Torhüter der DFB-Elf
Oliver Baumann – eine Nummer eins mit Sternchen
Torhüter Oliver Baumann, Konkurrent von VfB-Keeper Alexander Nübel, zeigt beim 2:1-Sieg gegen Italien eine überragende Leistung – und verdient sich seinen Status in der DFB-Elf.

© imago//Goal Sports Images
Hatte in Mailand alles im Griff: Nationaltorhüter Oliver Baumann.
Von Marco Seliger
Tim Kleindienst ist gefährlich im Sechzehner. Dem wird auch der italienische Star-Keeper Gianluigi Donnarumma jetzt nicht mehr widersprechen, denn der konnte beim Ausgleichstor des Stürmers der DFB-Elf gegen Italien am Donnerstagabend (2:1) nur hinterherschauen. Kleindienst, der als Joker mit seinem Kopfballtreffer zum 1:1 kurz nach der Pause die Wende einleitete beim Viertelfinal-Hinspiel der Nations League, machte Eindruck auf der großen Bühne in Mailand-San-Siro. Und er setzte der Leistung des deutschen Keepers Oliver Baumann am Ende die Krone auf.
Denn der weiß im Gegensatz zu Donnarumma – so viel ist jetzt klar nach den Eindrücken im Giuseppe-Meazza-Stadion – wie man einen gefährlichen Kleindienst-Abschluss im Strafraum entschärft.
Kurzer Rückblick also: Es läuft die 78. Minute in Mailand. Deutschland liegt inzwischen nach einem wuchtigen Kopfball von Leon Goretzka, den selbst Kleindienst kaum besser hinbekommen hätte, mit 2:1 vorne (der ehemalige Angreifer des 1. FC Heidenheim sagte einmal, dass sein stärkster Fuß der Kopf sei, das nur am Rande).
Die vorletzte starke Parade
Doch Kleindienst ist in dem Fall auch mit dem Knie gefährlich – und erzielt so fast das 2:2 für Italien. Per Eigentor, nach einer Ecke. Schnell geht es, zu schnell für Kleindienst nach dem italienischen Standard. Aber nicht für Baumann. Weltklasse ist der Reflex nach der Prüfung des Mitspielers aus kurzer Distanz. Es sollte die vorletzte von einigen bärenstarken Paraden gewesen sein, die die deutsche Nummer eins in Mailand zeigte.
„Er war echt gut, er hat vieles gehalten, und ich habe ihn auch noch mal geprüft“, sagte der Fast-Doppeltorschütze Kleindienst nach der Partie: „Es freut mich, dass Oli so präsent war. Und dann haben wir das nochmal wegzelebriert“, ergänzte der Mittelstürmer noch über den gemeinsamen Jubel mit dem Keeper nach der Partie – in der Baumann auch mit starkem Spielaufbau, Ruhe am Ball und einer im besten Sinne fordernden wie gelassenen Ausstrahlung auf seine Teamkollegen bestach.
Kommandos, ja bitte, aber nie hektisch werden – das war immer Baumanns Losung, der auch neben dem Platz ein angenehmer Zeitgenosse ist. Denn er präsentiert sich im Gespräch ebenso bedacht wie fokussiert. Baumann weiß, was er will, er hat Botschaften. Aber er war noch nie ein Marktschreier.
Der 34-Jährige ist ein bescheidener, reflektierter Typ, der Ruhe ausstrahlt in hektischen Zeiten (und die gab und gibt es bei seinem Club TSG Hoffenheim zuhauf). Fußball ist demnach auch für ihn Kopfsache – nur ein bisschen anders als bei, sagen wir, Kleindienst oder Goretzka. In aller Gelassenheit und extrem gefestigt stellte sich der Keeper dem im Herbst von Bundestrainer Julian Nagelsmann ausgerufenen Konkurrenzkampf mit Alexander Nübel vom VfB Stuttgart. Vor der Partie in Italien entschied sich der Coach in Abwesenheit des weiter verletzten Marc-André ter Stegen für Baumann. Im Spiel zeigte Letztgenannter, warum.
Lob von Nagelsmann
„Er hat zwei Dinger gehalten, die er nicht halten muss“, sagte Nagelsmann und meinte dabei den Kleindienst-Abschluss und einen starken Schuss von Giacomo Raspadori. Der Coach ließ dabei einige andere starke Paraden unerwähnt. „Oli hat mich nicht überrascht, weil ich weiß, dass er ein sehr, sehr guter Torwart ist und eine gute Ruhe hat“, sagte Nagelsmann. Und: „Da steht jetzt bei ihm wahrscheinlich ‚Note 1‘ drunter.“
Die wollte sich Baumann nach seinem Glanz-Auftritt selbst nicht geben, dafür war seine Laune wenig überraschend 1a. Er sprach vom „unbeschreiblichen Gefühl“, das er nach dem Sieg im Prestigeduell mit den Italienern habe: „Das war echt schön mit dieser Truppe. Ich genieße es gerade, aber es ist erst der erste Schritt.“ Der zweite soll am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) beim Rückspiel in Dortmund folgen, wo Baumann mit der DFB-Elf den Einzug in die Finalrunde der Nations League im Juni schaffen will. Sollte der gelingen, würde das kleine Turnier in München und Stuttgart ausgespielt. Höchstwahrscheinlich dann weiter mit Baumann im Tor, denn mit ter Stegens Rückkehr wird gemeinhin erst später gerechnet.
Der Mann erlebt im Herbst seiner Karriere die Höhepunkte – dabei tritt Baumann ja im Grunde seit seinem Bundesliga-Debüt für seinen Heimatverein SC Freiburg im Mai 2010 auf konstant hohem Niveau auf. Auch bei der TSG Hoffenheim war auf ihn immer Verlass. Seit fast elf Jahren ist er dort nun die Nummer eins, wo er einst unter einem gewissen Julian Nagelsmann (von 2016 bis 2019 Coach der TSG) als Torhüter-Libero mit dem risikobehafteten Spielaufbau Maßstäbe setzte. Im DFB-Tor stand halt aber immer Manuel Neuer, dahinter folgte bald der Kronprinz ter Stegen. Jetzt hat Baumann seinen persönlichen Thron bestiegen – mit der Absolution des Bundestrainers.
Alte Zeiten in Freiburg
So hat Baumann in Nagelsmann in DFB-Kreisen einen Vertrauten und Fürsprecher. Ebenso wie mit dem Torwarttrainer des Nationalteams – der Schweizer Andreas Kronenberg leitete das damalige Talent einst beim SC Freiburg an und führte Baumann in die Bundesliga. Und jetzt ins Tor im Fußballtempel von San Siro. Wo Baumann nicht nur in den speziellen Duellen mit Kleindienst den großen Donnarumma ausstach.