Die Kugeln vom „Kegel-Opa“ geerbt

Serie: Zwei Generationen, ein Sport Talent Jessica Wolf von der TSG Backnang freut sich auch über die Ratschläge des 77-jährigen Norbert Kosinski

„Ich profitiere von seiner Erfahrung, er bringt mir viel bei“, sagt Jessica Wolf über ihren „Kegel-Opa“, wie sie Norbert Kosinski mit einem verschmitzten Grinsen nennt. Der 77-Jährige steht seiner Vereinskameradin bei den Sportkeglern der TSG Backnang aber nicht nur mit Rat und Tat zur Seite, sondern hat ihr sogar seine Kugeln überlassen. „Mit denen will ich zu den deutschen U-18-Meisterschaften“, kündigt die 14-Jährige an.

Bilden ein eingespieltes Duo: Jessica Wolf und Norbert Kosinski. Das Nachwuchstalent profitiert von den Tipps des Routiniers. Foto: A. Becher

Bilden ein eingespieltes Duo: Jessica Wolf und Norbert Kosinski. Das Nachwuchstalent profitiert von den Tipps des Routiniers. Foto: A. Becher

Von Steffen Grün Jessica Wolf schnappt sich auf den Kegelbahnen in der Tennishalle an der Weissacher Straße eine Kugel. Sie konzentriert sich einen Moment, nimmt dann Anlauf und bringt das Spielgerät mit einem kontrollierten Schwung ins Rollen. Die Kugel saust die Bahn hinab und legt eine stattliche Zahl der neun Kegel um, die in Form einer Raute angeordnet sind. Dass sich die soeben zu Fall gebrachten Teile wie von Geisterhand wieder erheben, in die Höhe gezogen werden und je nach Spielform sogleich neu aufstellen, nimmt das talentierte Mädchen aus Weissach im Tal als völlige Selbstverständlichkeit zur Kenntnis. Dass dem beileibe nicht immer so war, weiß Norbert Kosinski aus eigener Erfahrung. „Ich habe in Lübeck in den 50er-Jahren als Kegeljunge die Kegel aufgestellt“, erzählt er, „dafür gab es fünf Mark am Abend für vier Stunden.“ Dies sei für ihn als 16- oder 17-Jährigen ein „schönes Taschengeld“ gewesen, auf das er sich allerdings leider nicht auf Dauer einstellen konnte: „Ich durfte das nur zweimal machen, denn dann kam mein Klassenkamerad wieder aus dem Urlaub zurück.“ Von Kegeljungen hat Jessica Wolf vorher noch nichts gehört Ein Junge, nicht viel älter als sie heute, der auf allen vieren im Bauch der Anlage herumrobbt, um die gefallenen Kegel wieder in die gewünschte Stellung zu versetzen? Jessica Wolf guckt etwas ungläubig und sagt: „Das hört sich komisch an. Ich kenne das nur aus der Kindheit von den Plastikkegeln, mit denen wir zu Hause gespielt haben – die haben wir heute noch.“ Die automatische Kegelaufstellung ist allerdings nicht die einzige Entwicklung geblieben, die den Komfort im Sportkegeln verbesserte. Als es Norbert Kosinski der Liebe wegen erst nach Korntal und später nach Winnenden zog, wo er in der AEG-Betriebssportgruppe die Leidenschaft für diesen Sport entdeckte und 1975 den ersten Spielerpass ausgehändigt bekam, gab es zwar bereits keine Kegeljungen mehr, aber auch noch keine elektronische Anzeige. „Jeder Schub musste vom Spieler aufgeschrieben werden“, erinnert sich der inzwischen in Aspach wohnende Routinier und fügt hinzu: „Es gab auch nur zwei Varianten: In die Vollen und Abräumen.“ Eine Partie bestand aus jeweils 25 Würfen in beiden Disziplinen. In die Vollen bedeutet, stets auf alle neun Kegel zielen zu dürfen und die Punkte zu addieren, beim Abräumen erscheinen die stehen gebliebenen so lange erneut, bis alle weg sind und erst danach geht es wieder von vorne los. Auch diese ganze Rechnerei war längst nicht mehr nötig, als Jessica Wolf vor sieben Jahren von einer Bekannten mitsamt ihrem Vater zum ersten Mal zum Kegeln mitgenommen wurde. „Am Anfang habe ich die Kugel mit zwei Händen nach vorne gerollt“, erinnert sich die Schülerin an ihre ersten Versuche. „Aber es hat mir Spaß gemacht. Ich wollte es daher richtig lernen.“ 2016 trat sie in den Verein ein und war ein Teil des neuen Jugendteams. „Dem ersten im Rems-Murr-Kreis“, wirft TSG-Sportwart Wolfgang Prade stolz ein. Dass sich tatsächlich die vier benötigten Teammitglieder fanden, hatte neben der Initialzündung bei der Kindersportmesse in Backnang im Jahr 2016 viel mit Jessica Wolf zu tun: „Ich habe in meiner Klasse gefragt, wer Interesse hat – zwei sind wieder ausgestiegen, aber Mandeep Singh ist dabeigeblieben.“ Sie selbst natürlich auch, und ihr Talent zeigte sich schnell. 2017 wurde sie Bezirksmeisterin der U 14 im Bezirk Mittlerer Neckar, dieses Jahr sprang der zweite Platz heraus und bei den württembergischen Titelkämpfen wurde sie Achte. Zu tun hat das mit dem Jugendtraining, das ihr Vater Torsten Wolf einmal pro Woche leitet, aber auch mit dem zusätzlichen Einzeltraining. Und mit den Tipps ihres „Kegel-Opas“, auf den sie manchmal eher hört wie auf ihren Papa, was in dem Alter nicht gerade ungewöhnlich ist. Von Norbert Kosinski hat die mit ihrer Familie in Weissach im Tal lebende Nachwuchshoffnung auch die Kugeln bekommen, mit denen sie künftig in der U 18 spielen muss. Diese Exemplare haben einen Durchmesser von 16 Zentimetern und wiegen 2850 Gramm, während Jessica Wolf bislang mit Vereinskugeln spielen durfte, die lediglich 14 Zentimeter Durchmesser haben und 1900 Gramm auf die Waage bringen. „Das wird eine große Umstellung“, ahnt sie, doch ihren Ehrgeiz bremst das nicht: „Ich will mit seinen Kugeln zur deutschen Meisterschaft.“ Das würde ihren Mentor mächtig freuen, denn „meine Kugeln kamen bisher nur bis zur württembergischen Meisterschaft“. Einen netten Zufall hat Norbert Kosinski auch entdeckt: „Als Jessica geboren wurde, habe ich die Kugeln bestellt, die ich nun an sie weitergegeben habe.“ Wenn das kein gutes Omen ist. Im Rahmen der Serie bittet unsere Zeitung Vertreter verschiedener Generationen aus einer Sportart zum Erfahrungsaustausch.

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Erstellt:
8. Juni 2018, 06:00 Uhr

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