „Trainer sollten Medien nicht als Gegner behandeln.“

Immerhin, die Medienschelte von Niko Kovac in München findet dann doch noch ein versöhnliches Ende. Am Ausgang trifft er Hartmut Scherzer, den 80 Jahre alten Reporter aus Frankfurt. Die beiden Männer nehmen sich sehr herzlich in den Arm.

Zum Artikel

Erstellt:
9. April 2019, 03:14 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen