Buchtipp Becher-Haus der Fotografenstars
Das Geisterhaus des Fotografen
Laurenz Berges fotografiert das Wohnhaus des berühmten Fotografen Bernd Becher. Die nostalgischen Bilder inspirieren den Stuttgarter Autor Hanns-Josef Ortheil zu einem Essay – und stellen eine Hommage an zwei besondere Frauen dar.
Von Nicole Golombek
Wenn man hätte raten sollen, wo das Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher einmal gearbeitet hat, wäre man auf ein kühles Loft gekommen oder ein anderweitig industriell anmutendes Gebäude. An ein Fachwerkhäuschen mit Heiligenbildern an der Wand und einem Holzbett vor einer Blümchentapete hätte man vielleicht nicht gedacht. Doch all das findet sich im Becherhaus in dem 6000-Seelen-Ort Mudersbach im Osten von Rheinland-Pfalz.
Erste Arbeiten über Fachwerkhäuser
In kollektiven Kunstgedächtnis sind die Bechers mit ihrer streng dokumentarisch anmutenden Industriefotografie – Gasometer und Hochöfen, Fördertürme, verlassene Anlagen, die den Wandel der Industriekultur festhalten. Ihre Art zu fotografieren hat Schule gemacht.
Unter dem Begriff Düsseldorfer Fotoschule sind Arbeiten nicht nur der Bechers, sondern auch ihrer ebenfalls berühmt gewordenen Schüler der Düsseldorfer Kunstakademie vereint (so unterschiedlich ihre Arbeiten sind), darunter Candida Höfer, Andreas Gursky, Thomas Ruff und der letzte Meisterschüler, Laurenz Berges.
Essay von Hanns-Josef Ortheil
Kenner des Becher-Werks allerdings wundern sich weniger über die traditionelle Behausung, denn die ersten Fotoprojekte der Bechers waren ja gerade Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebiets. Und in so einem lebte Bernd Becher (1931-2007); es ist das Haus des Großvaters, in das er immer wieder zurückkehrte und in dem er mit seiner Frau Hilla (1934-2015) die ersten Arbeiten konzipierte.
Das Becherhaus, ländlich im Siegerland gelegen, existiert fast unverändert, jetzt kommt es groß heraus. Laurenz Berges hat es besucht, seine Fotografien sind in einem Buch und im Museum für Gegenwartskunst in Siegen zu sehen. Wobei – eigentlich müsste das Becherhaus „Zwei-Tanten-Haus“ heißen, wie Hanns-Josef Ortheil in seinem Essay zum Buch feststellt. Der in Stuttgart lebende Autor, 1951 in Köln geboren und in der Nähe von Mudersbach aufgewachsen, schreibt einen amüsanten Dialog zwischen ihm, einer Ausstellungsmacherin und einem Historiker.
Sie mutmaßen recht ergebnislos, was das Gebäude und die Bewohner dem Fotografen wohl bedeutet haben mögen. Errichtet wurde das Fachwerkhaus vom Großvater, der Vater, ein Dekorationsmaler, hat da Wände und Decken bemalt, bewohnt wurde es lange Zeit aber von den zwei Tanten von Bernd Becher. Bernd und Hilla Bechers Sohn, Max Becher, gehört das Becherhaus heute. Die meiste Zeit im Jahr steht es leer.
Ein Geisterhaus. Doch keines, das ängstigt. „Das Haus, seit Jahren kaum bewohnt,schickte mich auf eine Zeitreise zwischen Neugierde und Melancholie“, schreibt Berges in dem Buch. Und das trifft es. Die Fotografien strahlen eine eigentümliche Gelassenheit aus. Heller Sonnenschein fällt durch die Gardinen wie staubig hindurch.
Romantisch wallt Nebel vorm Fenster, Blick auf Kirche, Bäume. Ein Kabel, das an der Wand oberhalb eines Kreuzes mit Jesusfigur festgetackert ist, ein Körbchen mit Wäscheklammern auf dem Dachboden, ein Telefon mit Wählscheibe im Zwielicht. Samtsofas, verschlissene Teppichböden, bemalte Handläufe an den alten Holztreppen, Türen, Wandverkleidungen sind zu sehen. Was heute Upcycling und nachhaltig renovieren heißt, war einst schlicht das Bewahren und Aufarbeiten der Dinge, die „noch gut“ waren.
Kaffeemühle neben Heiligenfigur
Der Blick des Fotografen fällt auf Details, Vergessenes wie ein mit Stoff überzogener Knopf in einer mit Blümchenpapier ausgelegten Schublade. Wie in einem surrealen Bild steht ein Langnese-Honigtopf neben einer Heiligenfigur und einer Kaffeemühle im Regal. Auf Kommoden liegen halb fertige Puzzles.
Die Tanten Berta und Maria waren gottesfürchtig und kreativ. Sie sind verewigt im Buch, das 1960 entstandene Foto stammt von Hilla Becher. Zwei freundlich lächelnde, im Türrahmen stehende Frauen; Zeuginnen einer vergangenen Zeit. Laurenz Berges bewahrt sie mit seinem nostalgisch ruhigen Blick vor dem Vergessen.
Info
BuchLaurenz Berges: Das Becherhaus in Mudersbach. Fotografien. Mit einem Text von Hanns-Josef Ortheil. 112 Seiten, 42 Farbtafeln, 2 Abbildungen. Schirmer/Mosel-Verlag, München. 38 Euro.
FotografLaurenz Berges, Jahrgang 1966, studierte Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf. Bei Schirmer/Mosel erschienen bereits seine Fotobücher „Fotografien 1991-1995“, „Etzweiler“ und „Frühauf – Danach“.
AusstellungDie in dem Buch versammelten Fotografien von Laurenz Berges sind auch in der Ausstellung „Halten und Schwinden“ zu sehen – noch bis zum 6. August im Museum für Gegenwartskunst in Siegen. Geöffnet Di–So 11–18, Do 11–20 Uhr.