Kampf um die Reformation vor 500 Jahren

Bauern und Bürger stürmen Kloster

Die Plünderung und Brandschatzung der Kartause Ittingen vor 500 Jahren wurde zum einschneidenden Ereignis der frühen Reformationszeit.

Das Kloster in Flammen (Illustration von Heinrich Tomann)

© Zentralbibliothek Zürich

Das Kloster in Flammen (Illustration von Heinrich Tomann)

Von Doris Burger

Pfarrer Öchsli war gewarnt. Bereits eine Woche lang hatte er die Nächte im Freien verbracht, um der drohenden Verhaftung durch den katholischen Landvogt aus Frauenfeld zu entgehen. Erst am Sonntagabend, den 17. Juli 1524, wagte er es wieder, Schlaf in seinem Bett zu suchen. Doch „früe vor Tag“ schlugen die Häscher zu und nahmen ihn fest.

Hans Öchsli, dem reformatorisch gesinnten Pfarrer von Burg, gelang es noch, um Hilfe zu schreien. Sein „Mortgeschrey“ wurde von den Wächtern auf dem nahen Münsterturm in Stein am Rhein vernommen, die umgehend Alarm schlugen. Die beiden Gemeinden waren nur durch den Fluss getrennt und hatten vereinbart, sich bei Angriffen zu unterstützen.

Schon in den Monaten zuvor war es zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen den „Altgläubigen“ und Anhängern der neuen Lehre gekommen. Seit 1519 hatte Huldrych Zwingli im Großmünster von Zürich gepredigt und sich im Januar 1523 beim Rat durchgesetzt: Seine Ansichten wurden als „richtige kirchliche Lehre“ für das Herrschaftsgebiet von Zürich anerkannt. Christus allein sollte der Vermittler zwischen Gott und den Menschen sein. Es zählte das biblische Wort, nicht die Bilder der diversen Heiligen.

Zerstörung der Götzen

Sinnbild für den neuen Glauben wurde folgerichtig „die Zerstörung der Götzen“. Kreuze, Altarbilder und Statuen wurden aus den Kirchen getragen und verbrannt – in Zürich sogar unter Aufsicht der Obrigkeit.

Auch im nahen Stammheim wurde heftig debattiert, am 24. Juni 1524 tobte der „Bildersturm“. Stammheim unterstand wie Nussbaumen, Burg und Warth in der niedrigen Gerichtsbarkeit dem reformierten Zürich, die hohe Gerichtsbarkeit gehörte allerdings der Gemeinen Herrschaft Thurgau: Der katholische Landvogt Joseph Amberg von Schwyz richtete über Vergehen, die „ans Blut“ gehen. Die Stimmung in Stammheim war explosiv.

So gerieten die Ortschaften zwischen Stein am Rhein und Zürich unversehens ins Zentrum des Glaubensstreites. Die reformierten Gemeinden verbündeten sich und wollten sich wehren, wenn es zu Vorfällen wider den neuen Glauben kommen sollte. Die Verschleppung des Pfarrers Öchsli Richtung Frauenfeld war ein solcher Vorfall.

Noch in der Nacht zum 18. Juli läuteten die Glocken Sturm, das vereinbarte Signal. Rund 70 Steiner Bauern und Bürger bewaffneten sich, um den Pfarrer zu befreien. Über die Rheinbrücke, der einzigen weit und breit, waren sie schnell unterwegs. Sie zogen durch Stammheim, nur acht Kilometer entfernt, und mit dem Untervogt Hans Wirth und seinen Söhnen, beide evangelische Prediger, schlossen sich immer mehr Männer an. In Nussbaumen stieß der Untervogt Burkhart Rüttimann dazu. Als die Menge am Ufer der Thur angekommen war, sollen es rund 3000 gewesen sein.

