Formel-1-Start in Melbourne
Rot – für Lewis Hamilton die Farbe der Sehnsucht
Im Alter von 40 Jahren startet Lewis Hamilton in sein erstes Jahr bei Ferrari – vor dem Formel-1-Saisonstart ist die PS-Branche vor allem auf diese neue Konstellation gespannt. Holt der Brite seinen achten Titel? Oder wird er in Italien scheitern wie andere auch?

© AFP/SAEED KHAN
Freut sich auf seine Ferrari-Premiere in Melbourne: Lewis Hamilton
Von Dominik Ignée
Schon der Antrittsbesuch in Maranello war spektakulär: Der für seine schrille Garderobe bekannte Formel-1-Pilot Lewis Hamilton tauchte plötzlich im dunklen Anzug auf. Die Metamorphose vom modeverrückten Rennfahrer zum hochseriösen Zeitgenossen mutete an, als stehe ein neues Vorstandsmitglied des Sportwagenherstellers Ferrari vor dem Werkstor.
Doch die Symbolkraft war enorm: Sir Lewis Carl Davidson Hamilton meint es ernst mit seinem Vorruhestands-Engagement bei den Italienern. Und zwar verdammt ernst! „Es ist die aufregendste Zeit meines Lebens, ich bin voller Vorfreude“, ließ er sich am Donnerstag in Melbourne vor dem Saisonstart auf dem dortigen Albert Park Circuit am Sonntag (5 Uhr MEZ) ins Gemüt blicken.
Ein gediegenes Auslaufenlassen der Karriere ist nicht geplant. Der Brite befindet sich mit 40 Lenzen zwar im Spätherbst seiner Laufbahn, doch das Alter schert ihn wenig. „Ich könnte hierbleiben, bis ich 50 bin, wer weiß“, sagt er und ist überzeugt von der Qualität seiner Gene: „Man kann mich nicht mit einem anderen 40-jährigen Formel-1-Fahrer in der Geschichte vergleichen, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart – denn sie sind nicht wie ich.“
Selbstbewusst war der Rennfahrer schon immer, doch zunächst steht die mit Spannung erwartete Saison 2025 bevor – in der es für beide Parteien um sehr viel geht. Die die Formel-1-Szene aufrüttelnde Kombination Ferrari/Hamilton wird begleitet von enormen Sehnsüchten beider Vertragspartner. Ferrari will endlich wieder einen Fahrer-WM-Titel gewinnen, datiert der letzte doch aus dem Jahr 2007, als der Bleifuß-Finne Kimi Räikkönen der „Roten Göttin“ die Sporen gab – und Italien glücklich machte. Und was Hamilton betrifft: Wird er in Rot Weltmeister, ist er mit acht Pokalen alleiniger Rekordchampion. Die Bestmarke von sieben Titeln teilt er sich bislang mit Michael Schumacher.
Gehört Hamilton dort hin?
Der schwarze Anzug, er zeigte auch, wo Hamilton herkommt. Seit seinem ersten Grand Prix im Jahr 2007 kennt man ihn nur in silberfarbenen, zuweilen auch schwarzen Rennoveralls. An die rote Sportkleidung, in der er nun steckt, muss sich die PS-Branche erst noch gewöhnen – auch Toto Wolff, Hamiltons Ex-Rennstallchef bei Mercedes: „Ihn in anderer Teamkleidung zu sehen ist, als wenn die Frau auf einmal mit einem anderen Mann an der Seite rumläuft.“
Die Farbenlehre sagt aber auch viel über den Unterschied zwischen Hamiltons vorherigen Arbeitgebern McLaren-Mercedes und Mercedes sowie dem neuen Team Ferrari. Silber und Schwarz standen für britisch-schwäbische Präzisionsarbeit, die Farbe Rot steht eher für italienische Emotionen und Leidenschaft. Ist Hamilton da richtig?
Der freiheitsliebende Pilot könnte kraft seiner Aura und des Superstar-Kults, der ihn umweht, viel Bewunderung erlangen in Maranello. Mode und Musik in angesagten New Yorker Clubs mit Berühmtheiten wie Sängerin Rihanna – sein Lebensstil ist fast aufregender als das Leben in Italien. Ferrari weiß nun den letzten verbliebenen Formel-1-Piloten mit Popstar-Attitüde in seinen Reihen – mittendrin im Sammelsurium der jungen, angepassten und austauschbaren Formel-1-Bübchen der Gegenwart.
Große Verlockung
Die Verlockung für den Deal war jedenfalls zu groß – für beide Seiten. Nur wer auch einmal den von Mythen umwobenen Ferrari pilotiert hat, dessen Karriere ist auch wirklich vollendet; dabei hatte Hamilton früher oft davon gesprochen, einen Wechsel ins rote Lager in diesem Leben nicht mehr zu tätigen. Die zuletzt vier titellosen Jahre bei Mercedes führten zum Umdenken. Und wer als Teamchef die Chance hat, einen Rekordweltmeister ins Auto zu setzen, der muss sie nutzen – das Alter spielt keine Rolle.
Oder doch? Was, wenn Hamilton nicht der sehnsüchtig erwartete Heilsbringer ist? „Ich denke nicht an Nummer acht. Ich denke daran, die erste WM mit Ferrari zu gewinnen“, sagt der Brite, dessen Aussage ein kluger Schachzug ist, weil sie es bei der Scuderia mögen, wenn der Pilot die eigenen Ziele hinter die der Mannschaft stellt. Das Problem ist nur: Erfüllt er die Titelträume nicht, könnte die frisch gestartete Liebe schnell erlöschen – und der fast schon überbordende Starkult als Erfolgsbremse eingestuft werden. „Die Fans kennen keine Gnade. Für die ist Ferrari das Wichtigste und nicht die Person, die im Auto sitzt“, sagt Ex-Pilot Ralf Schumacher und erklärt: „Wenn derjenige – aus welchen Gründen auch immer – nicht die Leistung bringt, kommt Kritik sehr schnell, und sie wird sehr laut.“ Auch im Team.
Schumacher wurde verehrt
Seinen Bruder Michael Schumacher haben die Italiener seinerzeit geliebt, adoptiert und deshalb auch ganz selbstverständlich „Michele“ genannt. Klar, er hat der Scuderia fünf WM-Titel beschert und, wenn es Probleme gab, mit den Schraubern bis in die Nacht geschuftet. Einer für alle, alle für einen – dieses Prinzip machte so erfolgreich. Sebastian Vettel gelang das bei Ferrari später genauso wenig wie Hamiltons neuem Teampartner Charles Leclerc (27), der als Langzeit-Angestellter bereits ins siebte Jahr bei den Italienern geht. „Sie sind beide in der Lage, um die WM zu kämpfen“, sagt Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur über Leclerc und Hamilton und fügt hinzu: „Wir wollen mit beiden gewinnen.“
Geht nicht, das kann mit Blick auf einen möglichen Titel nur einer. Die Animositäten zwischen den Generationen sind also programmiert. Doch ein bisschen Zank, wie so oft, macht Lewis Hamilton nur noch stärker.