„Ich kann das Pfeifen nicht lassen“

Das Interview: Fußballschiedsrichter Carl Höfer über den Reiz des Amts, seine Erfahrungen und künftigen Aufgaben

Aus der Oberliga hat sich Fußballreferee Carl Höfer aus freien Stücken zurückgezogen, von der Pfeiferei hat der 29-Jährige aber noch längst nicht genug. Der Schiedsrichter des SV Unterweissach macht auf niedrigerem Niveau weiter und ist zudem als Beobachter sowie als Lotse für den Nachwuchs im Einsatz. Im Interview spricht Höfer über seine künftigen Aufgaben und seine bisherigen Erfahrungen mit Spielern und Zuschauern.

Carl Höfer bezeichnet sich selbst als Schiedsrichter, der auf Kommunikation mit den Spielern setzt und mit den Karten eher sparsam umgeht. Foto: Imago

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Carl Höfer bezeichnet sich selbst als Schiedsrichter, der auf Kommunikation mit den Spielern setzt und mit den Karten eher sparsam umgeht. Foto: Imago

Von Steffen Grün

In der Oberliga läuft die Saison, nach acht Jahren am Stück aber ohne Sie an der Pfeife. Warum haben Sie sich mit gerade einmal 29 Jahren von der Verbandsliste zurückgezogen?

Ich habe wegen des Berufs immer weniger Zeit und war lange dabei. Dazu wird die Schiedsrichterei immer professioneller: Wenn ein Oberliga-Spieler mit 29 Jahren sagt, es reicht und geht zwei, drei Ligen runter, kann es jeder nachvollziehen. Das wird bei Referees auch zunehmend so sein. Ich konnte die vergangene Saison noch mal genießen, weil ich von vorneherein wusste, dass es mein Abschiedsjahr wird. Irgendwann wäre dieser Schnitt sowieso gekommen, jetzt ist es so weit.

Haben Sie mit der Oberliga das Optimum erreicht oder wäre noch mehr drin gewesen?

Ich hatte ein, zwei Jahre, in denen ich in der Oberliga-Tabelle vorne dabei war und mit etwas Glück auch den Aufstieg hätte schaffen können. Es wäre zeitlich dann aber noch schwieriger geworden, zudem waren meine Mitbewerber auch wirklich gut. Unter den 14 Referees aus Württemberg, die Oberliga pfeifen, gibt es einen oder maximal zwei Aufsteiger – da muss man ein optimales Jahr erwischen, denn ein schlechtes Spiel ist eigentlich schon eines zu viel. Acht Partien werden benotet, da darf man sich nichts erlauben. Ich glaube, ich habe das Maximum erreicht, mehr wäre wohl nicht machbar gewesen.

Das WFV-Pokal-Endspiel 2017 zwischen den Stuttgarter Kickers und Dorfmerkingen war der Höhepunkt ihrer Laufbahn, oder?

Absolut, auch vom Drumherum: Live in der ARD, viele Zuschauer und es ging für beide Teams um alles. Ehrlich: Ich habe vor einem Spiel nie so schlecht geschlafen wie damals. Es lief dann aber super und es ist die Partie, auf die ich immer wieder angesprochen werde. Auch der WFV-Vorstand war sehr zufrieden, zumal es mit den Ausschreitungen der Kickers-Fans und der Härte von Dorfmerkingen nicht einfach zu pfeifen war.

Welche Begegnungen sind Ihnen sonst noch in besonderer Erinnerung geblieben?

Ich war als Assistent beim ersten Regionalliga-Spiel von Kickers Offenbach nach dem Zwangsabstieg. Da waren 7500 Zuschauer, das ist immer ein Highlight. Ich hatte als Schiedsrichter zweimal das Duell Reutlingen gegen Balingen, das ist auf der Alb etwas ganz Besonderes und lockt 2000 Zuschauer zu einer Oberliga-Partie. Das sind Spiele, die man nicht vergisst.

Sie wollen weiter Jugendspiele und Partien der Aktiven bis zur Bezirksliga leiten. Warum wollen Sie sich fortan wieder auf Dorfsportplätzen als „Blinder“ bezeichnen lassen?

