Aufarbeitung des Turnskandals

„Muss für alle ein Weckruf sein“ – Warum das Land im Turnskandal eigene Wege geht

In der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe im Turnen beschreitet das Land Baden-Württemberg nun einen eigenen Weg. Wie und warum, erklärt Ministerin Theresa Schopper im Exklusiv-Interview.

Die Vorwürfe am Kunstturnforum in Stuttgart beschäftigen seit vielen Wochen auch die Politik. Landesministerin Theresa Schopper setzt nun eigene Vorstellungen der Aufarbeitung um.

© Pressefoto Baumann/Alexander Keppler

Die Vorwürfe am Kunstturnforum in Stuttgart beschäftigen seit vielen Wochen auch die Politik. Landesministerin Theresa Schopper setzt nun eigene Vorstellungen der Aufarbeitung um.

Von Dirk Preiß

Die Aufarbeitung des Turnskandals läuft – und weil das baden-württembergische Ministerium für Kultus, Jugend und Sport von der Art und Weise eigene Vorstellung hat, kommt in die Sache bald eine neue Komponente. Welche, erklärt die Ministerin Theresa Schopper.

Frau Schopper, nächste Woche findet in der Porsche-Arena der DTB-Pokal statt. Werden Sie bei den Turnerinnen und Turnern vorbeischauen?

Nein. Aber, bevor Sie fragen: Nicht wegen der Vorkommnisse der vergangenen Wochen. Ich schaffe es zeitlich einfach nicht.

Nach den massiven Vorwürfen im weiblichen Turnen läuft seit Wochen die Aufarbeitung, unter anderem auch staatsanwaltlich. Auch Ihr Ministerium hat vor rund einem Monat klare Forderungen an die Untersuchungen gestellt. Wurden die mittlerweile erfüllt?

Dabei ging es ja vor allem um die Frage: Wird das Konzept, das der Deutsche Turner-Bund unter Einbeziehung der Kanzlei Rettenmaier aufgesetzt hat, auch von den Athletinnen und Athleten akzeptiert. Daran gab und gibt es große Zweifel, weshalb wir schon die Gefahr gesehen haben, dass solch ein Format von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist.

Zu einem Umdenken hat das beim DTB nicht geführt.

Der DTB hat uns mitgeteilt, an seinen Plänen, auch in Bezug auf die Kanzlei, festzuhalten. Diese Kanzlei hat ja vor einigen Jahren schon die Situation am Turnstandort Chemnitz unter die Lupe genommen. Die Geschehnisse in Stuttgart haben nun aber gezeigt, dass das offenbar nicht gereicht hat. Daher war für uns klar: Wir müssen im Land ergänzend ein anderes Format haben. Etwas, das wirklich Vertrauen schaffen kann, das nicht nur den Staub von der Oberfläche wischt, sondern einen Wandel einleiten und bewirken kann.

Wie sieht dieses Format aus?

Wir haben gegenüber dem Landessportverband Baden-Württemberg zum Ausdruck gebracht, dass wir vom Sport selbst ein schlüssiges Konzept erwarten. Derzeit wird beim LSV ein unabhängiges Expertengremium zusammengestellt. Da sind Wissenschaftler dabei, Sportlerinnen werden gehört, dazu kommen weitere Persönlichkeiten, die in diesen Bereichen über Erfahrung verfügen. Die Vorschläge der Personen lässt grundsätzlich auf den Willen zu einem Strukturwandel schließen.

Vom DTB hieß es aber auch einmal, gegen das Vorgehen des Verbandes habe Ihr Ministerium keinerlei Bedenken geäußert.

Wir haben dem DTB unsere Position gerade im Hinblick auf das fehlende Vertrauen der Athletinnen klar gemacht. Die darauf folgenden Vorschläge gehen grundsätzlich in die richtige Richtung. Aber wenn die Zweifel an der Unabhängigkeit der Untersuchung bei Betroffenen derart groß sind, braucht es eben etwas anderes, um Vertrauen zurückzugewinnen. Und: Die jüngsten Vorwürfe beziehen sich auf die Turnzentren in Baden-Württemberg. Daher war schnell klar, dass dass hier eine Aufklärung und Aufarbeitung im Südwesten notwendig ist.

Trainer sind mehr als sportliche Coaches

Haben Sie denn Zweifel am Aufklärungswillen der Turnverbände?

Ich will es einmal so sagen: Man ist dort vielleicht etwas schwer aus den Startblöcken gekommen. Auch deshalb haben wir reagiert. Wir wollen für die Athletinnen dauerhafte Lösungen. Dazu braucht es meines Erachtens einen klaren Kodex, der die körperliche und die seelische Gesundheit künftiger Sportlerinnen sicherstellt.

Wären Sie bei ähnlichen Problemen in anderen Sportarten ebenso vehement eingeschritten?

Das Turnen ist eine faszinierende Sportart. Aber eben auch eine, in dem der Leistungssport bereits in sehr jungem Alter beginnt. Es geht hier also um sehr junge Mädchen, Kinder, die teils weit weg sind von zu Hause oder mit ihrer Familie des Sports wegen in eine neue Umgebung ziehen. Da ist doch klar, dass Trainerinnen und Trainer noch mehr als in anderen Sportarten nicht nur sportliche Coaches sind, sondern wichtige Wegbegleiter, auch in der Persönlichkeitsentwicklung. Die Kinder, aber auch die Eltern, brauchen Sicherheit.

