Stuttgarter Kickers
Lutz Siebrecht: „Wenn einer vor uns schwächelt, müssen wir da sein“
Seit 1. Januar ist Lutz Siebrecht als Geschäftsführer Sport wieder für die Stuttgarter Kickers tätig. Wie beurteilt er die Winter-Transfers? Nimmt er Einfluss auf die Spielphilosophie? Wie lauten die kurz- und mittelfristigen Ziele des Vereins?
Von Jürgen Frey
Lutz Siebrecht hat als Rückkehrer zum Fußball-Regionalligisten Stuttgarter Kickers keine Anlaufzeit benötigt und möchte den Verein schon in der Rückrunde in allen Bereichen weiterentwickeln. Von der Mannschaft verlangt der Geschäftsführer Sport, dass sie über ihre Grenzen geht, und da ist, wenn die vorderen Teams patzen sollten.
Herr Siebrecht, wie sehr hat es Ihren Einstieg erleichtert, dass Sie von Juli 2019 bis Oktober 2021 schon einmal als Sportlicher Leiter für die Kickers tätig waren?
Schon sehr, weil ich einen Großteil der handelnden Personen noch kannte. Es war deshalb keine große Anlaufzeit nötig.
Wie hat sich der Verein in den knapp dreieinhalb Jahren verändert?
Der Verein hat sich sehr gut entwickelt. Zum Beispiel in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Sponsoring hat die Marke Kickers einen Schritt nach vorne gemacht. Man hat die sportlichen Erfolge in dieser Phase, wie den Regionalliga-Aufstieg, den WFV-Pokal-Sieg, die DFB-Pokal-Spiele, gut genutzt. Auch unser NLZ hat sich sehr gut entwickelt. Hier machen wir mit den handelnden Personen schon eine sehr gute Arbeit.
Der Schwerpunkt Ihrer Arbeit lag im Januar darin, an diversen Stellschrauben in Sachen Kader zu drehen. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Wir haben die Verträge mit Kevin Dicklhuber, Niklas Antlitz und Daniel Kalajdzic aufgelöst, allesamt Spieler mit sehr wenig Einsatzzeiten. Dabei wurden Lösungen gefunden, die den Spielern und dem Verein gerecht werden. Im Gegenzug holten wir Stürmer David Stojak aus seiner Leihe vom FC Nöttingen zurück und mussten unvorhergesehenerweise auf die Verletzung unseres Stammkeepers Felix Dornebusch reagieren. Die Leihe von Arlind Rexhepi ganz am Ende der Wechselperiode bietet uns eine wichtige Option in der Offensive. Von daher bin ich zufrieden, wir haben 20 Feldspieler plus drei Torhüter, das ist nicht überdimensioniert.
Im Sinne einer Verschlankung des Kaders konnten mit weiteren Kandidaten wie Vico Meien und Brian Behrendt offensichtlich keine Lösungen gefunden werden.
Ich weiß nicht, wo Sie Ihre Informationen her haben. Ganz grundsätzlich wollten wir nicht zu viel verändern, nicht zu viel durcheinanderbringen, sondern mit Augenmaß vorgehen. Die Mannschaft ist intakt. Vielleicht haben sich manche mehr vorgestellt, aber der aktuelle vierte Platz ist respektabel, zudem zeigte in den Spielen vor der Winterpause die Tendenz nach oben.
Der Kickers-Kasse hätte eine weitere Entlastung gut getan.
In der langen Winterpause hat der Verein keine Einnahmen, das ist für alle Clubs stets ein Kraftakt, aber bei den Kickers werden die Gehälter pünktlich bezahlt, der Verein hat eine sehr solide Budgetplanung.
„Umgang im Team ist gut“
Das ursprünglich schon gebuchte Winter-Trainingslager im Süden wurde gestrichen. Sportlich ein Nachteil?
Als ich kam, war klar, dass wir kein Trainingslager machen können. Die Gründe habe ich nicht hinterfragt. Es ist nicht unüblich, dass ein Club auf unserem Niveau nicht unbedingt ins Warme fliegt. Es ändert auch nichts daran, ob eine Vorbereitung gut oder schlecht ist. Klar ist es besser, bei warmen Temperaturen die Einheiten durchzuführen und die Nähe zueinander fördert auch das Teambuilding. Unser Team ist aber schon länger zusammen und zwischenmenschlich intakt. Der Umgang in der Mannschaft und mit dem Trainerteam ist gut. Das habe ich jedenfalls recht schnell festgestellt.
Der Rückstand auf Spitzenreiter TSG Hoffenheim II beträgt acht Punkte. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kickers noch ins Aufstiegsrennen eingreifen?
Das sehe ich ganz pragmatisch. Aus eigener Kraft können wir es nicht schaffen. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und unsere Spiele gewinnen. Wenn einer vor uns schwächelt und sich eine kleine Chance ergibt, dann müssen wir alles dafür tun, um da sein. Es bringt aber nichts, auf Hoffenheim, Offenbach oder den FSV Frankfurt zu blicken. Wir wollen auf uns selbst schauen und uns in dieser Rückrunde weiterentwickeln, positive Ergebnisse erzielen. Wie gesagt, wir wollen da sein, wenn eines der vorderen Teams Punkte lässt.
Sie hatten im September 2021 Mustafa Ünal zum Chefcoach befördert, auch weil er auf einen ungemein intensiven, kampf- und laufstarken Spielstil mit schnellen Umschaltmomenten setzt. Wie sehr nehmen Sie als Sport-Geschäftsführer Einfluss auf die Philosophie?
Der Verein war damals in einer anderen Situation, die mit der aktuellen nicht zu vergleichen ist. Ich tausche mich mit dem Trainerteam täglich aus, sehe jede Trainingseinheit und gebe meine Eindrücke an das Trainerteam weiter. Aber die Spielphilosophie ist genauso wie die Trainingsarbeit letztendlich Sache des Trainers. Ich arbeite sehr gerne im Team mit einem offenen Austausch untereinander. Wir haben ein sehr gutes, kompetentes und fleißiges Trainerteam.
Ihr Vorgänger Marc Stein drängte vergangenen Sommer auch deshalb auf einen Trainerwechsel, damit dominanterer Ballbesitzfußball gespielt wird.
In unserem Testspiel gegen Altach habe ich gesehen, dass unsere Mannschaft alles investiert, um Spiele zu gewinnen. In welchem Spielsystem, in welcher Grundordnung, ist nicht so entscheidend. Entscheidend ist, dass die Spieler mit einer hohen Intensität spielen und sehr laufbereit sind, über ihre Grenzen gehen, die Räume eng machen und die Abstände gering halten. Diese Attribute können wir immer zeigen und die muss unser Team auch aufs Feld bringen.
Gutes Pressing . . .
. . . kann man in einem 4-3-3- oder in einem 4-2-3-1-System oder auch in anderen Grundordnungen spielen. Da gibt es Vor- und Nachteile. Zu entscheiden, was am Spieltag gegen den jeweiligen Gegner am besten ist, dafür haben wir unser Trainerteam.
Julian Leist wird Julian Schieber als Übergangskoordinator ablösen. Ihre Meinung dazu?
Sollten alle Details vollends geklärt sein, freut es mich sehr, wenn er diese Aufgabe übernimmt. Es war immer mein Wunsch, solche Positionen mit eigenen Leuten zu besetzen. Julian Leist ist ein Gesicht der Kickers und bringt alles mit, was es braucht. Ich erwarte mir einen großen Mehrwert von seiner Person und seiner Arbeit.
Was sind Ihre kurz- und mittelfristigen Ziele mit den Kickers?
Eigentlich schaue ich nur auf die kommende Rückrunde. Da wollen wir uns in allen Bereichen verbessern und erfolgreich spielen. Dass der Verein, das Umfeld und natürlich auch unsere besonderen Fans über kurz oder lang in die nächst höhere Liga wollen, ist klar. Das ist unser Wunsch, aber da müssen wir noch viele Faktoren verändern und verbessern, um das zu erreichen.
Zur Person
Karriere Lutz Siebrecht wurde am 26. Oktober 1967 in Geislingen/Steige geboren. Er begann seine Laufbahn bei seinem Heimatclub SC Geislingen, später absolvierte er zwischen 1988 und 1991 als offensiver Mittelfeldspieler für den SV Waldhof Mannheim 44 Bundesliga- und 18 Zweitligaspiele. Von 2015 bis 2018 fungierte er als Sportlicher Leiter beim SSV Ulm 1846, von Juli 2019 bis Oktober 2021 in gleicher Rolle bei den Stuttgarter Kickers. Danach folgte er seinem früheren Mitspieler, Freund und Nachbarn Markus Gisdol zu Lokomotive Moskau, wo er den Teammanagerposten antrat. Infolge des russisch-ukrainischen Krieges traten beide im März 2022 von ihren Ämtern zurück. Zum 1. Januar 2025 kehrte Siebrecht als Geschäftsführer Sport zu den Kickers zurück.
Persönliches Neben seiner sportlichen Tätigkeit ist er einer von zwei Geschäftsführern bei der Wirth GmbH & Co. KG, ein auf dem Großmarkt Stuttgart handelndes Unternehmen, welches vorrangig Feinkostläden, Wochenmarkthändler sowie große Handelsketten mit (Süd-)Früchten beliefert. Siebrecht ist verheiratet, hat zwei Söhne (33 und 30 Jahre) und eine Tochter (22). Er wohnt in Bad Überkingen. Sein Hobby ist Reisen. (jüf)