„Aktenzeichen XY“

Mutter aller True-Crime-Formate wächst weiter

Seit fast 60 Jahren ist „Aktenzeichen XY...ungelöst“ ein Quotenbringer. Mit „XY History“ startet das ZDF Ende August einen weiteren Ableger. Diesmal betritt man Neuland.

„Falls Sie sachdienliche Hinweise haben . . . “: der ZDF-Moderator Rudi Cerne im „Aktenzeichen XY“-Studio

© dpa/Matthias Balk

„Falls Sie sachdienliche Hinweise haben . . . “: der ZDF-Moderator Rudi Cerne im „Aktenzeichen XY“-Studio

Von Carolin Klinger

Während das ältere Ehepaar es sich nichts ahnend auf dem Sofa gemütlich macht, wissen die Zuschauer bereits, dass gleich etwas Schreckliches passieren wird. Schließlich haben sie die Einbrecher bei ihren Vorbereitungen beobachtet. Unbehagen beschleicht die Zuschauer, die schnell noch überprüfen, ob die eigene Haustüre abgeschlossen ist, bevor sie sich wieder aufmerksam vor dem Bildschirm platzieren. „Unglaublich!“, kommentiert Moderator Rudi Cerne mit unbewegter Miene und bestätigt so das Gefühl des Zuschauers. Denn das ist kein fiktiver Krimi, sondern die nahezu unglaublich brutale Realität.

Die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY...ungelöst“ erinnert regelmäßig daran, dass es selbst in den eigenen vier Wänden keine Sicherheit vor schweren Verbrechen gibt. Gleichzeitig vermittelt sie aber auch das gute Gefühl, gemeinsam die Täter dingfest machen zu können. Wenn der ehemalige Eiskunstläufer Rudi Cerne am Ende des Abends ein letztes Mal den leitenden Ermittler um eine Einschätzung der Lage bittet und von ihm erfährt, dass viele „vielversprechende Hinweise“ zu dem einen oder anderen Fall eingegangen sind, kann man beruhigt ins Bett gehen.

Eduard Zimmermann erfand die Mutter aller True-Crime-Formate

Seit fast 60 Jahren gibt es das Erfolgsformat bereits – es ist sozusagen die Mutter aller True-Crime-Formate. Eduard Zimmermann erfand 1967 die Sendung, die erstmals die Zuschauer interaktiv einband. Zwar war das Format anfangs umstritten – in den Medien wurden Zimmermann Angstmache und „Menschenjagd“ vorgeworfen –, doch bis heute liefert es dem ZDF verlässlich Traumquoten. Zimmermann moderierte die Sendung 30 Jahre lang erfolgreich. Allerdings warfen ihm Kritiker vor, dass er die Sendung durch persönliche moralische Vorstellungen prägte.

Seit 2002 moderiert Rudi Cerne mit professioneller Zurückhaltung die Sendung – doch am Konzept hat sich nur wenig verändert. Nach wie vor erreicht Cerne ein Millionenpublikum – und das, obwohl das lineare Fernsehen doch schon so oft totgesagt wurde. Die Mischung aus Einspielern, in denen die Verbrechen mit Schauspielerinnen und Schauspielern nachgestellt werden, und echten Ermittlern der Polizei, die mit Cerne den Fall erörtern und anschließend schon direkt im Studio Hinweise aus der Bevölkerung annehmen, macht den Erfolg der Sendung aus. Dass mancher Ermittler etwas unbeholfen von einem Zettel die Fakten zum Fall ablesen muss oder beim Aufzählen der gestohlenen Wertgegenstände in Stocken gerät, trägt nur zur Authentizität der Sendung bei. Der Zuschauer darf sich angesichts der schaurigen Verbrechen gruseln, hat aber auch das Gefühl, dass die Sendung seriös zur Aufklärung eben dieser beitragen kann. Die Fakten sprechen für sich: 39 Prozent der gezeigten Fälle sind aufgeklärt worden.

