Doku über den FC Bayern
Willkommen beim FC Hollywood
Eine Dokumentation beleuchtet die spektakuläre Zeit des FC Bayern Mitte der 90er-Jahre – als der von Skandalen umtoste Club zum FC Hollywood wurde.
Von Marco Seliger
Manchmal reichen ein paar Wörter, um die Dinge auf den Punkt zu bringen. Also hören wir rein bei Thomas Strunz. Der sagt: „Wir waren 22 Wahnsinnige.“ Dem will Markus Hörwick, von 1983 bis 2016 Kommunikationschef des FC Bayern, nicht widersprechen. Hörwick sagt: „Basler, Effenberg, Scholl und Matthäus, das ist kurz vor der Irrenanstalt.“ Und irgendwann analysiert ein gewisser Andreas Herzog die Dinge etwas weniger dramatisch. Herzog sagt in seinem herrlichen Wiener Slang: „Im Endeffekt haben wir uns selber geschlagen.“
Willkommen beim FC Hollywood.
So hieß der FC Bayern angesichts etlicher Turbulenzen, Skandale und Skandälchen irgendwann mal Mitte der 1990er Jahre – und so heißt nun eine fünfteilige Dokumentation über diese spektakuläre Zeit beim deutschen Rekordmeister, die von diesem Freitag an in der ZDF-Mediathek und vom 17. Januar an im linearen TV-Programm zu sehen ist.
Worum es geht? Frei nach Strunz um die 22 Wahnsinnigen und ihre teils ja wirklich wahnsinnigen, da zutiefst irrwitzigen Geschichten, die sie in München schrieben. Lothar Matthäus gegen Jürgen Klinsmann, die ungefähr 1000 Eskapaden von Mario Basler, zig Maulwurfaffären, die legendäre Wutrede von Trainer Giovanni Trapattoni, ein Präsident namens Franz Beckenbauer, der als Co-Kommentator live im Fernsehen Mannschaft und Trainer auseinandernimmt, das sind die Handlungen. Oder, um es mit Mehmet Scholl zu sagen: „Es gab keinen Tag ohne irgendeinen Skandal.“ Denn: „Es gab bei uns nicht zwei Lager – es gab 15 verschiedene.“
Dramen und Tragödien
Die Aufarbeitung mit vielen Protagonisten von einst als Zeitzeugen bietet frei nach Hollywood gute Unterhaltung, mitsamt des bisweilen unvermeidlichen Kitsches, menschlicher Dramen und Tragödien. Die Doku wirft aber auch ein Schlaglicht auf den Wandel der Zeit damals im Profifußball. So kickten die Bayern Anfang der 90er teils noch vor halb leeren Rängen in der großen Schüssel Olympiastadion, noch immer war das Bundesliga-Publikum geprägt von prolligen Männern in Kutten – und ein Mann in München hatte Angst: vor mangelnder öffentlicher Aufmerksamkeit für sein Baby.
So unternahm der Bayern-Manager Uli Hoeneß alles, um seinen Club in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen und ihn für die breite Masse interessanter zu machen. Hoeneß ging dafür einen am Ende toxischen Pakt mit den Medien ein. Das Abkommen: Fast uneingeschränkter Zugang zu den Spielern gegen erhöhte Aufmerksamkeit für den FC Bayern.
Bunte Storys und Gesichter
Uli Hoeneß kreierte damit einen Unterhaltungsbetrieb. Medienschaffende bekamen vom damaligen Pressechef Hörwick mit Blick auf die Profis die tägliche Ansage: „Nehmt’s euch, wen’s braucht.“ Der FC Bayern lieferte also fortan bunte Storys und Gesichter, am besten jeden Tag – und wurde so zum Vorreiter. So wurde der Profifußball in den 90ern plötzlich zu einer Art Popkultur, mit Stars und ihren omnipräsenten Gesichtern und Geschichten. Eine Folge davon: Alles wurde beim FC Bayern irgendwann öffentlich. Ständig standen Kabinen-Interna in der Zeitung, weil jeder Journalist jeden Spieler – auch bedingt durch die Öffnungspolitik des Uli Hoeneß – anrufen konnte, wann immer er wollte. Und irgendwann stand dann auch fast täglich in den Zeitungen, welcher Bayern-Profi wann frühmorgens noch auf welcher Tanzfläche in den Nobelschuppen der Stadt unterwegs war.
Und das Lustige an der Münchner G’schicht: Als alles zu viel wurde, versuchten die Bayern verzweifelt, das Rad zurückzudrehen und ihre sperrangelweit geöffneten Tore wieder zuzusperren. Was die Skandale allerdings nur bedingt einschränkte.
Loddar, die Quasselstrippe
Denn was haben sie für wunderbare Dramen geboten damals. Matthäus gegen Intimfeind Klinsmann, klar – oder auch: Matthäus gegen den Rest des Teams. Allein das böte genügend Stoff für 100 Folgen einer seichten Seifenoper. Loddar, die Quasselstrippe, knüpft also in den 90ern enge Bande zum Boulevard, was ihm irgendwann krachend auf die Füße fällt. Denn alle Welt hält ihn für den berühmten Maulwurf, der Interna aus der Bayern-Kabine ausplaudert – was dann offenbar einige Mannschaftskollegen ausnutzen, die ihrerseits Intimes aus dem turbulenten Innenleben des Teams preisgeben. In der wohligen Gewissheit, dass eh alle denken, dass es wieder der Lothar war, der gequasselt hat. So weit ist es gekommen im Kreise der 22 Wahnsinnigen – von denen der Wortschöpfer irgendwann wohl selbst am wahnsinnigsten wurde.
Denn bekanntlich bekam Thomas Strunz bei der berühmten Wutrede seines Trainers Trapattonis im März 1998 („was erlaube Struuuuuuuunz“) die heftigste und griffigste Breitseite ab. Hinterher war nichts mehr so, wie es vorher war – denn fortan hieß nicht nur der damalige Bayern-Mittelfeldmann, sondern auch seine Familie mitsamt des Bruders in der Öffentlichkeit nur noch „Struuuuuuuunz“. Thomas Strunz spricht in der Doku über diesen für ihn dramatischen Spuk, der damals auch spätabends in der täglich ausgestrahlten „Harald-Schmidt-Show“ kein Ende nahm. Bis Strunz versuchte, ein paar „U“ aus dem „Struuuuuuuunz“ zu nehmen: mit einem Besuch bei dem Entertainer und dessen Late-Night-Show.
Auch das passte – zur spektakulären Geschichte des FC Hollywood.