Von Rielingshausen nach Peking

Der Deutsche Behindertensportverband hat den 33-jährigen Snowboarder Christian Schmiedt für die Paralympics im März in China nominiert. Der Schwabe kämpft in dreieinhalb Wochen in der Disziplin Banked Slalom um eine Medaille, sieht sich aber eher in einer Außenseiterrolle.

Rast mit dem Snowboard in der halben Welt durch den Schnee: Christian Schmiedt, der nun im März in Peking starten darf. Fotos: M. Keller

Rast mit dem Snowboard in der halben Welt durch den Schnee: Christian Schmiedt, der nun im März in Peking starten darf. Fotos: M. Keller

Von Lars Laucke

Pfuscht Corona nicht noch dazwischen, dann erfüllt sich für Christian Schmiedt in dreieinhalb Wochen ein Traum. Der Snowboarder aus Rielingshausen startet für Deutschland bei den Paralympics. Nach den Olympischen Spielen in Peking kämpfen die weltbesten Behindertensportler vom 4. bis zum 13. März dort um Medaillen. Das Ticket dafür gebucht hat der 33-Jährige Ende Januar, als er bei der WM im norwegischen Lillehammer im Banked Slalom Siebter wurde.

So froh er über die Nominierung ist, mit dem Verlauf der WM war der Unterschenkelamputierte nicht ganz zufrieden. „Platz sieben im Banked Slalom war gut. Auch die Qualifikation im Snowboard-Cross lief gut. Aber im Viertelfinale hat der Fahrer vor mir einen Speed Stop gemacht. Der Kurs war eisiger und schneller geworden, da hat er wohl Angst bekommen. Ich musste ausweichen und habe an der nächsten Schanze einen Abflug gemacht“, erzählt Schmiedt. Die Niederlage gegen den Olympiasieger von Pyeongchang und Weltmeister Noah Elliott (USA) im Banked Slalom, bei dem zwei Fahrer auf parallelen Kursen gegeneinander antreten, akzeptiert er dagegen ohne jeglichen Groll: „Der Typ ist eine Maschine. Der macht das auch professionell.“

Dass er auf dem Snowboard steht, findet der Rielingshausener nicht ungewöhnlich. „Wir hatten immer einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Als ich etwa zehn Jahre alt war, sind einige zum Snowboarden gegangen – und ich wollte halt auch. Meine Eltern haben gesagt: Probier’s. Wenn’s dich auf die Schnauze haut, dann ist’s halt so. Ich bin dann mit dem Skiclub Erdmannhausen mitgefahren“, erinnert er sich und erzählt: „Es ging zum Teil sogar besser als bei manchen ohne Handicap.“ Also blieb er dabei.

Am Anfang mussten die beiden einzigen Deutschen alles selbst bezahlen

Im Jahr 2013 erfuhr er schließlich über eine Freundin, dass es auch Para-Snowboard-Wettkämpfe gibt. „Ab 2014 bin ich dann mitgefahren – als Selbstzahler.“ Das konnte pro Saison schon mal 2 500 Euro kosten. Vom DBS gab es noch keine Mannschaft. „Wir haben alles versucht, dort auch angerufen – aber die haben uns irgendwie nicht so für voll genommen. Wir wurden zwar für Rennen angemeldet, aber mussten eben für alles selbst bezahlen.“ Mit „wir“ meint er sich und seinen Teamkollegen Manuel Ness. Beide hatten mit der Zeit teils schwere Stürze und Verletzungen. „Irgendwann haben wir dann gemerkt, dass wir professionelle Hilfe brauchen, jemand, der uns zeigt, wie wir das besser machen können.“ So kam der Kontakt zu Trainer Andre Stötzer zustande. Die Paralympics 2018 fanden dennoch ohne deutsche Snowboarder statt. „Aber irgendwer kannte einen Fernsehmoderator, der vor Ort war. Und in ein Live-Interview mit dem Präsidenten des DBS wurde dann quasi die Frage eingeschleust, warum denn keine deutschen Snowboarder am Start gewesen seien. Und er fühlte sich wohl in der Bringschuld und sagte, dass es beim nächsten Mal welche geben werde – seither hat sich etwas getan“, erzählt Schmiedt.