Auch wenn das True-Crime-Genre inzwischen sehr beliebt ist, hatten es Nachahmer schwer, an den Erfolg des Originals heranzukommen. Der Privatsender Sat 1 versuchte es von 1997 bis 2000 mit „Fahndungsakte“ und 2016 noch einmal mit dem tagesaktuellen Format „Fahndung Deutschland“. Doch wegen mangelnder Quoten wurde beides eingestellt. Der Hessische Rundfunk konnte 2004 mit dem reißerischen Wochenmagazin „Crime! – Der Justizreport“ ebenfalls nicht überzeugen. 2018 versuchte die ARD, mit dem von Judith Rakers moderierten „Kriminalreport“ dem Quotenhit des ZDF etwas entgegenzusetzen. Nach vier Ausgaben wurde die Sendung, die über aktuelle Maschen und Trends bei Verbrechen aufklären wollte, wieder eingestellt.

Die Aufklärungsquote der Sendung ist beachtlich

Erfolgreich sind jedoch die zahlreichen Ableger aus dem „XY“-Kosmos. Die Rubrik „Aktenzeichen XY...gelöst“ aus der Muttersendung wurde zunächst zum 50. Jubiläum im Jahr 2017 als Sondersendung gezeigt und startete 2022 als eigene Reihe mit dem Moderator Sven Voss. Inzwischen gibt es bereits die dritte Staffel der True-Crime-Reihe „XY...gelöst“, in der Voss mit damaligen Ermittlern die Originalschauplätze aufgeklärter Verbrechen aufsucht.

Immer wieder gibt es Sondersendungen, die sich auf spezielle Themen konzentrieren. In „Aktenzeichen XY...vermisst“ liegt der Fokus auf Vermisstenfällen, in „Aktenzeichen XY...Vorsicht, Betrug!“ warnt Rudi Cerne vor aktuellen Maschen der Betrüger. Das ebenfalls von Cerne moderierte Spin-Off „XY...Sicherheitscheck“ lief dagegen nur von 2004 bis 2005. Es sollte ein Nachfolgeformat des ebenfalls von Eduard Zimmermann konzipierten „Vorsicht Falle!“ sein.

Der „XY“-Kosmos hat sich inzwischen auch auf andere Medien ausgeweitet. Seit 2022 gibt es einen Podcast mit Rudi Cerne und der Journalistin Conny Neumeyer, in dem sie über aufgeklärte Fälle und Cold Cases aus der Sendung sprechen.

Gruseln ohne echte Angstgefühle

Und weil die „Gelöst“-Reihe so erfolgreich ist, kümmert sich Sven Voss nun noch um Fälle, die längst zu den Akten gelegt wurden. Ende August startet die Reihe „XY History“, in der historische Verbrechen erzählt und die Vorgehensweisen der Ermittler damals mit heutigen Methoden verglichen werden. Mit diesem Format verlässt das „XY“-Universum allerdings endgültig die Ursprungsidee, „den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung zu nutzen“, wie es einst Eduard Zimmermann formuliert hatte. Erfolgreich könnte die Reihe dennoch sein, da sich die Zuschauer nun wegen längst vergangener Taten gruseln können, ohne sich versichern zu müssen, dass die eigene Haustüre auch wirklich verschlossen ist.

Verbrechen damals und heute

„XY History“ Die neue Reihe mit Moderator Sven Voss ist ab Donnerstag, 29. August, in der ZDF-Mediathek zu sehen. Im ZDF laufen gleich zwei Folgen hintereinander am Mittwoch, 4. September, um 20.15 Uhr und 21 Uhr. Zum Start geht es um den Mordkommissar Ernst Gennat in den 1920er Jahren; in Folge zwei steht die „Gladow-Bande“ nach dem Zweiten Weltkrieg im Mittelpunkt.

Erfolge Von 5037 in „Aktenzeichen XY...ungelöst“ konnten 1966 geklärt werden.

Zum Artikel

Erstellt:
13. August 2024, 20:06 Uhr
Aktualisiert:
14. August 2024, 12:54 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen