Rufe nach Lockerungen und Staatshilfen
Klaus Lindner fordert als Vorsitzender des Dachverbands der vier TSG-Vereine das, was auch viele andere Klubs dringend brauchen
Verriegelte Hallen, geschlossene Bäder, zugesperrte Plätze: Dem Vereinssport in Deutschland ist seit Mitte März praktisch die Existenzgrundlage entzogen. Jetzt scheint die Phase, in der sich die Funktionäre in Geduld übten, in doppelter Hinsicht vorbei zu sein: Die Rufe nach Lockerungen der Trainingsverbote sowie nach staatlicher Hilfe werden lauter. „Wir sind der soziale Kitt der Gesellschaft, und wir könnten es in Coronazeiten noch stärker sein“, begründet Klaus Lindner als Vorsitzender der Dachorganisation der vier Backnanger TSG-Vereine die Ansprüche.

© Alexander Becher
Leeres Trainingszentrum, unbenutzte Judoanzüge: Nicht nur Christoph Nesper (links), Vorsitzender der TSG Backnang Schwerathletik, und Klaus Lindner, Frontmann des Dachverbands aller vier TSG-Klubs, hoffen, dass der Vereinssport seinen Betrieb in Kürze wieder hochfahren darf. Foto: A. Becher
Von Steffen Grün
Auf den drei Sportplätzen in den Etzwiesen, auf denen üblicherweise die Spieler der TSG Backnang Fußball dem runden Leder nachjagen, herrscht in diesen Tagen und Wochen gähnende Leere. Die Tennis- und Squashcourts sowie die Kegelbahnen, die im In- und Outdoorbereich zwischen Weissacher Straße und Ungeheuerhof zum Areal der TSG Backnang Tennis gehören, sind verwaist. Auf dem Hagenbach, wo die TSG Backnang 1846 mit den 15 Turn- und Sportabteilungen sowie ihren zahlreichen Gesundheitssportangeboten ihren Hauptsitz hat, ist es mucksmäuschenstill. Nichts los ist auch im Dojo am Rötlensweg und damit dem Domizil der Judokas, die Teil der TSG Backnang Schwerathletik sind.
Menschen, die den Sport lieben, blutet das Herz, wenn sie diese Sportstätten im Dornröschenschlaf erleben. Zu ihnen zählt Klaus Lindner und obwohl der Vorsitzende der Tennisspieler in der Murr-Metropole eine Disziplin vertritt, die aufgrund des Abstands zwischen den Kontrahenten mit als Erstes wieder ausgeübt werden dürfte, kennt er als Mann an der Spitze der Dachorganisation der vier rechtlich selbstständigen TSG-Klubs die Sorgen und Nöte der Kollegen bestens. Und damit kann er sich wohl ein Stück weit auch in die Situation der vielen anderen Vereine in der Region hineindenken, die abhängig von ihrer Größe sowie der Anzahl ihrer Abteilungen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.
Mahnende Worte von Klaus Lindner: „Die Entspannung und die Freude durch den Sport fehlt“
„Der Fokus liegt zu stark auf dem Spitzensport, die Politik hat die Sportvereine abseits davon etwas aus den Augen verloren“, klagt Klaus Lindner und dürfte dabei nicht zuletzt die Diskussionen im Sinn haben, ob die Millionäre in kurzen Hosen mit Geisterspielen die Saison in der Fußball-Bundesliga beenden können. Ihn treibt die Frage viel mehr um, wann Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher wieder ihren Hobbys frönen und den Lieblingssport mit Trainingspartnern im Verein ausüben dürfen. „Wir wissen nicht richtig, wie es weitergeht“, grübelt der erfahrene Funktionär und will eine Perspektive, wie der Betrieb in den Klubs wieder hochzufahren ist. Er denkt hierbei zunächst einmal an die Mitglieder, denn „die Entspannung und Freude durch den Sport fehlt. Das müssen wir den Menschen zurückgeben.“ Andernfalls befürchtet der ehemalige Leiter der Mörikeschule „psychosoziale Schäden“, die sich beispielsweise in Form von überforderten Familien bereits jetzt klar abzeichneten.