Ein paar Wochen später kam die Nach-richt, dass er und Ness ab sofort unter Trainer Stötzer das deutsche Para-Snowboard-team bilden würden. Mittlerweile ist noch ein dritter Fahrer hinzugekommen. Es gibt ein Budget für Reise- und Materialkosten, „in dieser Saison sogar noch etwas mehr, dadurch konnten wir noch mehr Rennen fahren als sonst. Die Saison beginnt immer in Holland in einer Skihalle. In Finnland waren wir oder auch in den spanischen Pyrenäen.“ Eine lange Strecke, die das vierköpfige Team mit einem Bus bewältigte. „Da saßen vorne Fahrer und Beifahrer und hinten hatte es zwei Sitzbänke. Ich habe ja den Vorteil, dass ich deutlich kleiner bin, wenn ich die Prothesen abnehme. Da konnte ich mich hinlegen und schlafen“, berichtet Schmiedt lachend. Wobei das Limit für die Zahl der Rennstarts neben den Finanzen vor allem der Urlaub ist. „Wir arbeiten ja alle Vollzeit. Ich habe dabei noch Glück, weil ich im öffentlichen Dienst bin“, sagt der Betriebsprüfer bei der Rentenversicherung. Als Mitglied im Nationalkader bekommt er Sonderurlaub, während einer seiner Teamkollegen für die zweiwöchige WM eine Woche unbezahlten Urlaub nehmen musste.

Bis zu 40 Tage pro Saison steht der Schwabe auf dem Snowboard

Trainiert wird meist an verlängerten Wochenenden, bis zu 40 Tage steht Schmiedt pro Saison auf dem Board. „Und wenn ich auf der Piste mal mit dem Raceboard richtig Gas gebe, dann kommen schon ab und zu mal Skifahrer und sagen, dass sie nicht hinterher kommen.“ Wobei der Rielingshausener nicht wirklich das Bedürfnis hat, den Vergleich zwischen behindert und nicht behindert anzustellen. „Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich in einem Dorf aufgewachsen bin. Ich hatte von klein auf nie mit anderen Behinderten zu tun“, erzählt Schmiedt, der völlig selbstverständlich Begriffe wie „behindert“ und „normal“ benutzt. „Wenn wir untereinander sind, dann reden wir von euch als Komplettis“, sagt er lachend. Er legt weniger Wert auf die Wortwahl, sondern mehr auf den Umgang. „Meine allerbesten Freunde vergessen manchmal einfach, dass ich behindert bin“, sagt er und erzählt eine Anekdote: „Da hatte mal einer von uns die Idee, einen Wettbewerb zu machen, wer am längsten barfuß im Schnee stehen kann. Und erst als ich mich nach mehreren Minuten noch nicht einmal bewegt hatte, fiel denen auf, dass ich ja mit den Prothesen nichts spüre.“ Das hat auch beim Boarden seine Vorteile: „Ich kann Schuhe und Bindung so fest zuknallen, wie ich will – mir tut ja nichts weh.“

Für Schmiedt sind es die ersten Paralympics. Ein Platz unter den ersten Acht wäre „schon cool, für eine Medaille müsste schon sehr viel passieren. Da bin ich realistisch. Die Top-Fahrer sind Vollprofis.“ Vielleicht fährt er noch zu den Spielen 2026 in Mailand. Auch mit seiner Frau, mit der er einen einjährigen Sohn hat, ist das abgesprochen, sie hält ihm den Rücken frei. „Erst einmal müssen Manuel Ness und ich weitermachen, da es bislang keine Nachfolger gibt. Wir sind gerade erst auf der Suche nach weiteren Fahrern. Unser Traum wäre es, dass jemand kommt, der uns in Grund und Boden fährt, und wir beruhigt abtreten können.“ Doch das ist noch Zukunftsmusik, jetzt liegt der Fokus erst einmal auf Peking.

Hightech aus dem 3-D-Drucker: Der Fuß, der zum Boarden an die Prothese geschraubt wird.

Hightech aus dem 3-D-Drucker: Der Fuß, der zum Boarden an die Prothese geschraubt wird.

Prothesen aus dem Drucker

Bei Christian Schmiedt sind wegen einer Dysmelie alle vier Extremitäten nicht vollständig ausgewachsen. An beiden Händen hat er nur je drei Finger. „Am linken Unterschenkel war mal ein Fuß dran. Allerdings hat dann der Knochen aufgehört und da kamen nur noch Weichteile, die amputiert wurden. Rechts ist kein Fuß gewachsen.“ Er trägt an beiden Beinen Unterschenkelprothesen. Eine wirkliche Beeinträchtigung im Alltag sieht der 33-Jährige darin nicht. Auch weil „die Prothesen mittlerweile hightech sind. Die Liner, die auf den Stumpf kommen, werden im 3-D-Drucker gefertigt. Da wird der Stumpf vorher abgescannt, das sitzt wie eine zweite Haut.“ Zum Boarden wird noch ein spezieller Fuß angeschraubt: „Da ist ein Dämpfer drin, der die Funktion eines Sprunggelenks hat. Damit kann ich auch Schläge abfedern, wenn man auf der Kante fährt.“

Beim Banked Slalom fahren zwei Snowboarder parallel gegeneinander. Der Kurs durch die Tore besteht aus zwei vorgefrästen Rinnen mit Steilkurven. Der Wettbewerb feierte vor vier Jahren in Pyeongchang seine paralympische Premiere. In Peking ist er für Samstag, 12. März (5 Uhr MEZ), eingeplant.

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Erstellt:
16. Februar 2022, 06:00 Uhr

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