Strom oder Sprit?

Mercedes setzt auf beides: die Formel E und die Formel 1

Motorsport - Der Daimler-Konzern steht im Hinblick auf die Mobilität vor einem radikalen Wandel. Und die Renn-sportabteilung wagt den Spagat zwischen Formel 1 und Formel E.

Stuttgart Bei den Daten des neuesten Silberpfeils frieren Rennsportpuristen die Gesichtszüge ein. Sie sind aufgewachsen mit dem satten Sound der spritfressenden Zwölf-Zylinder-Monster aus grauer Vergangenheit – und lesen jetzt das: 340 PS, 280 km/h Höchstgeschwindigkeit, 385 Kilogramm Batteriegewicht und last, but not least: 45 Minuten Aufladezeit.

Willkommen in der Zukunft – und die heißt Formel E. Auf dem Genfer Autosalon stellte Mercedes sein jüngstes Baby vor, es heißt Mercedes-Benz EQ Silver Arrow 01 – es ist der erste vollelektrische Rennwagen des Konzerns. Nun feiert die traditionsreiche Motorsportabteilung der Stuttgarter in diesem Jahr ihr 125-Jahr-Jubiläum – und dann so was! Das denken sich möglicherweise besagte Motorsportfans der ersten Stunde und zweifeln an den Stammtischen nicht nur am EQ Silver Arrow, sondern auch an der Konzernstrategie.

Mit Strom betriebener Motorsport ist ihnen im Leben nur einmal begegnet: im Hobby-Keller mit der Carrera-Bahn.

Mercedes fährt zweigleisig, und die Formel 1 befindet sich in der Übergangsphase von Vergangenheit und Zukunft. Als einziger Autohersteller ist die Sternmarke in der Formel 1 und in der Formel E engagiert. Beides geht Hand in Hand, so lautet die Firmenphilosophie. Die Formel 1 ist das Kerngeschäft im Motorsport, und mit der Formel E, für die das Tourenwagen-Engagement in der DTM aufgegeben wurde, befindet man sich auf der Höhe der Zeit. Es geht darum, die technischen Entwicklungen im Batterie-Kosmos nicht zu verpassen. Und es geht darum, die Hybrid-Erfahrungen in der Formel 1 nutzbar zu machen für die Strom-Renner.

Wie kaum eine andere Branche wandelt sich die Autoindustrie zulasten des Verbrennungsmotors und damit natürlich allen voran zulasten jener Firmen, deren Erfolg darauf basiert – wie etwa Daimler. Inzwischen werden Dieselfahrzeuge aus Stuttgart verjagt, und in Genf zeigen innovative Hersteller ihre Steckdosen-Autos. Die Welt steht vor einer sich wandelnden Mobilität. Strom soll die Zukunft sein – Spritschlucker, adieu. Ist es schon so weit?

Nein, nicht ganz, doch wer weiß, vielleicht in 20 Jahren. Für Freunde der Verbrennungsmaschinen kommt der Zeitpunkt hoffentlich nie. „Die Formel E wird für uns eine komplett neue Spielwiese sein, aber wir freuen uns auf die Herausforderung“, sagt der Mercedes-Sportchef Toto Wolff über den bevorstehenden Einstieg des Elektro-Mercedes in der nächsten Saison. Sie befinden sich also noch am Anfang. Wie sollte es auch anders sein. Oder ist das Steckdosennetz auf deutschen Straßen auch nur annähernd so dicht wie das der Zapfsäulen? Eben.

Rennsportfreunde, die noch Helden wie Niki Lauda oder Ayrton Senna bewunderten, dürfen also aufatmen – noch wird auf Sprit gesetzt. Und noch findet die Formel 1 statt: mit Ferrari, mit Red Bull, mit Mercedes – und natürlich mit dem Supermann Lewis Hamilton. Am übernächsten Sonntag startet die Serie in ihre 70. Saison. Im Mercedes-AMG F1 W10 EQ Power+ will Hamilton zum sechsten Mal Champion werden. Ein Teil der sperrigen Typenbezeichnung des Formel-1-Boliden klingt schon jetzt verdächtig halb elektrisch, deutet aber nur auf den Hybrid-unterstützten Verbrennungsmotor hin. Noch existiert die Serie in ihrer alten Form.

Aber wie lange noch? „Elektromobilität ist die Zukunft – jetzt geht es darum, dass man die eigenen Strukturen und die Menschen für diesen Weg gewinnt und sich bestmöglich diesen neuen Rahmenbedingungen anpasst“, sagt Toto Wolff über das duale System aus Formel 1 und Formel E und wagt einen Blick in die Zukunft: „Der Verbrennungsmotor leistet einen großen Anteil, aber über die verschiedenen Reglementänderungen hinweg haben wir die Effizienz stark verbessert. Der Hybridanteil am Antriebsstrang wird immer stärker, die Batterien werden immer leistungsfähiger und die Energierückgewinnung immer höher. Obwohl es mitten im aktuellen Wandel der Automobilindustrie nur schwer absehbar ist: Ich würde sagen, dass ein elektrifizierter Verbrennungsmotor in der Formel 1 noch viele Jahre der Standard sein wird.“

Viele Jahre? Was heißt das? Abwarten.

