Borussia Dortmund
Schwarz-gelber Neuanfang
Borussia Dortmund stellt sich neu auf: in der Führungsetage, im Trainerstab und auf dem Platz. Das zeigt: Die Rolle als klare Nummer zwei in Deutschland ist in Gefahr.
Von Daniel Theweleit
Die Rolle als Hauptverantwortlicher für die Sportliche Zukunft eines großen Fußballvereins ist neu für Lars Ricken, aber schwierige Klippen umschifft der 48 Jahre alte Sportvorstand von Borussia Dortmund bereits mit bemerkenswerter Routine. „Vielleicht haben wir zurzeit die spannendste Liga in Europa“, erwidert Ricken, als er auf die künftige Rolle seines Clubs im Machtgefüge des deutschen Fußballs angesprochen wird. So einfach lässt sich ein Negativtrend positiv umdeuten, denn manches spricht dafür, dass die Dortmunder sehr wohl einen historischen Wendepunkt erreicht haben.
In der vergangenen Saison stand Borussia Dortmund zwar im Champions-League-Finale, wurde in der Bundesliga am Ende aber nur Fünfter. Die Annahme, dass nicht nur RB Leipzig, sondern auch der Doublesieger Bayer Leverkusen und vielleicht sogar der VfB Stuttgart das alte Machtgefüge mit dem FC Bayern als Dauermeister und den Dortmundern als zweitem Leuchtturm aufbrechen könnten, lässt sich nicht so einfach entkräften. Also weist Ricken eben auf die Attraktivität der Liga hin, womit er zumindest indirekt bestätigt, dass der BVB um seinen alten Status kämpfen muss. Das zeigt sich auch an der großen Bereitschaft, Neues auszuprobieren.
Der langjährige Clubchef Hans-Joachim Watzke hat die Sportliche Verantwortung an Ricken abgegeben und zieht sich in einem Jahr ganz aus dem Vorstand zurück. Mit dem ehemaligen Stuttgarter Sportdirektor Sven Mislintat soll der Club bessere Spieler auf dem Transfermarkt finden. Die Idee, Nuri Sahin zum Cheftrainer zu befördern, ist nicht nur mutig, sondern auch riskant, der erst 35 Jahre alte Ex-BVB-Profi sei „sehr fordernd, sehr laut, sehr dominant, aber auch sehr fair und sehr respektvoll gegenüber den Spielern“, sagt Ricken. Und die Mannschaft hat sich ebenfalls an entscheidenden Stellen verändert. Mit Yan Couto (FC Girona), Pascal Groß (Brighton), Maximilian Beier (Hoffenheim) sowie den Ex-Stuttgartern Serhou Guirassy und Waldemar Anton wurden fünf Profis unter Vertrag genommen, die sofort Stammspieler werden könnten. Gewaltig ist der Einschnitt zudem im sozialen Gefüge des Kaders, weil die für die mitunter angespannte Atmosphäre im Team bedeutsamen Profis Mats Hummels und Marco Reus Dortmund verlassen haben. Wohl auch in Anspielung darauf sagt Sahin nach dem 2:0-Sieg gegen Aston Villa zum Abschluss der Vorbereitung: „Mir gefällt, dass wir alles zusammen machen, wir spielen gegen den Ball zusammen und mit dem Ball zusammen.“ Der BVB soll besser als Team funktionieren.
In den Testspielen und dem souveränen 4:1-Erfolg im DFB-Pokal gegen Phönix Lübeck war außerdem zu sehen, wie sich die Spielkultur mit Groß im Zentrum verändert hat. Sahin lobt den Strategen der genau wisse, „wann er das Tempo erhöhen muss, wann er das Tempo runterfahren muss.“ Hier lag in der vergangenen Saison neben der Schwächen beim kollektiven Verteidigen ein Kernproblem des BVB, das mit Hilfe der Transfers bekämpft werden soll.
Guirassy, der aufgrund einer Knieverletzung bislang nicht einsatzfähig ist, soll Tempo sowie technische Finesse einbringen und war mit seinen Fähigkeiten eigentlich als Ergänzung zu Niclas Füllkrug vorgesehen. Nun wurde Füllkrug an West Ham United verkauft und durch den zehn Jahre jüngeren Beier ersetzt, was einiges ändert. Als prägender Charakter im Kader wird Füllkrug genauso fehlen wie als klassischer Zentrumsstürmer. Aber den Umbruch hin zu einem höheren spielerischen Niveau beschleunigt der Wechsel. „Maxi war nach dem Abgang von Niclas Füllkrug unser Wunschspieler“, sagt Kehl.
Viele Fragezeichen
Die Zuversicht ist groß, aber es gibt auch sensible Punkte im neuen BVB-Konstrukt. Wie gut entwickelt sich der unerfahrene Trainer? Bewegt der junge Sportvorstand Ricken auch in Krisenmomenten die richtigen Hebel? Und wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem eigenwilligen Mislintat? Bei seinen Vereinen in Stuttgart und Amsterdam hatte der Transfermarktspezialist an einer höheren Stelle im Organigramm größere Entscheidungsspielräume, jetzt ist er zuallererst Zuarbeiter. Berichte, dass es zu belastenden Konflikten mit dem im Umgang nicht ganz einfachen Fachmann kam, widersprechen die Dortmunder. Kontroversen seien in einem gewissen Rahmen erwünscht, bleibende Zerwürfnisse gebe es nicht.
Wie stabil dieser neue BVB wirklich ist, wird sich aber erst zeigen, wenn der Zusammenhalt dem Druck von sportlichen Schwächephasen standhalten muss.