Sorgen bereiten Klaus Lindner darüber hinaus auch die Folgen, die der andauernde Lockdown für die Vereine haben kann. „Die finanziellen Verluste sind noch überhaupt nicht absehbar“, sagt der Vorsitzende des TSG-Dachverbands und nennt verschiedene Punkte, die von Klub zu Klub, von Abteilung zu Abteilung und von Sparte zu Sparte in unterschiedlichem Umfang zur aktuellen Misere beitragen. Da wären die gestrichenen Kurse und die Gebühren, die den Anbietern damit durch die Lappen gehen, bei seinem eigenen Verein sind es die fehlenden Reservierungen für die Tennisplätze, die Squashcourts und die Kegelbahnen. Dagegen müssten eventuelle Mieten oder Kredite unverändert bedient und Mini-Jobber weiter bezahlt werden. Wie es während und nach der Coronakrise um die Sponsorengelder bestellt ist, hat nicht zuletzt damit zu tun, wie die jeweiligen Partner durch die harte Zeit kommen. Zudem haben drei der vier TSG-Vereine und etliche Klubs in der Umgebung ihre Gaststätten an Wirte verpachtet, die derzeit nicht öffnen dürfen und daher selbst mittendrin im Schlamassel stecken. „Wir haben unserem Pächter die Pacht für drei Monate gestundet“, berichtet Klaus Lindner, „danach wollen wir uns wieder zusammensetzen.“
Dann geht’s um die Frage, inwieweit die staatliche Unterstützung dem Restaurantbetreiber geholfen hat und wie seine wirtschaftliche Lage aussieht. Apropos Hilfen vonseiten des Landes und des Bundes: Die wünscht sich der Backnanger Funktionär auch für die Sportvereine, aber „es tut sich nichts“. Es will etwas heißen, wenn das jemand sagt, der mit Deutschlands Coronapolitik „grundsätzlich zufrieden“ ist und sich nur an einigen Stellen an dem föderalen Flickenteppich stört, der zum Beispiel dazu führt, dass in einigen Bundesländern bereits Tennis gespielt werden darf und in anderen die Schläger im Schrank bleiben. Branche für Branche werde geholfen, „die Vereine fallen hinten herunter“, schimpft Lindner. „Wir brauchen auch klare Hilfen und Regeln.“ Sollte Baden-Württemberg die Mittel aus dem Solidarpakt III antasten, um in der akuten Krise zu helfen, sei das nur „eine Umschichtung im eigenen Bereich“. Etwas anderes wäre der separate Hilfsfonds, den die Sportverbände fordern – und vor allem muss es sehr zügig gehen, denn ansonsten „sind viele Vereine stark beschädigt oder nicht mehr existent“.
Damit es nicht zum Äußersten kommt, setzt Klaus Lindner neben staatlicher Unterstützung auch auf die breite Solidarität der Mitglieder, die man stets auf dem Laufenden halten und mitnehmen müsse: „Ich hoffe, dass wir keine Austrittswelle haben werden.“ Enorm wichtig wäre es, wenn der Vereinssport mit seiner bedeutsamen Rolle in gesellschaftlichen Bereichen wie Integration und Inklusion in den nächsten Tagen und Wochen tatsächlich wiederbelebt werden könnte. Schritt für Schritt und basierend auf den zehn Leitplanken, die der Deutsche Olympische Sportbund und die Landessportbünde formuliert haben (siehe Hintergrund). „Alles, was im Freien passiert, müsste unter Auflagen möglich sein“, glaubt Lindner und verweist auf Hygiene- und Abstandsregeln, um gesundheitliche Risiken zu minimieren. „Vernünftige Regeln, die streng sein müssen“, empfiehlt der Pädagoge im Ruhestand und hält es unter diesen Umständen auch für möglich, Spielplätze, Bolzplätze und Bäder wieder zu öffnen, „damit Familien entlastet werden“. Er hielte es für sinnvoll, wenn jeder Verein und jede Institution einen Coronabeauftragten benennen würde. Doch selbst mit den ausgefeiltesten Ideen werde es neben den Sportarten, die bessere Karten für einen schnellen Neustart haben, auch solche Disziplinen geben, „die lange werden warten müssen“, wohl vor allem Hallen- und Kontaktsportarten. Doch auch deren Protagonisten könnten zumindest ins individuelle Vereinstraining zurückkehren, sobald Sporthallen, Sportbäder und Sportplätze ihre Pforten wieder öffnen dürfen.