Das macht den Fußball auch aus (lacht), damit habe ich kein Problem. Setzt man sich danach zusammen und alles ist wieder gut, dürfen diese Emotionen in den 90 Minuten sein. Ich bin allgemein gerne auf Dorfsportplätzen, schaue auch oft in Unterweissach zu. Zum einen kann ich das Pfeifen nicht lassen, zum anderen kenne ich so viele Fußballer im Raum Backnang und freue mich auf viele Begegnungen.

Ein Schiedsrichter braucht aber schon ein dickes Fell und muss die Ohren auch mal auf Durchzug stellen. Warum sind Sie es trotzdem geworden und hatten Sie ein Vorbild?

Ich hatte schon immer Lust darauf und als Jugendspieler wünscht man sich auch jüngere Referees. Ich habe gerne Verantwortung übernommen und es nie bereut. Etwas abschauen sollte man sich bei den Kollegen, die man als Assistent begleitet. Ich habe in der Oberliga vieles bei Frank Stettner gelernt, der mir auch vom Typ her sehr ähnlich ist – eher großzügig und auf Kommunikation aus als auf Karten.

Ganz klischeehaft gefragt: Mussten Sie schon einmal zum Auto rennen und Ihre Tasche in der Kabine zurücklassen, weil Ihnen Fußballer, Fans oder Funktionäre ans Leder wollten?

Dass man nicht so gut gelitten ist, kommt mal vor, aber ich hatte nie das Gefühl, flüchten zu müssen. Das hat vielleicht damit zu tun, dass der Respekt vor einem größeren Schiedsrichter noch einen Tick stärker ist. Zudem war ich nie einer, der noch Öl ins Feuer gegossen hat und hatte deshalb tendenziell ruhigere Spiele. Das heißt aber natürlich keineswegs, dass der Unparteiische selbst schuld ist, wenn er tätlich angegriffen wird. Bei mir hat es bislang einfach relativ gut geklappt – wenn, dann blieb es im verbalen Bereich, und das macht mir eigentlich nichts aus.

Gab es mal den unterschwelligen oder sogar offenen Versuch der Einflussnahme?

Nein, so direkt auf jeden Fall nicht. Aber: Die Spieler kämpfen auf dem Platz schon um Entscheidungen, wollen dich irgendwie noch umstimmen. Es gibt auch Spieler, bei denen man genau merkt, dass sie dich andauernd loben, um in der letzten Minute noch einen Elfmeter zu schinden.

„Ohne Schiri geht es nicht“, heißt es, dennoch gibt es Nachwuchssorgen. Warum soll ein Jugendlicher zur Pfeife greifen, was ist der Reiz?

Da gibt es vieles. Man macht Sport, ist ein Teil des Spiels und sollte mehr als Sportler wahrgenommen werden. Mich hat es charakterlich geprägt und gestärkt. Man lernt auf dem Platz sehr viel im Umgang mit Menschen, muss die Spieler schnell einschätzen und eine Kommunikationsebene finden. Das bringt einen persönlich und auch für das Berufsleben weiter. Ich wurde bei jeder Bewerbung positiv auf die Schiedsrichtertätigkeit angesprochen. Und man darf nicht vergessen, dass man total viel erleben kann. Ich hätte es als Spieler nie in die Oberliga geschafft, nun habe ich dort acht Jahre auf dem Buckel. Man kommt in Gegenden rum, die man sonst nie bereist hätte. Und nicht zu vergessen: Man verdient etwas Taschengeld.

Wie viel Training ist nötig, um in den höheren Amateurligen auf Ballhöhe zu sein?

Es heißt oft, man soll sich an den Teams der Liga orientieren und so oft trainieren, wie sie es tun. Ich denke, ganz so weit ist es zumindest bis zur Oberliga noch nicht, zwei bis drei intensive Konditionseinheiten pro Woche sollten es aber schon sein. Zudem sollte man die Liga im Blick haben und sich gut aufs Spiel vorbereiten: Wer ist vorne? Pfeift man ein Derby? Gibt es auffällige Spieler in den Mannschaften, die man im Auge behalten sollte?

