Angst vor Queerness und Diversität

Alles so schrecklich bunt hier

Je mehr Diversität in der Gesellschaft sichtbar wird, desto mehr Ablehnung scheint das zu provozieren. Was aber steckt dahinter?

Lustig, bereichernd –  oder doch gefährlich?

© dpa/Roberto Pfeil

Lustig, bereichernd – oder doch gefährlich?

Von Adrienne Braun

An sich könnte man sagen: Was geht es die anderen an? Es könnte einem einerlei sein, was Menschen, die man nicht kennt und denen man vermutlich auch nie begegnen wird, in ihrem Leben treiben. Ob sie lesbisch, schwul, trans, inter sind oder sich non-binär definieren, man kann Artikel über queere Personen überblättern, Filme mit ihnen abschalten. Und doch ist das Unbehagen groß und führt zu Spott, Abwertung, Angst, Gelächter und mitunter sogar zu Hass und handfester Gewalt. Selbst wenn es einen nicht betrifft, scheint Diversity viele emotional ins Mark zu treffen.

Warum? Weil sie in den vergangenen Jahren immer sichtbarer wurde und sich queere Positionen laut Gehör verschaffen – für manchen Geschmack zu laut. Während man in der Nachkriegsgesellschaft höchstens im Kabarett von anderen Lebensmodellen erfuhr oder nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde, dass der Nachbar „vom anderen Ufer ist“, wird heute klar benannt, was Sache ist: Fernsehteams begleiten Regenbogenfamilien, Zeitungen berichten von Geschlechtsumwandlungen, es gibt queere Serien und durch die Städte ziehen regelmäßig die CSD-Paraden.

Dominieren in den Medien tatsächlich queere Themen?

Aber wird tatsächlich mehr über Homo- als über Heterosexuelle berichtet? Oder fällt die eine lesbische Krankenschwester in der TV-Serie „In aller Freundschaft“ dem Publikum eher auf als die zahllosen nicht-lesbischen Charaktere, eben weil sie abweicht? Auch in anderen Lebensbereichen lässt es sich beobachten: Sobald eine kleinere demografische Gruppe mehr Sichtbarkeit in den Medien oder im öffentlichen Raum bekommt, wird das häufig von der Mehrheit als disproportional empfunden. Gerade wenn ein Thema historisch tabuisiert war, wird ein offener Umgang zunächst von manchem als Überrepräsentation erlebt.

Auch in der aktuellen Kunst stolpert man an vielen Stellen über queere Themen. Die Albertina in Wien hat sich kürzlich sogar gezielt der „Beauty of Diversity“ gewidmet, aber die Arbeiten, die hier versammelt waren, hatten wenig mit der glatten, normierten Schönheit der Werbewelt zu tun, sondern waren im Gegenteil oft irritierend oder gar verstörend.

Das Kollektiv Gelitin etwa formt scheußliche Porträts aus Wachs und Plastilin. Cindy Sherman, eine der erfolgreichsten Fotografinnen der Welt, macht sich mit reichlich Make-up, mit Perücken, Masken und allerhand Requisiten immer wieder zu jemand anderem und stellt dabei gängige Rollenklischees provokant infrage.

Sollte man sich mit queere Kunst befassen? Unbedingt!

Warum aber soll man sich solche Irritationen überhaupt antun? Weil es lehrreich und hilfreich ist, sich mit dem eigenen Unbehagen zu konfrontieren. Kunst macht möglich, sich im geschützten Raum mit den eigenen Ängsten vor Unbekanntem oder den Grauzonen von Sexualität und Identität auseinanderzusetzen.

Das kann man als Schule der Toleranz sehen, aber es ist vor allem für einen selbst bereichernd. Denn man geht deutlich entspannter durchs Leben, wenn man souverän reagieren kann auf all das, womit die Realität uns konfrontiert – und man sich nicht krampfhaft an das Vertraute klammern muss. Es weitet den Geist und gibt Freiheit, wenn man sich nicht allzu sehr ängstigt vor dem, was man nicht kennt. Und Kunst hält eben diesen schützenden Raum bereit, um andere Welten kennenzulernen.

Leider versuchen einige politische Gruppierungen die menschlichen Ängste für sich zu nutzen. Birgit Sauer und Otto Penz haben in ihrem neuen Buch „Konjunktur der Männlichkeit“ aufgearbeitet, wie die autoritären Rechten in Deutschland und Österreich bewusst Angst schüren, dass die eigene Identität bedroht sei – ob durch Migranten, Frauen oder LGBTIQ-Personen. Die Geschlechteridentität eignet sich offenbar besonders gut im Machtkampf, weshalb eine Bedrohung der westlichen Männlichkeit heraufbeschworen werde. Es sei eine „bewusst herbeigeführte moralische Panik, um zu verunsichern“, sagt Birgit Sauer. Und da rechte Parteien eher führerzentriert sind, werde im rechtsextremen Weltbild auch die Familie führerzentriert gedacht – mit, natürlich, dem Mann als Oberhaupt.

Im Netz tobt der Kampf für das, was vermeintlich männlich ist

In sozialen Netzwerken kann man sehr gut ablesen, wie verbittert – und zuweilen ekelhaft – dieser alberne Kampf um die Definition von Männlichkeit ausgetragen wird. Aber auch wenn man mit Gewalt Männer und Frauen in Rollen zwingen will, die Biologie lässt sich davon nicht beirren. Wissenschaftler wie der Genetiker Olaf Hiort gehen längst davon aus, dass fließende Übergänge zwischen den Geschlechtern kein Fehler der Natur sind, sondern die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten Programm ist. Innerhalb der Entwicklung des Menschen müsse immer wieder aufs Neue zwischen männlich und weiblich entschieden werden, wodurch sich ein weitverzweigter Baum mit zahllosen Varianten ergebe.

Die Freiburger Neurobiologin Anelis Kaiser hat wiederum Hinweise gefunden, dass Stereotype erst ins Gehirn eingeschrieben würden – und beispielsweise Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen nicht nachweisbar sind.

Die Debatten über die algerische Boxerin Imane Khelif bei der Olympiade in Paris hat wieder gezeigt, dass es nicht hilft, die Augen zu verschließen, um die binäre Geschlechterordnung aufrechterhalten zu können. Es ist absurd, dass die Läuferin Caster Semenya ihre Karriere beenden musste, weil sie nur noch dann als Frau hätte antreten dürfen, wenn sie ihren Testosteronspiegel medikamentös senkt. Der Transgender Laurel Hubbard wurde 2021 in Tokio beim Gewichtheben als Frau eingruppiert. Aber ist er eine „echte“ Frau?

Die Konsumindustrie verdient gut an starren Rollenbildern

Wenn man bei der diesjährigen Kunstbiennale von Venedig nun vor Gemälden von schwulen Orgien in China steht oder einer Dragqueen-Skulptur des mexikanischen Künstlers Juan Pablo Chipe, so kann man genervt konstatieren, dass Queerness und Diversität nun auch noch diese Weltkunstschau erobert haben. Vielleicht kann man es aber auch als Anlass sehen, sich selbst von einer allzu starren Normierung frei zu machen. Denn nicht nur rechte Politik nutzt plakative Weltbilder für ihre eigene Macht, auch die Konsumindustrie tut alles dafür, enge Männer- und Frauenbilder zu behaupten – um uns eindeutig zielgerichtet das Geld aus den Taschen zu ziehen.

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Erstellt:
30. August 2024, 20:14 Uhr

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