Einstimmig sprechen sich die Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) sowie der 16 Landessportbünde – darunter der LSV Baden-Württemberg, der die Interessen von 11325 Vereinen aus 95 Organisationen mit 3,7 Millionen Mitgliedern vertritt – dafür aus, dass in allen 16 Bundesländern „unter bestimmten Vorkehrungen der Startschuss zur Rückkehr in den Vereinssport gegeben werden kann“, so LSV-Präsidentin Elvira Menzer-Haasis. Der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung müsse während der Coronapandemie zwar „unverändert Priorität“ haben, doch „zur Gesundheitsvorsorge dient insbesondere das Sporttreiben“ und deshalb müsse der Freizeit- und Breitensport in den rund 90000 Sportvereinen in Deutschland wieder ermöglicht werden. Hierfür hat der DOSB als Angebot an die Politik in Bund und Ländern zehn „Leitplanken“ formuliert, die in gekürzter Form folgenden Inhalt haben.
Distanzregeln einhalten: Mindestens zwei Meter Abstand, die aufgrund der Bewegung beim Sport großzügig zu bemessen sind. Warteschlangen beim Zutritt zu den Sportanlagen gilt es dringend zu vermeiden.
Kein Körperkontakt: Auf Händeschütteln, Abklatschen, Umarmen oder Jubeln wird komplett verzichtet. In Zweikampfsportarten kann es lediglich Individualtraining geben.
Start mit Freiluftaktivitäten: Sport unter freiem Himmel erleichtert das Einhalten von Distanzregeln und reduziert das Infektionsrisiko durch den permanenten Luftaustausch. Auch Hallensportler sollten Spiel- und Trainingsformen zunächst draußen ausüben.
Hygieneregeln: Häufigeres Händewaschen und regelmäßige Desinfektion von stark frequentierten Bereichen und Flächen – in besonders konsequenter Form, wenn Sportgeräte von mehreren Personen genutzt werden. In einigen Sportarten kann der Einsatz von Mund-Nasen-Schutzmasken sinnvoll sein.
Geschlossene Bereiche: Umkleiden und Duschen in Sporthallen und Vereinsheimen bleiben vorerst zu, dasselbe gilt für die Gastronomie und Gemeinschaftsräume.
Individuelle Anfahrt: Zum Training sollen keine Fahrgemeinschaften gebildet werden, auch der Einsatz von Minivans ist ungeeignet. Auf touristische Sportreisen ist zu verzichten.
Keine Veranstaltungen: Feste sind derzeit tabu, auch Aktionen mit Zuschauern sowie sportliche Wettkämpfe bleiben bis auf Weiteres untersagt. Die Bundesregierung hat es kurzfristig gestattet, Mitgliederversammlungen im Bedarfsfall auch digital abzuhalten.
Weniger Leute: Die Bildung kleinerer Gruppen, die im Optimalfall stets in derselben Besetzung trainieren, erleichtert das Einhalten der Distanzregeln, mindert die Ansteckungsgefahr und zwingt im Falle einer Infektion weniger Personen in die Quarantäne.
Risikogruppen schützen: Sport zu treiben, ist auch für diesen Personenkreis sehr wichtig, aber nur als Individualtraining machbar.
Gefahren minimieren: Es wird an den gesunden Menschenverstand appelliert. Sind die möglichen Risiken bei einer Maßnahme unklar, ist darauf zu verzichten und alternativ eine risikofreie Aktivität zu bevorzugen.
Erst in den nächsten Schritten will der DOSB dann über die Nutzung von Hallen, die Rückkehr zum Wettkampfbetrieb sowie über Kontakt- und Zweikampfsportarten diskutieren.