Rebeca Andrade aus Brasilien

Von ganz unten nach ganz oben – und ganz nah ran an Simone Biles

Rebeca Andrade hat sich aus den Favelas zu den Olympischen Spielen hochgeturnt. In den kommenden Tagen ist die 24-Jährige die große Herausforderin von Simone Biles.

Rebeca Andrade ist der Turnstar Brasiliens.

© IMAGO/Action Plus/IMAGO/Simon West

Rebeca Andrade ist der Turnstar Brasiliens.

Von Dirk Preiß

Ziemlich sicher wird, rein sportlich gesehen, Sarah Voss an diesem Donnerstagabend eher eine Nebenrolle spielen. Aber: Die deutsche Turnerin hat es neben Helen Kevric geschafft – und turnt im Mehrkampffinale der Olympischen Spiele. Die 24-Jährige wird sich auf ihre eigene Leistung konzentrieren, aber sicher auch ein bisschen nach rechts und links schauen. Und an die Spitze des Tableaus. Sie sagt: „Ich freue mich auf ein großes Spektakel.“

Für dieses verantwortlich ist, klar: Simone Biles. Die US-Amerikanerin liefert bei diesen Spielen von Paris bisher wieder die ganz große Show, lockt Promis in die Arena in Paris-Bercy – und ist nach dem Teamerfolg der US-Girls am Dienstag mit nun fünf Goldmedaillen die erfolgreichste Turnerin ihres Landes. Nun will sie mehr – hat aber auch eine Herausforderin, die ihr im Nacken sitzt.

Abzulesen war das ganz gut an den Ergebnissen der Qualifikation. Im Mehrkampf, am Sprung und am Boden hieß es: Erste Simone Biles, Zweite Rebeca Andrade. Die Brasilianerin lag auch am Schwebebalken knapp hinter dem Superstar (Platz drei und zwei). Und selbst im Verpassen des Finals am Stufenbarren waren die beiden parallel unterwegs. Biles wurde Neunte (hinter Helen Kevric), Andrade Zehnte. Sarah Voss sagt auf alles, was im Turnen nun noch kommt in Paris: „Ich würde mich freuen, wenn es ein Battle zwischen den beiden gibt.“ Auch, weil sie Rebeca Andrade mittlerweile ganz gut kennt – und unheimlich schätzt. „Sie ist“, sagt die deutsche Turnerin, „eine herausragende Athletin.“ Mit einer besonderen Geschichte.

Gemeinsames Training in Brasilien

Die erzählte Rebeca Andrade auch Sarah Voss und Pauline Schäfer-Betz. Nicht irgendwo bei irgendeinem Wettkampf, sondern bei sich zu Hause in Brasilien. Im Frühjahr absolvierten die beiden Deutschen, die ihre Qualifikation für die Spiele schon sicher hatten, ein mehrtägiges Trainingslager im Camp der Brasilianerinnen. Und waren durchaus beeindruckt.

Vor allem natürlich: von Rebeca Andrade, die es geschafft – von ganz unten nach ganz oben.

Aufgewachsen ist die heute 24-Jährige in einer Favela bei Sao Paolo. Weil sie als Kind einen außergewöhnlichen Bewegungsdrang besaß, schickte sie ihre Mutter Rosa zum Turnen – und die erste Trainerin der Kleinen, Monica Barroso dos Anjos, erkannte schnell das Potenzial. Sie ließ sie ein Rad schlagen – und kam schon nach wenigen Eindrücken zu dem Schluss: „Wir haben die neue Daiane Dos Santos gefunden.“

Die heute 41-Jährige wurde 2003 Weltmeisterin am Boden, war in ihrer Zeit die beste Turnerin Südamerikas – und auch eine Inspiration für Rebeca Andrade. Die sich aber auf einen harten Weg begeben musste. Und zwar jeden Tag.

Bis sie zehn Jahre als war, musste die Turnerin immer zum Training laufen, ihre alleinerziehende Mutter sorgte als Putzfrau dafür, dass die Familie sich das Turnen der kleinen Rebeca überhaupt leisten konnte. Dennoch wurde sie besser und besser und turnte dann irgendwann im Trainingszentrum in Rio de Janeiro – doch Rückschläge blieben nicht aus. Gleich drei schwere Knieverletzungen mit teils monatelangen Reha-Phasen musste Andrade überwinden – ehe sie dann endlich voll durchstarten konnte. Mittlerweile ist die Liste ihrer Erfolge beeindruckend lang.

EIn olympischer Medaillensatz

Neun WM-Medaillen hat die Brasilianerin bereits gewonnen, darunter drei goldene. Und einen olympischen Medaillensatz darf sie auch schon ihr Eigen nennen. 2021 holte sie Gold am Sprung und Silber im Mehrkampf – damals hatte Simone Biles wegen mentalen Problemen viele Finals ausgelassen –, und nun in Paris Bronze mit der Mannschaft. Zudem sorgte sie für weitere historische Momente, etwa, als im vergangenen Jahr in Antwerpen gleich drei schwarze Turnerinnen das WM-Podium nach dem Mehrkampffinale bestiegen. „Ich denke, das hat viele Menschen inspiriert“, sagte sie danach. Überhaupt geht es ihr längst nicht mehr nur um die eigenen Erfolge.

„Ich kann mit meiner Geschichte den Menschen zeigen, dass sie alles tun können, was sie wollen“, sagt Rebeca Andrade, die neben der Karriere als Turnerin Psychologie studiert. Und auch Sarah Voss weiß: „Sie ist ein Vorbild für viele junge Athletinnen.“ In den nächsten Tagen kann die Brasilianerin ihre Geschichte im Mehrkampffinale und in drei Geräte-Endkämpfen weiterschreiben.

Als große Herausforderin der noch größeren Simone Biles.

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Erstellt:
31. Juli 2024, 12:04 Uhr

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