Leon Draisaitl: der Eis-Nowitzki
Die NBA-Legende ist das große Idol des Nationalspielers
Weitestgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit hat sich der 23-jährige Leon Draisaitl zu einem der besten Eishockeyspieler der Welt entwickelt.
Edmonton All Star, zweitbester Schütze der Liga, bester deutscher Schütze in der Geschichte der nordamerikanischen Profiliga – die Rede ist nicht von Basketballlegende Dirk Nowitzki.
Nein, diese Attribute vereint Deutschlands bester Eishockeyspieler Leon Draisaitl auf sich. Der 23-Jährige spielt seine fünfte NHL-Saison und verbucht bei noch 17 ausstehenden Spielen bereits jetzt die erfolgreichste Saison eines deutschen Profis der NHL-Geschichte.
Draisaitl und Eishockey? Da war doch was. Leons Vater Peter ist ehemaliger deutscher Nationalspieler und aktueller Trainer der Kölner Haie in der DEL. Einigen dürfte noch sein Penalty-Fehlschuss im Olympia-Viertelfinale von Albertville 1992 in Erinnerung sein, als der Puck gegen Kanada auf der Linie liegen blieb und die DEB-Auswahl die Sensation gegen Kanada verpasste.
Filius Leon war damals noch nicht geboren. Die Eishockeyleidenschaft liegt ihm trotzdem im Blut. Dass es nicht immer einfach ist, aus dem Schatten des erfolgreichen Vaters zu treten, weiß auch Leon: „Mal öffnet es Türen, mal weckt es große Erwartungen“, sagt er im Rückblick. Türen öffnete er dank seines Talents auch selbst; die in ihn gesetzten Erwartungen wollte keiner mehr erfüllen als Draisaitl selbst. Schon als Teenager hat er ein Ziel, das der Vater nie erreichte: eines Tage in der NHL zu spielen.
Diesem Wunsch ordnet er alles unter: Mit 14 verlässt er die Kölner Heimat, wechselt zu den Adlern nach Mannheim. Ohne Mama und Papa lernt er früh, auf eigenen Beinen zu stehen und für seine Entscheidungen geradezustehen: „Als ich die Chance hatte, nach Mannheim zu gehen, hat mein Vater gesagt, ich solle selbst entscheiden.“
Dass die Entscheidung für die Jungadler die richtige war, zeigt sich schnell. Er überzeugt in Mannheim, durchläuft die Jugendkader des Deutschen Eishockey-Bundes – und mit 17 locken ihn die Prince Albert Raiders in die kanadische Juniorenliga WHL. Technisch gilt der Teenager als begnadet, in Amerika lernt er jedoch schnell, dass er läuferisch und körperlich zulegen muss. Oder wie Draisaitl sagt: „Ich habe von meinem Papa das Spielverständnis und die Hände in die Wiege gelegt bekommen – leider aber auch seine läuferischen Fähigkeiten.“ Daher galt für ihn in Kanada: „Das Skaten und das Körperspiel musste ich verbessern.“
Gesagt, getan. In seiner ersten WHL-Saison wird er 2013 zum besten Neuling gewählt, ein Jahr später gehört er zu den besten Nachwuchstalenten der Welt. „Einer wie Evgeni Malkin“, sagt der damalige deutsche Junioren-Nationaltrainer Ron Chyzowski über ihn. Ein großer Vergleich, gilt Malkin doch seit einem Jahrzehnt als einer der begnadetsten Kufencracks der NHL. Auch die Edmonton Oilers erkennen das Talent des jungen Deutschen und ziehen ihn im Sommer 2014 an dritter Stelle im NHL-Draft.
In Edmonton, wo Eishockey zum Selbstverständnis gehört wie der Karneval in Köln, haben sie Großes vor mit dem Deutschen. An der Seite von Superstar Connor McDavid soll er den einst ruhmreichen Club (5 Stanley-Cup-Titel) zu alter Größe führen. Und wie bisher immer scheint Draisaitl auch diesen Erwartungen gerecht zu werden: Im ersten NHL-Jahr pendelt er noch zwischen Nachwuchs- und Profiteam, im zweiten Jahr gehört er zum Stamm der Oilers, und im dritten Jahr, 2017, steht der Traditionsclub erstmals seit 2006 wieder in den Play-offs. Mit 29 Saisontoren ist Draisaitl nach McDavid (30 Treffer) zweitbester Schütze des Teams. Der Lohn: ein Acht-Jahres-Vertrag, der ihm bis 2025 65 Millionen US-Dollar einbringt.
Im Jahr darauf verpassen die Oilers die Play-offs, auch in diesem Jahr sieht es bei acht Punkten Rückstand auf den letzten Play-off-Platz nicht optimal aus für die Kanadier. An Draisaitl liegt das nicht: 40 Saisontore hat er bereits erzielt, nur die lebende Legende Alex Ovechkin traf in dieser Saison öfter als er. Folgerichtig stand er erstmals im All-Star-Team der NHL – als erster Deutscher seit Marco Sturm 1999.
Die Zukunft der Oilers sieht unabhängig davon rosig aus: Draisaitl ist 23, McDavid erst 22. Manche vergleichen sie schon mit dem legendären Oilers-Duo Wayne Gretzky/Mark Messier. Als die Hall-of-Famer Ende der 90er Jahre die Oilers verließen, hatten sie fünf Stanley-Cups nach Edmonton geholt.
Sollte den Youngstern Ähnliches gelingen, dürften die Nowitzki-Vergleiche nicht mehr so abwegig sein. Auch wenn Draisaitl sagt: „Dirk Nowitzki war eine Inspiration für mich. Ich habe immer angestrebt, so zu sein wie er. Aber im Eishockey ist ein Nowitzki-Status wohl leider nicht zu erreichen.“