Neue Herausforderung in der alten Heimat
Der Ex-Aspacher und zuletzt in Leipzig tätige Aloscha Shpilevski trainiert mittlerweile den weißrussischen Erstligisten Dinamo Brest

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Sammelte im Nachwuchsbereich von RB Leipzig wertvolle Erfahrungen, von denen er als Chefcoach beim weißrussischen Erstligisten Brest profitieren will: Aloscha Shpilevski. Foto: RB Leipzig/motivio
Von Jürgen Klein
Er hat bei der Weltmeisterschaft mal wieder die Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Diego Armando Maradona. Argentiniens „Hand Gottes“ wurde dem Ruf, eine der schillerndsten Figuren im Fußballgeschäft zu sein, aufs Vortrefflichste gerecht. Während der vier Partien der Gaucho-Truppe, die nach der 3:4-Niederlage im Achtelfinale gegen Frankreich die Segel streichen musste, jubelte und litt der Weltmeister von 1986 auf der Tribüne mit. Kaum war die Elf um Lionel Messi draußen, brachte sich dessen legendärer Vorgänger im Trikot mit der Nummer 10 sofort wieder als neuer Nationaltrainer ins Gespräch.
Diesen Posten hatte Maradona von Oktober 2008 bis Juli 2010 schon einmal inne, in Diensten von Dinamo Brest stand der 57-Jährige dagegen noch nie. Künftig wird er jedoch in offizieller Mission und Funktion für den amtierenden weißrussischen Pokalsieger tätig sein. Dafür, dass Barcelonas und Neapels ehemaliger Star dort nicht so leiden muss wie beim kürzlichen WM-Aus seiner Argentinier, soll ein deutscher Trainer mit Aspacher Vergangenheit sorgen: Aloscha Shpilevski. Wie Domenico Tedesco oder Thomas Tuchel, die als Nobodys in die Bundesliga durchstarteten, war auch der 30-Jährige einst Jugendtrainer beim VfB Stuttgart, nachdem er bei der SG Sonnenhof die ersten Erfahrungen gesammelt hatte. Vom Wasen wechselte Shpilevski zu RB Leipzig, seine Mentoren waren die früheren VfB- Jugendchefs Frieder Schrof sowie der am 17. Oktober 2017 verstorbene Thomas Albeck, die RB-Sportdirektor Ralf Rangnick schon vorher zu den Sachsen geholt hatte. Der Leipziger Macher aus Backnang hat zudem einen guten Draht zu Niki Shpilevski, dem Vater des jungen Coaches.
Vor allem Albeck war sicher, dass mit Aloscha Shpilevski ein großes Trainertalent heranreift. Sein Lob vor drei Jahren: „Er bereitet jede Einheit sehr gewissenhaft vor und zieht das konsequent durch. Er unterbricht jedoch notfalls, korrigiert und erklärt, was der Spieler tun soll, was er von ihm erwartet. Dabei beobachtet er alles ganz genau, geht ins Detail. Zudem legt er großen Wert auf Disziplin.“ Beeindruckt zeigte sich Albeck schon damals von weiteren Eigenschaften: „Aloscha wirkt schon jetzt sehr souverän und hat, was die Taktik angeht, schon viel drauf.“
Shpilevski kennt aber auch die Schattenseiten des Sports. Als Kicker galt er in der VfB-Jugend durchaus als talentiert. Wachstumsschübe machten ihm aber immer wieder zu schaffen, der Rücken und die Bandscheibe machten nicht mit. Mehr Arzttermine als Trainingseinheiten waren die Folge. Auch deshalb wurde aus dem einstigen weißrussischen U-17-Nationalspieler ab 2009 ein begeisterter Trainer.
Der Ball spielte in seiner Familie schon immer eine große Rolle. Vater Nicolai war selbst Profi und ein Mittelfeldspieler von hoher Qualität, doch auch ihn stoppte eine Verletzung. Auch er sattelte früh um, wurde Freund und Berater von Alexander Hleb, dem besten weißrussischen Fußballer, der unter anderem für den VfB Stuttgart, den FC Barcelona und Arsenal London spielte. Die Kontakte in die Heimat ließ der Vater nie abreißen. Im Gegenteil.
Dass sein Sohn nun beim Erstligaklub Dinamo Brest – einer Stadt mit 310000 Einwohnern im Südwesten Weißrusslands – als Trainer angeheuert hat, schreibt sich Niki Shpilevski aber nicht auf die Fahne: „Das würde bei Aloscha nicht funktionieren. Der lässt sich in seine Sachen auch von mir nicht reinreden. Da ist er stur, der zieht sein eigenes Ding durch.“ Logisch, dass der Vater stolz ist. Dafür, dass die RB-Verantwortlichen ihrem U-13-Coach keine Steine in den Weg legten, „sind wir vor allem Ralf Rangnick und Frieder Schrof sowie dem Team der Roten Bullen dankbar“, betont Nikolai Shpilevski.
Sein Sohn krempelte bei seiner ersten Station als Chefcoach im Aktivenbereich sofort die Ärmel hoch. Alles steht auf dem Prüfstand: „Ungefähr so hatte ich mir das schon vorgestellt, allerdings nicht ganz so extrem. Wir müssen viel, viel umstellen.“ Das fängt bei der Trainingskleidung an, denn da herrschte wildes Durcheinander. War ein Frühstück angesetzt, kam jeder Spieler, wann er wollte – wenn er nicht im Bett blieb. Dinge, die Shpilevski so nicht kannte: „Ich werde harte Überzeugungsarbeit leisten müssen. Die Spieler müssen Vertrauen fassen in das, was wir tun.“
Shpilevskis Einstand fällt mit
dem 6:0-Sieg in Homel optimal aus
Was war, ist ihm nicht so wichtig: „Wir müssen nach vorne schauen.“ Das bedeutet auch, mit Brest die Qualifikationsrunde zur Europa League zu überstehen. Zugleich soll der neue Trainer den Umbruch einleiten. Der Einstand hätte mit dem 6:0 in Homel schon einmal nicht viel besser laufen können. „Das Engagement ist eine große Herausforderung und Ehre“, erklärt Shpilevski. Beide Seiten lernten sich kennen, als Dinamo-Jugendteams in Leipzig zu Gast waren. Als der Erstligist kürzlich seinen Trainer feuerte, wurde der Kontakt mit dem in Minsk geborenen und seit dem sechsten Lebensjahr in Deutschland wohnenden Trainer hergestellt. Der flog nach Weißrussland, erklärte sein Konzept und löste Interimscoach Sergey Kovalchuk ab.
Aloscha Shpilevski brennt vor Ehrgeiz, will seine Philosophie umsetzen. Bedeutet im Fußballjargon: „Die Handschrift des Trainers muss deutlich werden.“ Falls das klappt, hat auch Diego Maradona – offiziell nun Vorsitzender des Verwaltungsrats – wieder mehr Spaß am Fußball.