Judokas der TSG Backnang fehlen noch zwei Titel zum Rekordmeister

Der Verein aus dem Murrtal kämpft nun schon seit Jahren mit zwei Mannschaften erstklassig und zählt zu den deutschen Top-Klubs. Die Frauen sind nach drei Meisterschaften in Folge hierzulande das Nonplusultra. Ein Grund ist für Trainer Jens Holderle, dass der Klub stark aufs Zwischenmenschliche schaut.

Jens Holderle achtet genau darauf, dass sich das Judo im Murrtal auch ohne großes Geld bestens weiter entwickeln kann. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Jens Holderle achtet genau darauf, dass sich das Judo im Murrtal auch ohne großes Geld bestens weiter entwickeln kann. Foto: Tobias Sellmaier

Von Uwe Flegel

„Was ist euer nächstes Ziel. Jedes Jahr Deutscher Meister zu werden, kann doch nicht alles sein?“ Jens Holderle verrät nicht, ob er sich über die Frage gewundert hat, die dem Trainer und Sportlichen Leiter der Backnanger Judokas in Speyer nach dem dritten Titel in Folge für die TSG-Frauen gestellt worden war. Was er schmunzelnd erzählt, das ist seine Antwort: „Ich habe dem Kollegen gesagt, dass wir mit den Mädels noch zwei Meisterschaften holen wollen, dann haben wir mit sieben Titeln die Crocodiles Osnabrück mit ihren sechs überholt und sind deutscher Rekordmeister.“

Als Jugendlicher mit dabei als die Erfolgsgeschichte begann

Es wäre der nächste Schritt einer Erfolgsgeschichte, zu deren Beginn der nunmehr 43-Jährige als Jugendlicher mit dabei war. Nun zählt die TSG zu den besten Judoklubs Deutschlands. Daran beteiligt sind aber nicht nur die Frauen, die seit 20 Jahren ununterbrochen erstklassig sind. Auch die Männer blicken auf die stärkste Runde der Vereinsgeschichte zurück. Im dritten Jahr seit dem Wiederaufstieg in die Erste Bundesliga kam Backnang in acht Vergleichen zu zwei Siegen und einem Unentschieden. Mit Rang sieben unter neun Teams war das Saisonziel Nichtabstieg frühzeitig erreicht.

Auch im Männerteam fehlt nicht mehr so viel bis zur Spitze

Was Wunder, dass Holderle mit den Leistungen beider Mannschaften sehr zufrieden ist. Auch wenn hier ein weiterer deutscher Meistertitel steht und dort nur die ersten zwei Backnanger Erstliga-Siege. „Die Saison hat gepasst“, sagt Holderle zu den Männern und fügt hinzu: „Nächstes Jahr darf’s trotzdem eine weitere Steigerung geben.“ Heißt das, dass die TSG nun auch beim sogenannten starken Geschlecht größere Ziele verfolgt? „Wenn wir zum jetzigen Team noch drei, vier Topkämpfer holen, sind wir in den Top-Drei“, sagt Holderle und nennt danach das große Problem: „Hier trifft sportlicher Anspruch auf finanzielle Möglichkeiten.“ Dabei erinnert ihn die jetzige Situation bei den Männern durchaus an die Lage bei den Frauen vor rund eineinhalb Jahrzehnten. Mit vielen Athletinnen aus dem eigenen Nachwuchs wie die spätere Olympianeunte Michaela Semsch (damals Baschin) und der einen oder anderen Gastkämpferin mischte Backnang gut mit, war aber nicht spitze.

Ein Grund für die Backnanger Stärke ist die geringe Fluktuation

Das hat sich längst geändert. In Deutschland führt die Meisterschaft der Frauen nur über die TSG. Das beweisen fünf Titel und weitere zweite sowie dritte Plätze. Dabei ist es nicht das große Geld, das Medaillen- und Titelgewinnerinnen bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften wie Luise Malzahn, Anna-Maria Wagner, Alina Böhm oder Eigengewächs Katharina Menz an die Murr lockt. Dafür sind Fahrtkostenersatz und ein paar Euro Siegprämie zu gering. Holderle sagt mit Blick aufs Frauenteam: „„Wir haben es geschafft, seit Jahren kaum Veränderungen im zu Kader haben. Bei uns kennen sich alle und ich habe den Eindruck, selbst unsere Spitzenleute freuen sich richtig darauf, gemeinsam kämpfen zu dürfen.“ Bestes Beispiel dafür war die Finalrunde Mitte September, als die TSG mit einem knappen 8:6 über Speyer das dritte Mal in Folge Deutscher Meister wurde. „Da hat der Bundestrainer allen seinen Topleuten frei gestellt, ob sie kämpfen wollen oder nicht. Er war eher dagegen“, erzählt Holderle und fügt hinzu: „Bei uns waren alle da.“ Dasselbe gilt für Antoinette Hennink. Die Niederländerin startet nicht nur seit langer Zeit für Backnang, sondern ist seit vier Jahren auch Mutter und stand trotzdem am Tag nach ihrem 34. Geburtstag in Speyer auf der Matte.

