Formel 1
Lewis Hamilton und seine letzte Fahrt im Silberpfeil
Lewis Hamilton bestreitet am Sonntag in Abu Dhabi sein letztes Formel-1-Rennen für Mercedes – nach 246 Grand Prix, sechs WM-Titeln und 84 Siegen – eine beeindruckende Rekordbilanz ist das. Die Frage ist nun: Findet der Ausnahmepilot von 2025 an bei Ferrari sein Glück?
Von Elmar Brümmer
Komisch habe es sich angefühlt, schon das ganze Rennjahr über. Das gilt erst recht fürs Saisonfinale der Formel 1 an diesem Wochenende in Abu Dhabi. Ein Rennen, das in die Dämmerung geht. Wenn das nicht passt zum Abschied von Lewis Hamilton und seinem Arbeitgeber Mercedes.
Seit er in der Formel 1 ist, und das sind jetzt 18 Rennjahre, war er nie anders unterwegs als mit Motoren aus Stuttgart. Es ist die erfolgreichste Beziehung zwischen einem Rennfahrer und einem Team in der Historie der Königsklasse. Nach dem Debüt mit McLaren war er allein in 246 Großen Preis für den Werksrennstall am Start, hat dabei sechs Titel, 84 Siege und 78 Pole-Positionen geholt. Wenn er im neuen Jahr das erste Mal in Rot zu sehen sein wird, dürften sich alle die Augen reiben. Auch der dann 40-Jährige selbst. „Ich hatte erwartet, dass es schwierig wird“, sagt er über sein letztes Jahr in Silber, „aber ich habe es insgesamt unterschätzt.“
Der Brite meint damit nicht sein zickendes Auto, dessen unberechenbares Heck ihm trotz zweier Glanz-Siege in Silverstone und Spa die Saison versaut hat. Er meint die Reaktion der Menschen auf den schon im Februar verkündeten Farbwechsel: „Ich habe es unterschätzt. Es hat gedauert, bis die Leute darüber hinweg waren.“
Abu Dhabi, ausgerechnet Abu Dhabi. Hier beginnt mit dem Saisonfinale am Sonntag (14 Uhr) die Abschiedstournee, die ihn über eine Stippvisite beim Hauptsponsor nach Kuala Lumpur, dann ins Stuttgarter Mercedes-Museum und schließlich in die mittelenglischen Rennfabriken in Brixworth und Brackley führen wird. Auf dem Yas Marina Island Circuit fehlten ihm Ende 2021 nur eine Runde (und ein Rennleiter, der sich an die übliche Regelauslegung hält) zum achten Titel. Das war ein Knacks, dessen Haarrisse bis heute nachwirken. Lewis Hamilton teilt sich den Ruhm als Rekordweltmeister mit sieben Titeln immer noch mit Michael Schumacher. Der Kerpener war zum Karriereende hin den Weg andersherum gegangen, wollte es nach den Ferrari-Triumphen und einer Pause noch einmal bei Mercedes wissen, was von den Ergebnissen her nicht erfolgreich war. Den Schumi-Vergleich wird Hamilton nicht los, da kann er ihn noch so leugnen: „Ich denke nicht daran, mich mit Michael zu vergleichen. Das spielt für mich jetzt gerade keine Rolle.“
Die Sehnsuchtsmarke Ferrari
Es geht um Ferrari, die Sehnsuchtsmarke aller Formel-1-Fahrer. Etwas anderes hätte nach Mercedes auch nicht kommen können. Die Herausforderung, als emotionalster Pilot im aktuellen Fahrerfeld zum Rennstall der großen Gefühle zu wechseln. Den Glauben an sich zurückzugewinnen. Der Transfer, angeblich 65 Millionen Dollar Jahresgehalt wert, war vor allem deshalb so reizvoll, weil Mercedes seinem Alt-Star keinen längerfristigen Vertrag mehr geben wollte. In Maranello soll das anders aussehen: „Es ist ein Traumszenario.“ Streiche Frust, setze Lust. Die aktuelle Saison wird schnell vergessen sein, die frechen Fragen der Fernsehmoderatoren „Ende Legende?“ wird der Ausdauerpilot als Ansporn nehmen.
Sein neuer Teamchef Fred Vasseur, den Hamilton schon aus Formel-2-Zeiten kennt, macht sich keine Sorgen über eine anhaltende Formschwäche: „Ich bin überhaupt nicht besorgt, nicht über einen Fahrer, der in Las Vegas vom zehnten Startplatz aus am Ende den Sieg nur knapp verpasst.“ Hamilton hatte die Bedenken mit seinem selbstkritischen Kommentar geschürt: „Ich bin nicht mehr schnell genug.“ Dabei ging es aber wohl vor allem um das unberechenbare Heck des Mercedes und die schwer zu bändigen Reifen – beides geht gegen seinen Fahrstil. Im Ferrari wird er beweisen müssen, dass es zuletzt tatsächlich am Auto lag und nicht an ihm, er wird mit Charles Leclerc auf einen erstarkten Teamkollegen und eine italienische Rennnation treffen, die nichts anderes als den Titel von ihm erwartet. Das deckt sich doch. An Emotionen wird es nicht mangeln.
Alles ein letztes Mal
Viel Vorfreude, wenn da nicht der Abschied wäre. Alles ein letztes Mal. In den sozialen Medien posten Team und Fahrer Bilder in schwarz-weiß, was natürlich nichts mit der jüngsten Pleite in Katar (Platz zwölf) zu tun hat. „Ein bittersüßes Ende, aber alles davor bleibt unauslöschlich“, sagt Sir Lewis Hamilton. Bei ihm überwiegen Stolz und Wehmut, und wie so oft erlaubt er einen Blick in seine wunde Seele: „Man sitzt da und realisiert, das sind die letzten Momente mit dem Team. Es ist schwer, dieses Gefühl zu beschreiben. Aber es ist das Lachen aus den Zeiten, in denen wir erfolgreich waren, das in Erinnerung bleibt. Das nehme ich mit.“
Mercedes-Teamchef Toto Wolff ist längst auch ein Freund geworden, am Küchentisch in seinem Haus in Oxford hatte er Hamilton zweimal zum Weitermachen überredet. Nach zwölf Jahren, die der Österreicher als „unglaublich“ beschreibt nun also das letzte Kapitel: „Wir haben viele Höhepunkt erlebt. Aber auch einige niederschmetternde Momente, die wir gemeinsam überwunden haben.“ Die Beziehungskiste wird jedoch in Zukunft nicht einfacher werden, das wissen alle. „Es ist eine Phase, die zu Ende geht“, sagt Toto Wolff, „aber Lewis wird nicht aus der Welt sein. Er wird immer ein Teil unserer Familie bleiben.“ Und ein Gegner, den es zu schlagen gilt. Mercedes sieht dann Rot.