Die Formel E präsentiert sich jedenfalls in attraktiven Großstädten und mag als Spaß-Event mit eingebautem Umweltbewusstsein zu verstehen sein. Die Formel 1 dagegen ist die traditionsreiche Weltmarke und sportlich nach wie vor die beste Wettbewerbsplattform, die es gibt: Zehn Prozent mehr Zuschauer an den Fernsehgeräten im Jahr 2018, dazu acht Prozent mehr zahlende Gäste an den Rennstrecken – es gibt (noch) keinen Grund, die Formel 1 als Relikt vergangener Zeiten anzusehen. Der Werbewert, und darüber sind sie sich bei Mercedes einig, ist hoch – zumal die fünf gewonnenen WM-Titel in Folge keinen Anlass geben, am Formel-1-Projekt zu zweifeln. Mercedes befindet sich gerade in seiner ganz großen Ära, die in der anstehenden Saison Sebastian Vettel und Ferrari beenden könnten – die Betonung liegt auf könnten. Titel machen stark und selbstbewusst. Überdies genießen sie die wichtige Rückendeckung aus der Konzernspitze.

Das war im Hause Mercedes nicht immer so. Im Jahr 2009 stellte der Betriebsrat das kostspielige Engagement massiv infrage. Heute ist die Formel E der Öko-Beitrag von Mercedes, und die Formel 1 steht nicht zur Disposition – das ist die Lage zehn Jahre später. Als reines Werksteam kamen die Serienerfolge. Auch die Konzernspitze steht hinter dem Projekt. Vorstandschef Dieter Zetsche präsentiert sich mitfiebernd als Rennstrecken-Stammgast und ist einer der Ersten, die Hamilton im Erfolgsfall auf die Schultern klopfen. Als nicht weniger Formel-1-begeistert wird der designierte Zetsche-Nachfolger Ola Källenius eingestuft.

Vor seinem Sprung in die Vorstandsetage durchlief der Schwede Stationen in Motorsportabteilungen der Marke: als Managing Director der Rennmotorenschmiede im britischen Brixworth ebenso wie als Vice President des Affalterbacher Tuners AMG. „Die Formel 1 ist eine der größten Marketingplattformen der Welt, mit der wir hunderten Millionen von Menschen erfolgreich den Spirit und die Leistungsfähigkeit von Mercedes-Benz demonstrieren. Gleichzeitig ist sie aus technischer Sicht heute so relevant wie kaum zuvor: Wir nutzen unsere Erkenntnisse auf der Rennstrecke, um unsere Produkte auf der Straße zu verbessern“, sagt Källenius.

Stefan Reindl ist Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen – und er begrüßt das Formel-E-Engagement von Mercedes. „Es ist richtig, in dieser Serie mitzumachen. Momentan hat die Formel 1 noch ihre Berechtigung, aber langfristig ist sie nicht mehr zeitgemäß. Wenn sie nicht wegkommt vom Verbrennungsmotor, wird ihr irgendwann die soziale Akzeptanz fehlen“, sagt Reindl und zeichnet aus Sicht der Puristen ein düsteres Bild der Zukunft. In Sindelfingen und Untertürkheim geht derweil die Angst um, die Tendenz zum Batterie-Auto könnte enorme Veränderungen zur Folge haben. „Je nachdem wie groß der Arbeitsplatzabbau ist, könnte es in den Werken Probleme geben“, befürchtet Reindl. Die Hersteller müssten sich in diesen Zeiten des Wandels ohnehin die Frage stellen, ob sie sich künftig über Rennsport vermarkten wollen oder über andere Aktivitäten.

Karl-Friedrich Ziegahn sieht die Zukunft nicht ganz so dunkel. Er ist Präsident des Deutschen Sportfahrerkreises und Physiker. „Ich bin davon überzeugt, dass wir noch in zehn und zwanzig Jahren eine Vielfalt von Antriebsarten haben werden, die nebeneinander existieren“, sagt Ziegahn. Was er meint? Motorsport mit Verbrennungsmaschinen, die mit synthetischen und damit umweltfreundlichen Kraftstoffen unterwegs sind. Und auf den Straßen bestimmen möglicherweise die Elektrofahrzeuge das Bild. Eines kann sich der Wissenschaftler jedenfalls nicht vorstellen – eine vollelektrische DTM. „Die wird ausgepfiffen“, sagt er.

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Erstellt:
9. März 2019, 03:04 Uhr

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