Geringe Fluktuation im Kader und der Wohlfühlfaktor sind große Stärken

Diese Treue liegt sicher mit daran, dass „sie sich bei uns wohl fühlen“. Weil sich die TSG um sie kümmert. Zum Beispiel, wenn es um eine verlässliche Übernachtungsmöglichkeit für die Sportlerinnen und Sportler mit sehr weiter Anfahrt geht. Deshalb sagt der Trainer: „Schauen wir auf unsere Erfolge, dürfen wir die Arbeit der Personen im Hintergrund wie meinem Vater Alfred, wie Marion Riener, wie Andreas Schlegel und von anderen nicht vergessen. Es klappt, da viele gemeinsam anpacken“ – und es menschlich stimmt. Holderle: „Unser Credo ist, keinem aus dem Kader zu nehmen. Bei uns entscheidet jede Kämpferin oder jeder Kämpfer selbst, ob sie oder er dabei bleiben will.“ Das bedeutet aber nicht, dass ein Einsatz garantiert ist. Vor allem Leistung zählt.

Stolz darauf, dass jede Gewichtsklasse mit Eigengewächsen besetzt werden kann

Die stimmt ebenso wie der Ansatz, bei all dem Erfolg die eigenen Leute nicht aus den Augen zu verlieren. Der Sport- und Mathelehrer an der Max-Eyth-Realschule freut sich: „Wir haben bei den Frauen in jeder Gewichtsklasse eine Kämpferin aus unserem Verein im Kader.“ Darunter sind erfahrene Kräfte wie Tanja Hehr und die Olympionikin sowie Vize-Weltmeisterin Katharina Menz, zwei 22-Jährige wie Helena Grau und Chiara Serra sowie Talente wie Tayla Grauer und Sara-Joy Bauer. „Dass jemand wie Tanja Hehr immer noch dabei ist“, macht mich stolz.“ Zumal sich die 34-Jährige wie auch Chiara Serra bei der TSG bereits selbst als Jugendtrainerin engagiert. Holderle sagt: „Unsere Stärke ist, dass wir mittlerweile superbreit aufgestellt sind. Das zu erreichen, war nicht einfach. Es musste wachsen und ging nicht mit einem Fingerschnipsen.“ Der einstige Bundesliga-Kämpfer erinnert daran, „dass es Gert Lamsfuß einst war, der das so auf den Weg gebracht hat“.

Auch bei den Männern will die TSG Schritt für Schritt voran kommen

Dessen einstiger Schützling Holderle ist stolz darauf, was daraus gemacht wurde und will auch bei den Männern weiter vorwärts kommen. Für starke Gastkämpfer wie den Weißrussen Mikita Sviryd, die Ungarn Csanád Feczkó und Roland Gőz sowie der Niederländer Yannick van den Kolk soll das Murrtal sportliche Heimat werden. So wie es für Eigengewächse wie Robin Angerer, Jonas Riener oder Leon Maier schon lange ist. Und das ohne, dass der Rubel rollt. Denn, so Holderle: „Wir haben unser Budget für die Frauen und für die Männer. Mehr geben wir nicht aus. Wären wir bei den Frauen deshalb nur Zweiter geworden, wären wir eben Zweiter geworden.“ Dazu kam es bekanntlich nicht und zum deutschen Rekordmannschaftsmeister fehlen den TSG-Judofrauen nun nur noch zwei Titel.

Kein Start in der Champions League

Fehlendes Geld In Deutschland sind die TSG-Judofrauen regelmäßig die Nummer eins. Bei der europäischen Klubmeisterschaft (9. Dezember, Belgrad) sind die Backnangerinnen wie in den vergangenen Jahren sehr wahrscheinlich erneut nicht dabei. Für die Champions League fehlt das Geld. Überhaupt ist der Verein trotz seiner Sparsamkeit mit einem geschätzten Etat im mittleren fünfstelligen Bereich nicht auf Rosen gebettet. Jens Holderle warnt deshalb: „Wenn wir das, was hier entstanden ist, so weiter betreiben wollen, dann brauchen wir finanziell einfach mehr Unterstützung.“

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Erstellt:
27. September 2023, 06:00 Uhr

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