WM 2034 in Saudi-Arabien
Fußballfest im Land der Hinrichtungen
Der saudische Thronfolger Mohammed bin Salman will die Fußball-WM 2034 für seine Zwecke nutzen – Menschenrechtler verweisen indes auf einen brutalen Rekord.
Von Thomas Seibert
Der saudische Thronfolger Mohammed bin Salman feiert die Vergabe der Fußball-WM 2034 an sein Land als Erfolg seiner Politik. Saudi-Arabien werde „Liebe, Frieden und Toleranz“ verbreiten, erklärte der 39-jährige Kronprinz.
Kurz bevor Saudi-Arabien den umstrittenen Zuschlag der Fifa erhielt, hatten Menschenrechtler einen anderen Rekord für das Königreich gemeldet: Seit Januar sind demnach 309 Menschen in Saudi-Arabien hingerichtet worden, so viele wie nie zuvor in einem Jahr – nur der Iran und China richten mehr Menschen hin. Für die WM muss Saudi-Arabien in den nächsten zehn Jahren ein Dutzend Stadien aus dem Boden stampfen, weitere Milliardeninvestitionen sind für Verkehr, Hotels und andere Projekte nötig. Geld ist da, denn Saudi-Arabien ist der größte Ölexporteur der Welt: Der staatliche Investitionsfonds PIF hat mehr als 900 Milliarden Dollar in der Kasse.
Für Mohammed bin Salman, genannt MbS, ist die WM ein Meilenstein des Reformprogramms, mit dem er Saudi-Arabien zu einem modernen Staat umbauen will. Der Kronprinz regiert, weil sich sein 88-jähriger Vater König Salman aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hat, und treibt Projekte wie den Bau von Retortenstädten in der Wüste voran. Die Öffnung Saudi-Arabiens für die globale Sportindustrie ist ein weiterer Kernbereich seiner Politik. Das Land lockt Fußball-Weltstars wie Cristiano Ronaldo und richtet Großereignisse wie Formel-Eins-Rennen aus. Im Jahr 2029 richtet das Land die Asiatischen Winterspiele aus, mit Kunstschnee und Milliardeninvestitionen.
Die WM 2034 bedeutet für MbS „eine weitere Konsolidierung seiner Legitimation, vor allem bei der jungen Bevölkerung“, sagt Sebastian Sons, Experte für die Golf-Region bei der Bonner Denkfabrik Carpo. Viele junge Saudis sind stolz auf die WM und unterstützen den Kronprinzen. Fast zwei von drei Saudis sind jünger als 30 Jahre. Saudi-Arabien will in den kommenden Jahren für sie mindestens drei Millionen neue Jobs in der Privatwirtschaft schaffen. Der Fußball soll helfen, dieses Ziel zu erreichen. MbS werde versuchen, „die WM als wirtschaftlichen Treiber zu nutzen, um Direktinvestitionen ins Land zu holen, um Geld zu verdienen“, sagte Sons unserer Zeitung.
Neue Jobs und wirtschaftliche Reformen sollen nach dem Willen des Prinzen das Überleben der Monarchie nach dem Ende des Ölzeitalters sichern – mehr politische Mitsprache für die 37 Millionen Bürger des Königreichs lehnt er dagegen ab. Er hat zwar einige Beschränkungen für Frauen aufgehoben, Kinos wieder geöffnet und die Rechte der Religionspolizei beschnitten, doch alle Reformen werden von seiner Regierung angeordnet und kontrolliert. Wer mehr Rechte fordert, lebt gefährlich: Vor sechs Jahren ließ Kronprinz Mohammed nach Überzeugung von UN- und US-Experten den Dissidenten Jamal Khashoggi in Istanbul töten. Auf dem Freiheits-Index der US-Organisation Freedom House erreicht Saudi-Arabien nur sieben von 100 möglichen Punkten; zum Vergleich: Deutschland liegt bei 93 Punkten.
Nach Zählung der saudischen Exil-Organisation Alqst sind unter den 309 Hinrichtungsopfern mindestens 46 Menschen, die als „Terroristen“ verurteilt wurden, weil sie etwa an Protesten teilgenommen hatten. Die Organisation Esohr in Berlin teilte mit, Saudi-Arabien habe 2024 sieben Frauen hingerichtet, auch das sei eine neue Höchstzahl. Viele Frauen sind in Haft, weil das Regime sie als Gefahr betrachtet. Die Fitnesstrainerin Manahel al-Otaibi wurde unlängst laut Amnesty International von einem Anti-Terror-Gericht zu elf Jahren Haft verurteilt, weil sie in den sozialen Medien mehr Frauenrechte gefordert hatte.