Jesper Munk in Stuttgart
Das könnte jederzeit kippen
Die einstige Neo-Blues-Hoffnung Jesper Munk stellt sein neues Album in Stuttgart vor. Sein Retrosound lullt das Publikum aber nur kurz ein. Und dann ist da noch die Ansage des Merlin-Bookers.
Von Jan Georg Plavec
Um den Werdegang und das Stuttgarter Konzert von Jesper Munk im ausverkauften Kulturzentrum Merlin zu verstehen, lohnt sich die Lektüre seines Wikipedia-Eintrags. Ganz am Ende heißt es in bestem PR-Deutsch, der Münchner Songwriter mit dänischen Wurzeln habe eine Strategie entwickelt, sich wieder mit seinem alten, seinem Alter Ego und den Songs aus den 2010er Jahren zu beschäftigen.
Damals war Munk eine Art Neo-Blues-Wunderkind, schrieb und sang mit Anfang zwanzig Lieder für ein All-Ages-Publikum. So konnte es natürlich nicht ewig weitergehen, und es ging auch sonst nicht alles glatt in Munks Leben, jedenfalls nach der Logik von Majorlabels.
Erst die alten Hits
Am Freitag steht der Musiker aber mit der Band The Cassette Heads auf der Bühne des Merlin und stellt gleich zum Konzertbeginn das Ergebnis der auf Wikipedia erwähnten Beschäftigung mit dem früheren Schaffen vor. Während seine Band sich stellenweise von den alten Hits davontragen lässt, behält der Sänger selbst eine gewisse Strenge im Ausdruck, vielleicht auch eine Distanz.
Die Songs aus der „Morning Coffee“-Zeit sind super, dürften aber häufiger in gleichnamigen Spotify-Playlists konsumiert werden als von Menschen, die sich ehrlich für den Songwriter und seine Musik interessieren. Die sind vielmehr am Freitagabend im Merlin und es dauert erfreulicherweise nicht lange, bis Jesper Munk zum jüngst beim Indielabel Glitterhouse erschienenen Album „Yesterdaze“ übergeht.
Vom Leben gegerbt
Wenn ein Musiker vom Leben gegerbt wird, beeinflusst das oft auch seine Musik. Bei Jesper Munk ist es jedenfalls so. Für den Mann am Mischpult sind die Halleffekte, stimmlichen Ausbrüche und Küsse, die der Sänger durch seine beiden Mikros schickt, eine Herausforderung. Der Mischer macht seine Sache aber ganz hervorragend, und so taucht Jesper Munk immer tiefer ein in seinen ganz eigenen, düster dämmernden Sound. Als er seine Mitmusiker von der Bühne schickt und über die Mühen im Musikgeschäft und Steuergeld für Waffen spricht, schließlich den Anti-Kriegs-Song „Salford Town“ anstimmt, kriegt der Abend etwas fast Apokalypse-Now-haftes. Das könnte, so wie die Welt da draußen, jederzeit kippen.
Munk begnügt sich in diesem Moment zum Glück damit, ans E-Piano zu wechseln und mit dem titelgebenden Song „Yesterdaze“ im Programm weiterzumachen. Das Merlin-Publikum lässt sich von ihm dankbar an die Hand nehmen. Spätestens nach der mahnenden Kriegsansage klingt Munks verhallter Retrosound eher bedrohlich als einlullend. Zwischendurch schimmern Klangwelten der 1980er auf, der irre gute Song „Tiny Heart“ pumpt im Merlin viel elastischer als in der Studioaufnahme. Harmoniegesang gehört ebenfalls zu dem perfekten Bluesjam, den Jesper Munk und The Cassette Heads an diesem Abend zelebrieren.
Originell ist die Idee, eine Filmerin mit Camcorder auf die Bühne zu stellen. Die eingefangenen Bilder werden live auf die Leinwand hinter der Band projiziert. Auf ein Konzert gibt es eben immer mindestens genauso viele Perspektiven wie Menschen im Raum. Und doch sind sowohl die neuen Songs als auch der vielschichtige Livevortrag im Merlin über jeden Zweifel erhaben. Es ist nicht sicher, ob einer wie Jesper Munk jemals endgültig zu sich selbst findet. Derzeit ist er aber an einem ziemlich guten Ort.
„Viel Glück fürs Merlin“
Notiert sei an dieser Stelle noch seine – mit Kuss aufs Mikro verstärkte – Message „Viel Glück fürs Merlin“. Sie folgt auf eine kurze Ansprache von Merlin-Booker Arne Hübner, der um neue Mitgliedschaften im Kulturzentrum-Verein und Spenden wirbt. Es sei nicht immer so voll wie an diesem Freitagabend, und man wolle die gestiegenen Kosten nicht eins zu eins aufs Publikum abwälzen.
Ein verzweifelter Hilferuf ist das nicht, aber vielleicht ein Vorgeschmack auf Fragen, die sich angesichts einer absehbar weniger gut gefüllten Stadtkasse stellen werden. Auch hier: das könnte jederzeit kippen. Auch vom Merlin unabhängig gilt deshalb umso mehr der mittlerweile elf Jahre alte Aufruf der Kapelle Petra: „Geht mehr auf Konzerte“. Bei Jesper Munk dürfte es am Freitag aber auch so gar niemand bereut haben.