Superstars hart am Limit

In der Belastungsdebatte zeigt sich, dass Spieler und Funktionäre unterschiedliche Interessen haben

Belastungsgrenze - Profisportler beklagen die zu hoheBelastung, Funktionäre meiden die Debatte. Wollen die Macher nicht hören, was die Stars zu sagen haben? Oder sind die Klagen der Profis ungerechtfertigt?

Stuttgart Die Sonne brennt, der Himmel hat einen türkisblauen Stich, und bei 36 Grad strömen Tausende Fans auf die Anlage im Melbourne Park. Es wird gesungen, Fahnen werden geschwenkt, die Vorfreude auf die neue Saison ist zum Greifen. „Willkommen in Melbourne“ steht auf den Fahnen vor der Rod-Laver-Arena – es könnte auch heißen; „Willkommen zum Saisonauftakt, willkommen beim Happy Slam“. Wer einmal da war, weiß, warum Titelverteidiger Roger Federer dem Turnier einst den Namen verpasst hat. Nur die Freude, sie ist 2019 nicht bei allen Profis zu spüren.

Bei Alexander Zverev beispielsweise. Der stand zwar vergangene Woche beim Hopman-Cup an der Seite von Angelique Kerber auf dem Platz, sein eigentlicher Saisonstart steigt aber erst am Montag. In Melbourne, wo der 21-Jährige endlich bei einem der vier wichtigsten Turniere durchstarten wollte. Aber ob Zverev tatsächlich gegen Aljaz Bedene in der ersten Runde der Australian Open antritt, ist noch offen. Ihn plagen bereits zu Saisonbeginn Oberschenkelprobleme, zudem knickte er im Training um. Den angedachten letzten Härtetest in Adelaide musste er absagen.

Mit seinen Verletzungssorgen ist der Hamburger beileibe nicht allein: Juan Martin del Potro (30) und Richard Gasquet (32) fehlen in Melbourne auf jeden Fall – Maria Sharapova (31), Simona Halep (27) und Marin Cilic (30) bangen wie der Deutsche um ihre Teilnahme. Rafael Nadal ist zwar zurück, der Fitnesszustand des 32-jährigen ist allerdings nicht einzuschätzen. Seit er im September im US-Open-Halbfinale gegen del Potro aufgeben musste, hat der Spanier kein Turnier mehr bestritten.

Große Namen mit großen Problemen, dabei ist die Saison erst zwei Wochen alt.

„Die Tour der Männer ist extrem ermüdend und dauert zu lange“, sagt Judy Murray, Mutter des dreimaligen Grand-Slam-Gewinners Andy Murray und eine der renommiertesten Trainerinnen auf der Insel. Die 59-Jährige fordert: „Der Kalender muss grundlegend verändert werden.“ Ihr Lösungsvorschlag? Weniger Turniere, längere Regenerationsphasen und insbesondere eine längere Pause zum Saisonende.

So liegt Zverevs größter Karriereerfolg – sein Weltmeistertitel in London – noch keine zwei Monate zurück. In Murrays Augen fangen hier die Probleme der Tennisprofis an: Die Pause zwischen der WM, dem Saisonende, und dem Saisonstart in Australien sei zu kurz, als dass sich die Profis von einer 44 Wochen langen Saison erholen könnten. 21 Turniere spielte Zverev 2018, dazu den Hopman-Cup, den Daviscup, den Laver-Cup, diverse Show- und Sponsor­-Events, alles in allem ergibt das rund 100 Matches im Jahr. Dazwischen muss noch trainiert und an der Fitness gefeilt werden – alles gut bezahlt, aber das Jetset-Leben scheint einen Preis zu haben: die Gesundheit.

„Der Sport ist physisch äußerst anspruchsvoll geworden“, sagt der Weltranglistenerste Novak Djokovic und ergänzt: „Mehr Geld, größere Bedeutung, härtere Konkurrenz. Der Kalender ist aber seit Jahrzehnten gleich.“ Diese Aussage des Serben stimmt so nicht ganz, schließlich wird der Kalender sukzessive ausgebaut: In den Hinterzimmern der Verbände entstehen immer neue Wettbewerbe. Alles im Namen des Profits, solange die Superstars um Federer und Djokovic noch um die Welt touren.

