Die Pech-Franzi kann wieder lachen
Franziska Preuß überrascht sich beim Heim-Weltcup selbst mit einem fehlerfreien Schießergebnis und ihrem ersten Karrieresieg
Biathlon - Franziska Preuß durchlebte ein dreijähriges Leistungstief, doch sie kämpfte sich zurück und feiert ihren ersten Weltcup-Sieg in Ruhpolding – dank eines psychologischen Kniffs.
Ruhpolding Null Komma zwei. Um diese Winzigkeit schneller war Franziska Preuß als die Norwegerin Ingrid Landmark Tandrevolt – die 24-Jährige lag entkräftet im Zielbereich im Schnee, doch für ein glücksseliges Lächeln auf den Lippen reichten ihre Kräfte gerade noch. Und die 24 000 Fans in der Chiemgau Arena honorierten den ersten Weltcup-Triumph der deutschen Biathletin mit ausgelassenem und lautem Jubel. „Wahnsinn“, freute sich Preuß, als sie wieder zu Atem gekommen war, „dieser Sieg ausgerechnet in meinem Wohnzimmer. Das ist der absolute Wahnsinn.“ Und irgendwie für sie fast unglaublich.
Im Massenstart von Ruhpolding war Preuß endlich gelungen, worauf sie seit Jahren ebenso beharrlich wie verzweifelt hingearbeitet hatte: der erste Weltcup-Sieg, und das mit fast 25 Jahren. Die sieben Monate ältere Doppel-Olympiasiegerin und siebenmalige Weltmeisterin Laura Dahlmeier hat 31 Weltcup-Erfolge, davon 19 im Einzel, auf dem Konto. Dabei war Preuß noch 2015 mit dem Biathlon-Star aus Partenkirchen auf Augenhöhe, beide gewannen bei der WM in Kontiolahti Bronze: Preuß im Massenstart, Dahlmeier in der Verfolgung. Dann wurde die eine zur Gold-Laura, die andere zur Pech-Franzi. „Es war immer irgendwas, ich hatte die Seuche“, sagte die Wahl-Ruhpoldingerin, „teilweise war ich so verzweifelt, dass ich hinschmeißen wollte“.
Im September 2015 hatte sie sich beim Schälen einer Avocado in den Finger geschnitten. Daumensehne durchtrennt, fünf Wochen Pause. Im Dezember stürzte sie bei einer Abfahrt in Östersund, der Haarriss im Steißbein wurde erst Wochen später erkannt – es folgten sechs Wochen Pause. Im Winter 2016/2017 wurde Preuß von einer rätselhaften Viruserkrankung flachgelegt, das Treppensteigen bereitete ihr Mühe, als sei sie bereits über 80. „Ich war ein Wrack“, erinnerte sie sich an die psychisch extrem schwierige Zeit, in der sie an manchen Tagen das Bett nicht verlassen hatte. Sie suchte Hilfe bei einem Herzspezialisten, irgendwann fanden die Ärzte die Ursache: ein Entzündungsherd in der Nasennebenhöhle. Auch mit der seelischen Unterstützung ihres Freundes Simon Schempp, der aktuell eine Formkrise durchläuft, kam sie wieder auf die Beine – und war fest gewillt, sich wieder in die Knochenmühle des Leistungssports zu stürzen. „Ich musste mich ganz mühsam herankämpfen“, sagte Preuß, „jeder Berg schien höher als früher zu sein“.
Aber auch der Olympia-Winter war der Rückkehrerin nicht wohlgesonnen. Bei den Winterspielen war ihr als Staffel-Startläuferin ein böses Missgeschick unterlaufen – obwohl sie alle fünf Scheiben getroffen hatte, legte sie eine Ersatzpatrone ein, weil sie zu spät bemerkt hatte, dass die Klappe bei Schuss Nummer fünf doch gefallen war. Doch sie war mit den Nerven fertig, im Stehendanschlag leistete sie sich vier Fehlschüsse. Die Staffel kam auf Platz acht ins Ziel und Franziska Preuß war ein Häufchen Elend. „Es tut mir so wahnsinnig leid“, schluchzte sie in Pyeongchang, und auch der Rest der Saison lief eher schlecht als recht. „Aber ich habe das alles abgehakt“, versicherte die Bayerin vor dieser Saison.
Sechs Top-Ten-Platzierungen bezeugen den Formanstieg, auch wenn Platz 45 im Einzel in Oberhof und Rang 28 im Einzel in Hochfilzen belegen, dass Preuß noch Luft nach oben hat. Doch in diesem Winter, in dem die große Teamkollegin Dahlmeier mit Krankheiten und Problemen zu kämpfen hat, entwickelt sich die Verfolgungsspezialistin zur neuen Führungsfrau im deutschen Team, an der sich die anderen orientieren können. „Ich spüre jetzt endlich, dass ich wieder dahin komme, wo ich einmal gewesen bin“, sagte sie mit einem Lächeln.
Auf der Strecke ist Preuß nun in der Lage, nicht mehr nur auf Angriffe zu reagieren, vielmehr vermag sie aus ihrer eigenen Stärke heraus selbst Akzente zu setzen. Auch mental ist die Biathletin gestärkt aus dem Tal der Leiden hervorgegangen, was sie in der Chiemgau Arena am Schießstand nachdrücklich bewiesen hat. 20 Treffer – beim letzten Schießen im direkten Duell gegen Tandrevolt hatte die Deutsche eine Nervenstärke an den Tag gelegt, die nicht einmal sie selbst erwartet hätte. „Null Fehler, da war ich selbst überrascht“, sagte sie.
Die Erklärung: Preuß sucht regelmäßig einen Psychologen auf, um Konzentration und Selbstbewusstsein zu steigern. Die Sitzungen lohnen sich. Besonders eine Technik bringt Erfolg, Preuß beschreibt den Kniff selbst als „Leck-mich-am-Arsch-Gefühl“. Also: nicht verkrampfen, sich nicht unter Druck setzen, positiv sein. „Ich bin ganz locker ins Rennen gegangen, ich habe mich richtig darauf gefreut“, erzählte sie. Wahrscheinlich war dies auch ein Schlüssel zum Erfolg – Franziska Preuß sollte vielleicht nur noch einen medientauglicheren Namen für diese Technik finden. Aber das dürfte ihr kleinstes Problem werden.