Sie wollen auch Beobachter sein. Fühlten Sie sich selbst einmal ungerecht bewertet und wie wollen Sie diese Rolle interpretieren?

Es gibt wohl keinen Schiedsrichter, der sich vom Beobachter noch nie ungerecht behandelt fühlte. Da prallen oft Welten aufeinander, vor allem alterstechnisch. Wenn einer vor 20, 30 Jahren aktiv war, hat er ein ganz anderes Verständnis vom Spiel und der Rolle des Schiedsrichters. Die jungen Unparteiischen werden vor allem auf DFB-Ebene ganz anders geschult – viel mehr Richtung Spielleitung, als mit Druck auf die Spieler einzuwirken. Ich will als Beobachter auf alle Fälle nicht nur bewerten, sondern auch Tipps geben und auch als Coach gesehen werden, auch wenn ich am Ende natürlich ein Urteil fällen muss. Vor allem in den ersten Jahren wird es da von Vorteil sein, dass ich noch nahe an der Praxis bin.

Eine weitere Aufgabe wird die eines Lotsen sein, der sich um den Nachwuchs kümmert. Was ist darunter genau zu verstehen?

Da geht es noch mehr um die Förderung. Der WFV wurde hierfür in vier Gebiete geteilt, jedes hat einen oder zwei Lotsen. Ich bin für die Bezirke Enz-Murr, Unterland und Hohenlohe zuständig. Die Lotsen sind bei der Leistungsprüfung vor der Saison dabei und lesen Beobachterbögen noch einmal, ob die Note gerechtfertigt ist. Sie sind Ansprechpartner für etwa 20 Bezirksliga-Schiedsrichter, die unter Beobachtung stehen, und schauen sie sich auch mal bei einer Partie an – damit sind sie eine Hilfe in der Sichtung für den Verbandsschiedsrichterausschuss und zugleich eine Hilfe für die Unparteiischen als Förderer und Kontaktperson.

Gregor Wiederrecht (SKG Erbstetten, 18 Jahre) ist in die Landesliga aufgestiegen, Selbiges gilt für Yannik Schneidereit (SV Kaisersbach, 22). Was trauen Sie diesem Duo zu?

Der Übergang von der Bezirksliga in die Landesliga ist total schwierig. Wie bei den Vereinen steigen auch viele Schiedsrichter nach nur einer Saison wieder ab. Ich denke nicht, dass das unseren Jungs passiert, aber auch sie müssen im ersten Jahr aufpassen – mit ein, zwei schlechten Spielen kann es bereits eng werden. Weil er der jüngste Landesliga-Referee ist, hat Gregor eine sehr große Perspektive, denn jedes Jahr ist hilfreich, um Erfahrungen zu sammeln. Yannik pfeift richtig solide, geht sehr gut mit den Spielern um und wird sich in der Landesliga etablieren.

Karoline Wacker pfeift Regionalliga-Spiele der Männer, Bundesliga-Spiele der Frauen und als Fifa-Schiedsrichterin dazu noch internationale Spiele. Was ist für sie noch drin?

Im Männerbereich ist es wie bei Bibiana Steinhaus oft auch eine politische Entscheidung, ob man noch eine Frau weiter oben haben will oder nicht. Von der Regionalliga in die Dritte Liga ist es ohnehin ein enormer Kampf – da gibt es Jahre, da steigt aus der Regionalliga Südwest keiner oder mal einer auf, aber für Karoline kann schon noch was gehen. Im Frauenbereich geht formal nix mehr, denn über der Fifa kommt nichts mehr. Ihr könnten aber Topspiele zugeteilt werden. Sie trainiert sehr viel, ist sehr fit und packt auch die Männer-Leistungsprüfung problemlos. Es ist also sicher kein Frauenbonus dabei, sondern sie muss sogar mehr tun, weil dieselben körperlichen Anforderungen wie an die Männer gestellt werden.

Carl Höfer Zur Person

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Erstellt:
15. September 2018, 06:00 Uhr

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