Schnell, stark, schwer und unerschrocken

Ein Anschieber im Bobsport wie der in Backnang aufgewachsene Frederick Lüthcke muss im Wesentlichen vier Kriterien erfüllen

Backnang ist zwar kein Sonnenparadies wie Jamaika, aber ein Bobfahrer aus der Murr-Metropole hat ähnlichen Seltenheitswert wie die Teams aus dem karibischen Inselstaat, die bei Olympischen Spielen den Eiskanal hinuntersausten. Frederick Lüthcke ist als Anschieber des Oberhofer Piloten Philipp Zielasko im Begriff, sich einen Namen in der Szene zu machen. Europacup-Einsätze hat der 25-Jährige schon hinter sich, vielleicht kommt in Kürze die Junioren-WM dazu.

Der Backnanger Frederick Lüthcke (Zweiter von links) mit seinen Teamkameraden des Viererbobs um Philipp Zielasko, Malte Schwenzfeier und Joshua Koßmann (von links). Fotos: privat

Der Backnanger Frederick Lüthcke (Zweiter von links) mit seinen Teamkameraden des Viererbobs um Philipp Zielasko, Malte Schwenzfeier und Joshua Koßmann (von links). Fotos: privat

Von Steffen Grün

Ein bisschen Kicken auf dem Bolzplatz, etwas Leichtathletik, mal beim Judo reingeschnuppert – „das Übliche, was man halt so macht“, sagt Frederick Lüthcke zu seinen ersten Sportaktivitäten. So richtig seins war nichts, da musste schon etwas Ungewöhnlicheres her: Mit 13 begann der in Waiblingen geborene und in Backnang aufgewachsene Bub mit Rugby. „Ich war schon immer ein etwas dickeres Kerlchen, deshalb war der Weg in den Kontaktsport ein Stück weit vorgezeichnet“, erinnert er sich lachend. Die Leistungen beim Stuttgarter Rugbyclub brachten ihn bis in die Junioren-Nationalteams, mit Deutschlands U 18 reichte es 2012 zum Vize-Europameister. Während seines Luft- und Raumfahrttechnikstudiums in Florida spielte Lüthcke für die Daytona Beach Coconuts, bis es ihm etwas zu viel „Kontaktsport“ wurde. Er wurde an der Schulter operiert, weil er sie sich mehrmals ausgekugelt hatte, und als er wieder fit war, passierte es erneut. „Also habe ich einen Schlussstrich gezogen“, verrät der mittlerweile in Ottobrunn bei München lebende und bei der IABG arbeitende Ingenieur.

Schnell fehlte ihm aber das Wettkampf- Feeling und es stellte sich die Frage nach der Alternative. „Mit meinem Körperbau, meinen motorischen Fähigkeiten und der lädierten Schulter bleibt nicht viel übrig“, sagt der 1,88 Meter große Athlet, der aktuell etwa 106 Kilogramm auf die Waage bringt. Wolfgang Unsöld, sein Krafttrainer zu Rugby-Zeiten, „hat Trainingspläne für eine Bob-Nation geschrieben und mich so auf die Idee gebracht“. 2016 war das, aber wie kriegt man es vom sonnigen Südosten der Vereinigten Staaten hin, den Einstieg in den Wintersport zu schaffen? „Ich habe eine E-Mail an die Trainer des Bob- und Schlittenverbands Deutschlands (BSD) abgeschickt, weil ich ausprobieren wollte, ob mir das taugt“, erinnert sich Lüthcke an die erste Kontaktaufnahme.

Frederick Lüthcke (Zweiter von rechts) beim Training des Viererbobs um den Piloten Philipp Zielasko auf der Bahn in Innsbruck.

Frederick Lüthcke (Zweiter von rechts) beim Training des Viererbobs um den Piloten Philipp Zielasko auf der Bahn in Innsbruck.

