Neu im Kino: „A Quiet Place – Tag Eins”
Alle raus aus New York!
Im Film „A Quiet Place“ wollten Insekten die Menschheit auslöschen. „A Quiet Place – Tag Eins” erzählt nun, wie alles begann.
Von Martin Schwickert
Die Dialoge in John Krasinskis fulminanten Horrorfilm „A Quiet Place“ passten auf wenige Seiten. Denn das gesprochene Wort war in diesem postapokalyptischen Szenario die Gefahrenquelle Nummer 1. Jedes Geräusch konnte den Tod bedeuten. In der Ruhe lag die einzige Überlebenschance der Erdenbewohner. Deren Planet wurde von Rieseninsekten heimgesucht, die nichts sehen, aber umso besser hören konnten. Mit seinem Konzept gab John Krasinski dem Mainstrem-Kino etwas zurück, das im superheroischen Digitalgewitter verloren gegangen war: die Stille als ultimativer Spannungsfaktor. Wie es zu der Invasion der tödlichen Wesen kam, wurde im Film nicht erklärt. Die Handlung setzte am „Tag 89“ ein – nun soll mit „Quiet Place – Tag Eins” der Blick auf den Ursprung gelenkt werden.
Die Aliens kommen!
Waren die Vorgängerfilme in dem ländlichen Raum angesiedelt, wählt das Prequel nun New York City als Handlungsort. Und dort ist es laut. Kein Wunder, dass die audiosensitiven Außerirdischen sich die Metropole als einen der Hauptlandeplätze ausgesucht haben. Ohne Vorwarnung fallen sie über die menschliche Zivilisation her und ermorden alles, was einen Mucks von sich gibt.
In dem Prequel steht die schwer an Krebs erkrankte Samira (Lupita Nyong’o) im Mittelpunkt. Allein mit starken Schmerzmitteln kann an einem Ausflug in ein Theater in Manhattan teilnehmen. Die Vorführung ist noch nicht zu Ende, als die Alien-Invasion über die Stadt hereinbricht.
Harter Überlebenskampf
Regisseur Michael Sarnoski inszeniert das hereinbrechende Chaos aus nächster Nähe, ohne dem Publikum einen erklärenden Überblick zu verschaffen. Die Verzweifelten hoffen auf eine Evakuierung über den Hudson River. Ein stummer Strom von Menschen bewegt sich durch die Stadt. Samira löst sich aus der Menge. Die Sterbenskranke muss ihr Leben nicht mehr retten. Sie geht mit ihrem Kater auf dem Arm gegen den Strom Richtung Harlem an den Ort ihrer Kindheit, wo ihr Vater in einem Club Piano spielte und es die beste Pizza der Stadt gab. Die Erinnerung an die Vergangenheit ist für sie wichtiger als eine vage Zukunft. Und sie bekommt Gesellschaft. Voller Panik taucht plötzlich Eric (Joseph Quinn) auf, sein Blick trifft auf Samiras Augen und fortan folgt er ihr wie ein Hund. Widerwillig nimmt Samira den Jura-Studenten, der zu Panikattacken neigt, unter ihre Fittiche. Zwischen den beiden entsteht keine romantische Liebe, aber eine verlässliche Notgemeinschaft, die von gegenseitiger, bedingungsloser Hilfsbereitschaft geprägt ist. Ähnlich wie in „A Quiet Place“ die überlebenswillige Familie das Horrorszenario ausbalancierte, ist es nun diese Zweierbeziehung, die den Film ausmacht. Es sind keine heroischen Figuren, die sich hier durch die Apokalypse kämpfen, sondern zwei sichtbar geschwächte Menschen, die zu gemeinsamer Stärke finden.
Im Überlebenskampf nimmt sich der Film Zeit, sich in die Augen seiner Figuren zu versenken. Die famose Lupita Nyong’o kann allein mit Blicken einen ganzen Kosmos an Emotionen kreieren und auch Joseph Quinn entfacht in seinen Augen panische Angst ebenso überzeugend wie tiefe, menschliche Wärme. Diese intime, visuelle Nähe zu den Charakteren setzt Sarnoski in Kontrast zu wohl dosierten Schockeffekten und einer Katastrophenkulisse, in der New York zu einem morbiden Ort der Stille und Zerstörung wird.
A Quiet Place – Tag Eins. Regie: Michael Sarnoski. Mit Lupita Nyong’o, Joseph Quinn. 100 Minuten, ab 16 Jahren.