Was steht im Mittelpunkt Ihrer Bemühungen und Forderungen?

Die körperliche und mentale Gesundheit der jungen Sportlerinnen und Sportler dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Ein gesundes Umfeld kann die Leistung sogar noch erhöhen, das sehen wir an der Schweiz.

Leistungssport ist mitunter hart.

Glauben Sie mir, ich bin da nicht naiv. Das Trainingspensum, das die Talente leisten müssen, sind enorm und hart. Spitzensport geht immer ans Limit, darum geht es ja. Und die, die es nach ganz oben schaffen, zeichnet nicht nur ihr Talent aus, sondern eben auch ihre Bereitschaft, extrem hart an sich zu arbeiten.

Aber?

Was wir in den vergangenen Monaten gelesen und gehört haben, muss für alle ein Weckruf sein, dass sich in der Methodik und im Umgang etwas verändern muss.

Wurde der von den verantwortlichen Verbänden gehört?

Wer den Schuss jetzt noch nicht gehört hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Die jüngsten Geschehnisse haben die Szene bis ins Mark erschüttert. Ich hoffe, das haben auch die Turnverbände erkannt.

Wie kann eine nachhaltige Veränderung gelingen?

Es hat auch in anderen Ländern Geschehnisse wie in Deutschland gegeben. Mit der Folge, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Es brauchte vielerorts einen Paradigmenwechsel, der die Gesundheit der Sportlerinnen in den Mittelpunkt stellt. Viele, die das angegangen sind, wurden zunächst belächelt, es wurde gesagt: Dann könnt ihr vielleicht noch bei der Gaumeisterschaft mithalten. Am Ende hat das aber dazu geführt, dass diese Mannschaften sogar erfolgreicher waren als zuvor. Weil die sportlichen Entwicklungen nicht kurzfristig gedacht, sondern nachhaltiger waren.

Erholt sich der Standort Stuttgart?

Stuttgart galt über Jahrzehnte als Vorzeigestandort. Kann das Kunstturnforum diesen Ruf wiedererlangen?

Zunächst einmal will ich nicht alles über einen Kamm scheren. Mir wurde, auch von Sportlerinnen, versichert, dass sich in den vergangenen Jahren schon einiges verändert hat. Und ich weiß auch: Die Wahrnehmungen der Trainingsarbeit und der Ansprache sind von Turnerin zu Turnerin verschieden. Aber im Kunstturnforum gab es in Bezug auf die Trainerin und den Trainer, die nun nicht mehr dort tätig sind, schon eine auffallende Häufung problematischer Situationen.

Das bedeutet für die Zukunft des Standorts was?

Es ist jetzt zuerst wichtig, dass Vertrauen wieder zurückgewonnen wird und hier wieder gut gearbeitet werden kann. Hier trainieren ja einige der besten deutschen Nachwuchsturnerinnen, mit Helen Kevric ja sogar eine der besten. Wir wollen, dass sie alle weiter gute Trainingsbedingungen haben. Ich weiß, dass zuletzt eine Lücke in der Betreuung entstanden ist. Deshalb müssen die Verbände nun alles dafür tun, dass bei Turnerinnen, Eltern und Öffentlichkeit der Glaube an einen Turnstandort zurückkehrt, der in der Lage ist, Spitzenleistung mit Menschlichkeit und Schutz zu verbinden. Das geht!

Mit den Eltern der derzeit in Stuttgart aktiven Turnerinnen hatten Sie bereits einen Gesprächstermin vereinbart, diesen dann aber wieder abgesagt.

Leider ja, auf Bitten der Justiz. Es laufen ja staatsanwaltliche Ermittlungen, und da wurde uns geraten, diese Gespräche erst einmal nicht zu führen. Aber ich würde das gerne nachholen.

Die Fördermittel für das Spitzenturnen in Stuttgart bleiben noch eingefroren?

Das Zurückhalten von Fördergeldern war und ist unser schärfstes Schwert. Wir wollten dadurch sicherstellen, dass Konsequenzen gezogen werden. Das ist vonseiten des Schwäbischen Turnerbundes passiert, damit ist das größte Hindernis aus dem Weg geräumt.

Fließt also bald wieder das Geld, dass für die Finanzierung der beiden Trainerstellen maßgeblich ist?

Die Mittel werden in sechs Tranchen ausgezahlt. Bevor eine weitere Auszahlung stattfindet, werden wir mit dem Landessportverband, der die Fördergelder verwaltet und weitergibt, Rücksprache halten und schauen, was in der Zwischenzeit veranlasst wurde – und erst dann entscheiden, in welcher Höhe Mittel freigegeben werden. Klar ist aber auch, dass das Einfrieren der Mittel denjenigen gegolten hat, die nicht die Gesundheit und das Wohl der Athletinnen im Blick hatten. Wir wollen ja nicht, dass die Trainingsqualität für unsere Athletinnen und Athleten leidet.

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Erstellt:
18. März 2025, 17:20 Uhr
Aktualisiert:
18. März 2025, 17:29 Uhr

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