Es hätte sein können, dass es belächelt wird, wenn sich ein Ex-Rugbyspieler mir nichts, dir nichts als Bobsportler andient, doch die Chuzpe wurde belohnt. Ihm flatterte eine Einladung für ein Probetraining am Königssee ins Haus. In den Semesterferien im Sommer 2017 fuhr der Schwabe nach Bayern und traf sofort auf einen früheren Weltcup-Bobpiloten und Olympia-Teilnehmer in Vancouver 2010: „Karl Angerer hat mich vom Bahnhof abgeholt und wurde mein Trainer.“ Lüthcke muss sich bei seinen ersten Versuchen auf der Anschubbahn, auf der die Bobsportler in der Saisonvorbereitung auf Schienen den so wichtigen Start trainieren, gut angestellt haben. Mit Philipp Zielasko kam schnell ein Pilot auf ihn zu, nach einem Trainingswochenende war der Backnanger im Team. Im Winter 2017/2018 sprang im Zweierbob schon der bayerische Meistertitel heraus, die Saison darauf erschwerte eine Meniskus-OP Lüthckes Vorbereitung. Zudem galt es nach der Rückkehr aus den USA, den Einstieg ins Berufsleben zu meistern. Einige Lehrgänge waren immerhin drin, so richtig startete der Jung-Anschieber aber erst diesen Winter durch.

Weil Karl Angerer als Trainer aufhörte, wechselte Lüthcke mit Zielasko vom BSV Königssee zum BRC Thüringen: „Philipp kommt von dort, also lag’s auf der Hand.“ Für ihn bedeutete das in der Vorbereitung neben dem individuellen Sprung-, Kraft- und Sprinttraining mit bis zu zehn Einheiten pro Woche in München etwa alle 14 Tage eine Reise nach Oberhof, doch die Fahrerei lohnte sich. Lüthcke raste bei seinem Einstieg in den Europacup am Königssee im Viererbob von Zielasko auf den zweiten Platz, dasselbe Resultat gab es bei der deutschen Junioren-Meisterschaft, bei der alle Bobsportler unter 26 Jahren noch starten dürfen. Beim Europacup im lettischen Sigulda vor eineinhalb Wochen vertrat Frederick Lüthcke im Zweierbob den Stamm-Anschieber Malte Schwenzfeier, der fünfte Platz war sehr erfreulich.

Das soll diesen Winter aber längst nicht alles gewesen sein. In Innsbruck-Igls stehen ab heute Europacup-Rennen und die Junioren-EM an – im Viererbob sehr wahrscheinlich mit dem Murrtaler, im Zweierbob eventuell. Mit guten Leistungen kann sich sein Team für die Junioren-WM in Winterberg (8./9. Februar) empfehlen, „das wäre super, wenn wir da dabei wären“. Allenfalls Zukunftsmusik seien Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften. Dafür müsste ihm der Arbeitgeber, der bisher bei der Urlaubsplanung für die Wettkämpfe dankenswerterweise mitspiele, noch mehr Freiheiten gestatten.

Lüthckes Hauptjob ist es, den Bob am Start zu beschleunigen, „ein guter Anschieber muss schnell, stark und relativ schwer sein“. Eine Kombination, die nicht so leicht zu finden ist, der Rest sei dann Übungssache. Sobald alle ins Hightech-Gefährt gehüpft sind, gilt es, „so schnell wie möglich aerodynamisch zu sitzen und ein Gefühl für die Bahn zu haben, um im richtigen Moment etwas das Körpergewicht zu verlagern“. Unabdingbar ist auch das bedingungslose Vertrauen in den Piloten. „Man fährt halt mit 130 Sachen den Eiskanal hinunter“, sagt Lüthcke trocken.

Hintergrund
Deutsche Kaderstruktur

Die besten deutschen Bobsportler sind im Olympiakader versammelt. Dazu zählen bei den Männern die Piloten Francesco Friedrich, Johannes Lochner und Nico Walther, die alle 29 Jahre alt sind und gute Karten haben, zumindest bis zu den Olympischen Winterspielen in Peking 2022 die großen Wettbewerbe zu bestreiten.

Darunter gibt es den Perspektiv- und den Ersatz- sowie den Nachwuchskader, zu dem unter anderem Philipp Zielasko gehört. Zum Team des 23-jährigen Piloten aus Oberhof, der für den BRC Thüringen an den Lenkseilen zieht, zählen neben dem Backnanger Frederick Lüthcke noch Max Hubertz, Malte Schwenzfeier und Joshua Koßmann. Ein Quintett deshalb, weil es einen Ersatzmann braucht.

„Der Kaderstatus ist für die Nominierung aber nicht zwingend relevant“, erklärt Frederick Lüthcke. Das sei nur ein Kriterium von mehreren und habe eher Bedeutung für die Förderung der Sportler.

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Erstellt:
30. Januar 2020, 06:00 Uhr

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