TV-Tipp
Boomer vs. Millennials
Lars Jessens ZDF-Komödie „Alle nicht ganz dicht“ ist eine flotte Mischung aus Mutter/Sohn-Drama und Satire aufs moderne Wirtschaftswesen.
Von Tilmann P. Gangloff
Jüngere Generationen glauben vermutlich, Amazon hätt’s erfunden, aber tatsächlich gibt es den Versandhandel seit 150 Jahren. Die Idee, auch Menschen in der Provinz mit Mode und den Errungenschaften des modernen Lebens zu versorgen, machte Familien, die sich hinter Markennamen wie Neckermann, Quelle und Otto verbargen, reich und berühmt; bis die Digitalisierung und Amazon das Oligopol beendeten. Davon handelt die Komödie „Alle nicht ganz dicht“ zwar nur im Hintergrund, aber die von Ulrike Kriener verkörperte Hauptfigur steht noch mit beiden Beinen in der guten alten Zeit, als das Hamburger Versandhaus Sander seine Kataloge verschickte; gleich drei mal zierte „Claudia“ das Titelblatt, wie sich der Seniorchef (Michael Prelle) wehmütig erinnert. Tempi passati – das gilt auch für Krieners Barbara Lucke: 30 Jahre lang war die Sekretärin für den Betriebsrat freigestellt. Als die „rote Barbara“, die Rente in Sichtweite, nicht wiedergewählt wird, muss sie in den Arbeitsalltag zurückkehren; und das in der Abteilung Wäsche/Bade, die von ihrem Sohn Bastian (Tim Oliver Schultz) geleitet wird.
Ihre Talente stammen aus dem letzten Jahrhundert
Was nun folgt, ist eine flott erzählte Mischung aus Mutter/Sohn-Drama und Satire auf das moderne Wirtschaftswesen. Barbara, einst eine Virtuosin auf der Kugelkopfschreibmaschine, gewöhnt sich nur mühsam an die Bedingungen, für die das neue Firmenlogo „SNDR“ steht. Verbittert muss sie einsehen, dass ihre Talente aus dem letzten Jahrhundert stammen. Außerdem versteht sie bloß Bahnhof, weil sich Bastian und sein Team in Wirtschaftskauderwelsch verständigen. Zu allem Überfluss kommt es zu einem Kleinkrieg mit einer Kollegin. Yasemin (Sevda Polat), Bastians rechte Hand, wittert in der Mutter instinktiv eine Konkurrentin, wenn auch nicht mit Blick auf die Karriere: Es nicht zu übersehen, wie sehr es zwischen ihr und Bastian knistert, doch in dessen Leben gibt nach wie vor Barbara den Ton an; „Alle nicht ganz dicht“ erzählt auch davon, wie sich die Millennials von der Boomer-Generation abnabeln.
Schon allein der Mikrokosmos, den Andreas Altenburg mit seinem Drehbuch entworfen hat, ist ein Quell großer Freunde, weil der Autor sein Kernensemble mit einer Vielzahl liebevoll entworfener und nur ein bisschen überzeichneter Figuren umgibt, die zudem, allen voran Oliver Wnuk, vortrefflich verkörpert werden: Der Juniorchef, auch nicht mehr ganz jung, ist ein Schnösel, der bei BWL-Jargon selbst nicht so ganz durchblickt und radikale Kürzungen beim Personal vornehmen will. Ganz oben auf der Abschussliste steht ausgerechnet Wäsche/Bade. Selbst der Ideenwettbewerb, den Sander junior ausgerufen hat, ist bloß Augenwischerei für die Belegschaft; dabei ist Bastian gerade dabei, eine App zu entwickeln, die perfekt in die Selfie-Zeit passt. Davon abgesehen wären sämtliche Beteiligten froh, wenn Barbara in den Vorruhestand gehen würde, doch die entdeckt ihren alten Kampfgeist und entwirft mit anderen Altvorderen einen Plan, der so retro ist, dass er fast schon wieder revolutionär wirkt. Die Dialoge machen mindestens so viel Spaß wie die Bucheinfälle, zumal Grimme-Preisträger Lars Jessen („Für immer Sommer 90“), der den Film auch produziert hat, das perfekte Ensemble zusammenstellen konnte.
Die TV-Ausstrahlung ist erst im September, aber das ZDF bietet den Film gemeinsam mit einigen weiteren Komödien bereits jetzt in der Mediathek an: Darunter auch Bastian Pastewka, der in „Alles gelogen“ als Autoverkäufer und notorischen Lügner zu sehen ist.
„Alle nicht ganz dicht“, seit 4.7. in der ZDF-Mediathek