So gibt es in diesem Jahr im Anschluss an die WM erstmals eine Daviscup-Finalwoche, und das Jahr 2020 beginnt noch vor den Australian Open mit dem ebenfalls neuen ATP-Cup. Ein Mannschaftswettbewerb in Australien, der dem World Team Cup in Düsseldorf nachempfunden sein soll – allerdings mit einer höheren Wertigkeit, sportlich wie finanziell, versteht sich.

„Wir möchten, dass das Herrentennis weiter wächst“, sagt ATP-Boss Chris Kermode. „Wir möchten die ATP-Tour mit einem absoluten Höhepunkt starten.“ Klingt nicht nach Kalenderabspecken.

Aber während der ATP-Cup wegen seiner Weltranglistenpunkte und der 15 Millionen Euro Preisgeld bei den Profis auf positive Resonanz stößt, stören sich viele am späten Daviscup-Termin. „Das ist die einzige Zeit, wo wir freimachen können. Bis Dezember zu spielen, das ist lächerlich für mich“, sagt Zverev. Schließlich dauere die Saison jetzt schon elf Monate. Zu lange, wie viele finden.

Für Djokovic, der 2018 wegen einer Handgelenks-OP um seine Karriere fürchtete, ist klar, dass die gesundheitlichen Probleme der Topspieler in der „physischen und psychischen Dauerbelastung“ liegen. „Das ist nicht gut. Wir wollen gesunde Spieler mit langen Karrieren“, so der 31-Jährige.

51 Grand-Slam-Titel gewannen Federer, Nadal und Djokovic zusammen. Wie oft man die „Big three“ noch zusammen auf der großen Bühne sehen wird? Offen. Nadal spielt kaum noch ein Hartplatzturnier ohne Verletzung zu Ende, Djokovic will seit seinem Comeback einfach „jeden gesunden Tag genießen“, und Federer verzichtet im fortgeschrittenen Alter von vornherein auf die Sandplatzsaison.

Spielchen – wie beispielsweise eine Verletzung vorzutäuschen, um sich zusätzliche Regenerationsphasen zu schaffen– macht der Maestro nicht mit: „Es ist simpel: Entweder geht man zurück auf den Trainingsplatz – oder man nimmt sich eine Auszeit, lässt die Dinge ruhen und greift dann wieder zu 100 Prozent an“, sagt Federer. Für das Auslassen der Sandplatzsaison wurde er von Guy Forget, Turnierdirektor der French Open, kritisiert. Der meint, Federer könne ja auch ohne Topform in Paris antreten. Dem widerspricht der 37-jährige Schweizer: „Ich bin mit dieser Haltung nicht einverstanden. Ich habe höhere Ansprüche. Nur mitzuspielen ist für mich nicht witzig.“ Also nimmt er sich seine Auszeiten.

So offen gehen nur wenige mit der Terminproblematik im Profi-Zirkus um, kaum einer dürfte sich erlauben, in dieser Form die Terminvorgaben der ATP zu ignorieren. Die Spieler werden für ihre Strapazen zwar finanziell entschädigt – aber weder die ATP noch die Fans haben etwas davon, wenn die nachrückenden Generationen frühzeitig gesundheitliche Probleme bekommen. „Wer sich heute verletzt, ist schnell weg vom Fenster und kommt früher zurück, als er sollte, weil er Angst hat, den Anschluss zu verlieren“, sagt Nadal, bevor er versichert, kommende Woche „schmerzfrei“ zu starten.

Einen Raum weiter sitzt der 31-jährige Olympiasieger Andy Murray mit Tränen in den Augen und verkündet: „Die Schmerzen sind zu stark. So will ich nicht weiterspielen.“ Spätestens nach Wimbledon sei Schluss – vielleicht auch nach den Australian Open. Willkommen beim Happy Slam.

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Erstellt:
12. Januar 2019, 03:14 Uhr

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