Krimmer kehrt zu seinen Wurzeln zurück
Olympiastarter und WM-Bronzemedaillengewinner turnt in der neuen Saison fürs Drittliga-Team seines Heimatklubs TSG Backnang
Von der internationalen Bühne hatte sich Sebastian Krimmer schon zu Beginn des Jahres verabschiedet, nun zieht sich der Turner auch aus der Ersten Bundesliga zurück. Er macht allerdings nicht komplett Schluss, sondern geht wieder dort an die Geräte, wo einst alles begann: Der 29-Jährige will nächste Saison dazu beitragen, dass die Drittliga-Turner der TSG Backnang das Aufstiegsfinale erreichen.

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Sebastian Krimmer vertrat die TSG Backnang im deutschen Nationaltrikot unter anderem bei vier Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen 2012 in London. Foto: Baumann
Von Steffen Grün
Obwohl er vor allem in den letzten Jahren seiner internationalen Karriere von hartnäckigen Verletzungsproblemen begleitet wurde, hatte der Turner aus der Murr-Metropole lange Zeit davon geträumt, vor der eigenen Haustür in Stuttgart zum fünften Mal bei der Weltmeisterschaft zu starten. Weil die Schulteroperation im Juni 2017 seine Schmerzen zwar gelindert hatte, gewisse Einschränkungen allerdings geblieben waren, reifte in ihm im Laufe des vergangenen Winters die bittere Erkenntnis, dass daraus nichts mehr wird. Mit seiner Vereinskameradin Emelie Petz, aber ohne Sebastian Krimmer gingen die Titelkämpfe in der Landeshauptstadt vor rund zwei Monaten schließlich über die Bühne.
Auf nationaler Ebene machte er jedoch trotz des Rückzugs des MTV Stuttgart aus dem Oberhaus weiter und wechselte noch einmal den Klub. Mit der TG Saar qualifizierte sich der Backnanger Turner fürs Finale um den deutschen Meistertitel, den er 2014 mit den Schwaben schon einmal abgeräumt hatte. Aus dem zweiten Triumph wurde aber nichts, in Ludwigsburg gab es vor zweieinhalb Wochen eine hauchdünne 27:29-Niederlage gegen Straubenhardt. Es war Krimmers Abschied aus der Eliteliga, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Eine weitere Runde im Trikot der Saarländer kam für ihn nicht mehr infrage, denn „mir fehlt die Zeit, weil sich die Aufgaben verschoben haben. Um gute Leistungen zu bringen, müsste ich öfter in der Halle sein, aber das ist einfach nicht mehr möglich.“
Zum einen, weil sein unlängst ein Jahr alt gewordener Sohn Flynn etwas vom Papa haben will und die Familie vor einem Umzug von Backnang nach Großaspach steht. Und zum anderen, weil der ehemalige Sportsoldat im September 2019 mit einer zweijährigen Ausbildung zum Finanzassistenten bei der Kreissparkasse Waiblingen angefangen hat. „Es ist schon eine Umgewöhnung, wieder die Schulbank zu drücken“, sagt Sebastian Krimmer zu dem Blockunterricht an der Berufsschule, der sich mit den Phasen im Betrieb abwechselt. Es kann also durchaus passieren, ihn auch einmal am Schalter der Backnanger Hauptfiliale am Obstmarkt anzutreffen.

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Nächste Saison kehrt Sebastian Krimmer dorthin zurück, wo alles begann, und geht für die TSG-Riege auf Punktejagd. Archivfoto: E. Layher
Ihm habe mit Blick auf die vielen Verletzungen und die mit mal mehr, mal weniger Schmerzen verbundenen Trainingseinheiten zudem auch „der Wille gefehlt, mich weiterhin zu quälen“, nennt der Turner einen weiteren Grund, warum die TG Saar ab sofort ohne ihn planen muss: „Irgendwann ist die Zeit gekommen, dem eigenen Körper auch einmal etwas Gutes zu tun.“ Diesem Zweck folgt Krimmers Entschluss, nicht von heute auf morgen komplett aufzuhören, sondern die Belastung in mehreren Schritten langsam herunterzufahren: „Das ist für den Körper und den Kopf der bessere Weg.“ Und es ist zugleich ein Glücksfall für die TSG Backnang, weil das Eigengewächs die erfolgreiche Karriere in der Heimat beenden wird, wie er bei der Turngala im Bürgerhaus am vergangenen Samstagabend unter tosendem Applaus verkündete: „Ich will meinem Verein, der mich viele Jahre unterstützt und mich dorthin gebracht hat, wo ich hingekommen bin, noch etwas zurückgeben.“
Und so kommt es, dass einer, der 2010 bei der WM in Rotterdam mit dem deutschen Team die Bronzemedaille eroberte, 2011 bei der Einzel-EM in Berlin Fünfter am Pauschenpferd wurde und im Jahr darauf in London an den Olympischen Spielen teilnahm, in der neuen Saison für die Backnanger Drittliga-Riege turnt. Und das nicht etwa mit halber Kraft, sondern mit dem bekannten Ehrgeiz: „Ich will mich nicht auf der Ersatzbank herumdrücken, sondern als Leistungsträger vorangehen.“ Weil Kirchheim und Straubenhardt II den Sprung in die Zweite Bundesliga gepackt haben, spekuliert Krimmer mit dem Vierten der abgelaufenen Runde sogar auf das Aufstiegsfinale: „Es sollte unser Anspruch sein, einen der ersten zwei Plätze anzupeilen.“ Weil er seinen Beitrag leisten möchte, wird er drei- bis viermal pro Woche trainieren, sobald die Vorbereitung im Mai so richtig beginnt – einmal davon vielleicht auch in Stuttgart am Kunstturnforum.
Vorher konzentriert er sich auf seinen Trainerjob bei der TSG Backnang und da vor allem auf das zweite Männerteam, das in die Verbandsliga aufgestiegen ist. „Im Februar geht es los, die Saison dauert bis Ende April“, erklärt Krimmer, für den es danach so gut wie nahtlos mit der Drittliga-Truppe weitergeht. „Ich mache das auf alle Fälle ein Jahr mit der Option auf ein weiteres Jahr“, steckt Krimmer den zeitlichen Rahmen für die letzte Station als aktiver Turner ab. „Dann bin ich auch schon 31 und muss mir Gedanken machen.“ An Eugen Spiridonov, der mit 37 sogar noch für die TG Saar in der Bundesliga turnte, wird er sich definitiv kein Beispiel nehmen: „Das kommt für mich nicht infrage.“