Doch Pfarrer Öchsli war bereits über den Fluss und weiter nach Frauenfeld gebracht worden. Eine Brücke gab es nicht, die Thur bremste die Menge. Nicht jedoch die Wut auf die Obrigkeit, die auch in den Klöstern verortet wurde. Das Kartäuserkloster Ittingen lag in Sichtweite. Die immer noch wachsende Menge brach ins Kloster ein und schaffte die Weinfässer ins Freie. Den Fischen im Teich ließ man das Wasser ab, die Vorräte wurden geplündert. Der Wein floss in Strömen. Bald wütete der Mob ohne Gnade. Schlösser wurden aufgebrochen, Kirchenfenster, Bilder zerstört, Sakramente geschändet. Die Mönche wurden verhöhnt und gezwungen, die Kutten abzulegen, die genau wie kostbare sakrale Gewänder zerschnitten wurden.

Die aufgebrachte Menge ist nicht zu bremsen

Der Rat aus dem reformierten Zürich schickte noch am gleichen Tag Abgesandte, um die Stürmenden zu beruhigen und zum Abzug zu bewegen – ohne durchschlagenden Erfolg. Am Dienstag, den 19. Juli 1524, wurde das Kloster angezündet und in Schutt und Asche gelegt. Erst ein drohender Waffengang der Truppen aus Frauenfeld und das Feuer selbst sorgten für den Abzug der Menge.

Ein aktuelles Ausstellungsprojekt von sechs Kirchen und Museen aus drei Kantonen versucht die Geschehnisse von 1524 aufzuarbeiten. Felix Ackermann verantwortet die Ausstellung des Ittinger Museums in der Kartause, „am Tatort“, wie er sagt. Er erläutert, warum das Geschehen doch eine gewisse Logik hatte: „Systematisch wurde das Archiv zerstört, die gesamten Dokumente vernichtet. Das zielte klar auf die Herrschaft.“ Auch die Schändung des Sakraments war eine Handlung gegen den alten Glauben.

Aber so hatte sich die Zürcher Obrigkeit die Reformation nicht vorgestellt. Nicht als Feldzug der Bauern und Bürger, nicht als Plünderung der Massen und Zerstörung von wertvollen Gütern, der Übergang sollte gesittet vor sich gehen. Zudem sollten die Klostervermögen gesichert werden.

Das reformierte Zürich setzt die Rädelsführer fest

Einen Flächenbrand, wie er in Süddeutschland mit dem „Bauernkrieg“ kommen sollte, wollte man unbedingt vermeiden. So entschloss sich der Zürcher Rat, die vermeintlichen Rädelsführer anzuklagen. Konrad Steffan und Erasmus Schmid, beide Prediger aus Stein am Rhein, gelang die Flucht nach Waldshut. Vier jedoch wurden mit großem Getöse festgesetzt: die Untervögte von Stammheim und Nussbaumen, Hans Wirth und Burkhart Rüttimann, dazu Hans Wirths Söhne Hans und Adrian.

Der Prozess fand nicht in Zürich statt. Auf massives Betreiben der katholischen Eidgenossenschaft wurden die Gefangenen nach Baden überführt und nach schwerer Folter und Gerichtsverfahren am 28. September 1524 enthauptet. Allein Adrian Wirth wurde begnadigt. Pfarrer Öchsli wiederum wurde aus der Haft in Frauenfeld entlassen.

Die Reformation ging ihren Weg, ein Flächenbrand war abgewendet. Die Glaubenskonflikte hingegen flammten bis ins 19. Jahrhundert immer wieder auf – bis zur Auflösung der Kartause Ittingen im Jahr 1848.

Dem Benediktinerkloster St. Georg in Stein am Rhein hingegen setzte bereits die Reformation 1525 den Schlussstrich: Nach einer mehr als 500-jährigen Herrschaft der Äbte über die Stadt wurde es durch den Zürcher Rat aufgehoben.

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Erstellt:
10. August 2024, 15:12 Uhr

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